VATERLAND, ein historisch belasteter Begriff, und der Neonationalismus (AfD, PEGIDA, NPD etc.)

In seiner Rede nach der Wahl zum Bundespräsidenten am 23. 05. 1999 sagte Johannes Rau:„Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“

30 Jahre vorher hat ein anderer Bundespräsident und Sozialdemokrat auf die Frage, ob er diesen Staat denn nicht liebe, geantwortet: "Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!" Gustav Heinemann laut SPIEGEL vom 13. Januar 1969

Es gibt hier also grundverschiedene Auffassungen, wenn wir davon ausgehen können, dass Heinemann sehr wohl gewusst hat, der Begriff PATRIOTISMUS ist historisch belastet und mit dem Staatsbegriff gleichgesetzt worden.

Hierzu mein Essay »Des Deutschen Vaterland“ – Eine zeitgemäße Betrachtung«:

„Dulce et decorum est pro patria mori.“ Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben sang der römische Dichter Horaz. Er starb allerdings als alter Mann im Jahre acht vor unserer Zeitrechnung vermutlich im Bett. Auch wir sollten sterben: “für Führer, Volk und Vaterland”. Spätestens 1945. (Da hatte ich gerade mal 19 Jahre gelebt.)

„Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an!“ ließ ein deutscher Dichter einen Schweizer rufen: Schiller den Tell.

“Was ist des Deutschen Vaterland?“ fragte 1913 ein anderer Deutscher in einem Gedicht: E. M. Arndt.

“Mit Gott und Vaterland“ stand auf einem Kreuz aus weißem Blech, das auf Anordnung Friedrich Wilhelms III. ab 1813 jeder Landwehrmann an seiner Mütze tragen musste. Auf dem Koppelschloss stand lediglich: “Mit Gott“.

Max von Schneckenburger hingegen, dem das Mutterland offenbar mehr bedeutet hat, beschwichtigte seine Landsleute 1840: “Lieb Vaterland, magst ruhig sein.“

Und in den 1870er Jahren beschimpfte der deutsche Kaiser (oder war es Bismarck?) die Sozialdemokraten als “vaterlandslose Gesellen”, weil bei ihnen die Kriegstreiberische Politik der deutschen Herrenkaste auf Ablehnung stieß.

Ein „Vaterland“ ist ebenfalls die französische Fremdenlegion, auch wenn ich das nicht so empfunden habe, 1949-54, ein Vaterland „Vaterlandsloser“: “LEGIO PATRIA NOSTRA“ (Die Legion ist unser V.) ...

Volltext oben verlinkt!

Mehr hierzu in meinem Blog unter dem Stichwort NATIONALISMUS

In der Frankfurter Rundschau fragt Stephan Hebel nach den Erscheinungsformen und Motiven der neuen Rechten:

„Nationalistische Denke ist nicht länger tabu. Die Mitte der Gesellschaft verliert sich im Ressentiment und schimpft nicht auf die Elite, der man doch so gerne angehören würde. Das Feindbild sind die Schwachen und Fremden.

Deutschland bewegt sich, und zwar nach rechts. Pegida ist sicher nicht die stärkste Bewegung, aber an Einfluss auf die öffentlichen Debatten hat sie manche Initiative mit breiterer Basis deutlich überrundet – begleitet von Wahlerfolgen ihrer Geistesverwandten von der AfD.

´Wir sind das Volk` rufen sie in Dresden, als gäbe es im ´Volk` nicht mindestens ebenso viele Willkommensbefürworter wie Abschottungspropheten. Und sie verkehren den im Kern emanzipatorischen Ruf von 1989 ins Gegenteil...“

Volltext: Neue Rechte: Angst vor der Konkurrenz von „unten“

Das trifft sicherlich nicht auf alle Wähler/innen der AfD und Teilnehmer/innen an den Montags-Friedenswinter-Demonstrationen und nicht auf alle zu, die bei PEDIGA mitlaufen. Viele von ihnen sind Menschen, die sich von der Politik übergangen fühlen, Angst haben, von den Flüchtlingen überflutet zu werden und, ohne viel nachzudenken, denen folgen, die ihnen die einfachsten Problemlösungen bieten.

Stephan Hebel meint auch nicht sie, sondern die „geistigen Brandstifter und Anführer der Neonationalen“ mit „geschlossenen rassistischen Weltbildern“, die Wortführer von AfD, PEGIDA und den Montagsdemos, und folgert:

„Wer sich aber deren große Gefolgschaft erklären will, kommt mit dem Verweis auf verbreiteten Rassismus allein nicht weiter. Es ist zwar richtig, dass Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus oder Homophobie auch in der ´Mitte der Gesellschaft` nie ausgestorben waren: Seit Jahren beziffern Studien das Potenzial an ´gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit` auf etwa 20 Prozent.“ Und fragt: „Aber wie konnten sich solche Strömungen in eine offen agierende Bewegung verwandeln, wie sich zu einer zumindest momentan erfolgreichen Partei formieren?“

Stephan Hebel begnügt sich nicht mit schnellen Antworten, geht diesen Fragen auf den Grund und zitiert Soziologen, Historiker und andere Wissenschaftler/innen wie Cornelia Koppetsch: "Viele ´ganz normale Bürger` hätten `die Spielregeln des Neoliberalismus längst verinnerlicht und erwarten nun auch von anderen Wettbewerbsgeist, Bereitschaft zur Selbstoptimierung und Disziplin. Wer sich dem nicht unterwirft, wird ausgegrenzt. (…) Man schimpft nicht mehr auf die Eliten, sondern möchte am liebsten selbst dazu gehören und grenzt sich nach unten ab`. Und ´unten´, da sind unter anderem ´die Fremden`.“

In der Weimarer Zeit stand der bürgerliche deutsch-völkische Nationalismus/Patriotismus in der Tradition des Kaiser-Reiches und ebnete dem so genannten Nationalsozialismus den Weg zur Macht. Heute erleben wir eine ähnliche Entwicklung. Und es sind nicht nur Mittelstandsbürger, die in ihrer Existenz gefährdet, sich nach einem starken Mann und einem starken, nämlich autoritären, im Grunde undemokratischen Staat sehnen, sondern auch viele, vor allem junge Menschen in prekären Verhältnissen, die zum ersten Mal überhaupt und dann die AfD gewählt haben und nicht die einzige Partei, die konsequent für eine soziale Wirtschafts- und Finanzpolitik eintritt und sich nicht kaufen lässt.

Der anachronistische Antikommunismus steckt heute noch in vielen Köpfen und tabuisiert alles, was sich im politischen Spektrum links einordnet oder eingeordnet wird. Das Übrige besorgen die systemkonformen, mehr oder minder opportunistischen, vom Kapital abhängigen Medien, indem sie DIE LINKE dadurch klein halten, dass sie diese Partei aus dem demokratischen Disput und der Meinungsbildung nahezu ganz ausschließen.

Die linksliberale Frankfurter Rundschau ist eine der wenigen Ausnahmen. Eine Zeitung, die umfassend informiert und durch eine Vielfalt von Ansichten zur eigenen Meinungsbildung geradezu herausfordert.

Autor:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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