Interview mit Wolfgang Berg, dem scheidenden Leiter der Stadtbücherei Wesel
Nach 30 Weseler Dienstjahren geht's im März 2020 (nicht nur) zum Krabben pulen an die Nordseeküste

Wolfgang Berg mit dreien seiner aktuellen Lieblingsbücher.
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  • Wolfgang Berg mit dreien seiner aktuellen Lieblingsbücher.
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Wolfgang F. Berg ist (O-Ton!) "staatlich geprüfter Bücherwurm". In korrektem Spießerdeutsch entspricht das einem Diplom Bibliothekar. Am 13. Dezember geht der 65-jährige langjährige Leiter der Weseler Stadtbücherei in den Ruhestand. Anlass für unsere Reaktion, den Mann aus dem hohen Norden zurückblicken zu lassen.

Also stellten wir Wolfgang F. Berg eine Reihe von Fragen, die er uns bereitwillig beantwortete. Allerdings lesen Sie seine Antworten in kompletter Länge nur hier bei Lokalkompass. Für die Printversion im Weseler müssen sie mangels Platzangebot gekürzt werden.

Und schon geht's los ...

dibo:  Fürchten Sie sich vor Langweile?
Berg: Nein, überhaupt nicht. Auch meine Frau wird in absehbarer Zeit in Rente gehen. Bis dahin trage ich die „häusliche Verantwortung“. Mit Einkaufen und Kochen kenne ich mich aus, da mache ich mir keine Gedanken.
Weil wir aber dann der Stadt Wesel den Rücken kehren werden, und nach Schleswig-Holstein ziehen, wird meine Zeit wohl mit Kisten packen und Möbel demontieren ausgefüllt sein. Und irgendwie müssen auch die Sachen unserer Kinder, die die wohl gar nicht vermissen, „aus dem Haus“.
Nach dem Umzug müssen wir uns in der teilweisen bekannten Umgebung orientieren. Vor allem aber wollen wir viel an’s Wasser, Radeln bei Gegenwind, Krabben pulen und im Strandkorb entspannen. Auch haben wir noch einige Reisen „auf dem Zettel“.

dibo: Was werden Sie vermissen, nachdem Sie vom Rathaus-Büro auf den Wohnzimmersessel gewechselt haben?
Berg: Auf jeden Fall meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Kulturbereich, insbesondere „meine Bücherwürmer“, mein Team, mit dem ich trotz der Arbeit Spaß haben konnte. Es gab immer Zeit für einen kleinen Scherz, aber auch echte Zuwendung im Kollegium. Das zeichnet dieses Büchereiteam aus. Diese persönliche Grundeinstellung bemerkt ja auch das Publikum. Nicht umsonst fragen manche Büchereikunden immer wieder nach „ihrer“ Ansprechpartnerin.

dibo: An welche spannenden Veränderungen in Ihrem Arbeitsleben erinnern Sie sich?
Berg: Ich hatte in 1980 die Gelegenheit, eine Stadtbücherei vor ihrer Neueröffnung ganz neu einzurichten. Das Konzept ging auf, die Bücherei wurde sehr gut angenommen. Das gleiche gilt für die Neueinrichtung der Stadtbücherei hier: erst die Kinderbücherei, dann die Erwachsenenbücherei, die Mediensicherung, der Fahrtstuhl. Im Laufe der Jahre kamen immer wieder büchereirelevante neue Medien auf den Markt: Hörspielkassetten, Videos, CD’s, DVD’s, aktuell die Tonies, die Onleihe, Datenbanken – manche sind wieder vom Markt verschwunden. Immer ging auch die Einführung neuer technischer Geräte damit einher, immer wieder reagierte die Bücherei auf diese Entwicklungen. Erfreulicherweise hat das schon sehr früh „totgesagte“ Buch überlebt, und ist nach wie vor gefragt. Das Internet ersetzt eben doch nicht alles.

dibo: Was raten Sie jungen Familien, die ihre Kinder an Bücher heranführen möchten?
Berg: Ich würde sagen: bringt Eure Kinder mit, wenn Ihr Bücher ausleiht, oder zurückbringt. Laßt sie sich umschauen, zeigt ihnen, was Euch interessiert, aber auch, was danebensteht. Nehmt ein Vorlesebuch und ein Bilderbuch mit. Lest regelmäßig vor, dann fragen die Kinder von allein nach mehr. Und wenn Ihr der Meinung seid, „das ist noch nichts für Dich“, guckt das Buch zusammen an. Kinder haben in den meisten Fällen einen sicheren Griff für das, was sie interessiert oder reizt.
Nutzt auch die kirchlichen Büchereien in der Nähe – auch für einen „akuten Buchnotstand“ sind diese Büchereien gut ausgestattet.

dibo: Verhalten sich Kinder heute anders als vor zehn oder 20 Jahren, wenn sie die Bücherei stürmen?
Berg: Nein, sie sind bei ihrem ersten Besuch genauso offen für alles, überrascht von der Vielfalt der Medien und den anderen Angeboten, wie früher. Sie sind freier und lebhafter als vor 20 Jahren. „Damals“ war es leichter, sie mit einem tollen Buchtitel ruhig zu bekommen. Heute ist die erste Frage bei den etwas älteren Schülern „Gibbet W-LAN?“
Aber immer noch sagen Kleinere: nachher komme ich mit meinen Eltern. Dann ist das Kind in seiner Familie der erste Entdecker der Bücherei gewesen

dibo: Wie hat sich nach Ihrer Wahrnehmung das Leseverhalten der Erwachsenen verändert?
Berg: Diese Nutzergruppe ist sehr zielorientiert geworden. Im Vergleich zu früher sind Erwachsene zu Recht nicht mehr mit einem Buch zum Thema zufrieden, sondern fragen nach neuen Titeln, die auch aktuelle Entwicklungen berücksichtigen. Oder: wurde früher im Brockhaus nachgeschlagen, der wegen seines hohen Preises nicht in jedem Haushalt stand, kommen Kunden heute mit Informationen aus dem Internet und erbitten weiterführende Literatur aus der Bücherei.
Natürlich nutzen insbesondere Erwachsene die Möglichkeiten der Onleihe. Vor allem im Roman-Bereich haben wir festgestellt, dass weniger Bücher über die Theke „gingen“, diese Zahl aber durch Onleihen ausgeglichen wurde.
Auch nutzen viele Erwachsene heute die Bücherei als einen Ort, um in Ruhe die Tageszeitungen zu lesen oder die Kundenrechner zum kostenlosen Surfen oder Schreiben von Texten. Oder sie treffen sich hier, um miteinander zu spielen oder zu stricken. Dasselbe gilt übrigens auch für Jugendliche, die sich hier treffen, um gemeinsam an einem Thema zu arbeiten. Also insgesamt Nutzung der Bücherei als „dritten Ort“.

dibo: Lange Zeit waren Sie auch in der Weseler DLRG-Ortsgruppe aktiv. Was ist dort der Stand der Dinge?
Berg: Die acht Jahre im Vorstand der DLRG gingen wie im Fluge vorbei. Der Zusammenhalt im Verein, die gemeinsamen Aktivitäten waren für mich, der ich bisher noch nie in einem Sportverein war, eine tolle Erfahrung. Letztlich hatte ich meinen Kindern dieses Ehrenamt zu verdanken. Wären wir in Wesel geblieben, würde ich weiterhin in dieser Ortsgruppe aktiv sein.
Ich denke schon, dass ich im Norden an der Küste auf die dortige DLRG Ortsgruppe zugehe, und meine Mitarbeit anbiete. Gerade in den Zeiten, in denen immer weniger Kinder schwimmen können, ist die Ausbildung durch die DLRG wichtig. Vielleicht kann ich ja jemanden, der gern als Ausbilder tätig ist, von seiner Schreibtischarbeit entlasten

dibo: Welches Buch lesen Sie als erstes nach dem Beginn Ihres Ruhestandes?
Berg: Es wird ein Buch zum Thema „Beförderung der Post in Dänemark“ sein, vermutlich sogar in Dänisch. Als Briefmarkensammler, der seine Marken erfasst und in Alben nummeriert hat, habe ich mich mit alten sogen. „stummen Stempeln“ befaßt. In dem Zusammenhang stieß ich darauf, dass die Post wie überall zunächst mit Pferd und ggf Wagen, dann mit dem Zug transportiert wurde. Aber nicht jede Poststation in Dänemark hatte alle „Rechte“ gehabt. Einige durften nur Briefe annehmen, während andere bereits Briefe und Pakete frankieren durften. Noch anders war es bei der Postfähre. Ich möchte gern mehr über die Entwicklung der Postbeförderung wissen: wo wurden Pferde gewechselt, wo wurde die Post auf die einzelnen kleinen Ortschaften umverteilt, wann wurden Bahnlinien eröffnet, die Orte mit unterschiedlichen Postrechten verbanden. Übrigens kann ist in solchen Fällen eine große Unterstützung die Fernleihe einer Stadtbücherei!

dibo: Gibt es irgendetwas, mit dem Sie als Nordlicht am Niederrhein nicht so gut klarkommen?
Berg: Na ja, ganz ehrlich: Redewendungen wie „wer macht die Tür los?“ oder „der liegt ganz schlecht“ haben mir früher wirklich Probleme bereitet. Heute freue ich mich über die typisch niederrheinische Unterhaltung á la „wie isset…?“ Die Niederrheiner, die ich kennengelernt habe, sind freundlich und ansprechbar.

dibo: Was raten Sie Ihrem/er Nachfolger/in auf dem Chefsessel der Bücherei?
Berg: „Bücherwürmer“ sind eine besondere Sorte Mensch. Sie tun alles für ihre Besucher oder Kunden. Noch heute werden hier Bücher persönlich weiterempfohlen. Nach 42 Berufsjahren, 30 davon in Wesel verbracht, würde ich aufgrund meiner Erfahrungen sagen: Bleiben Sie aufgeschlossen, halten Sie die Augen offen für die weiteren Entwicklungen im Bibliothekswesen.
Wobei dieser Rat kein echter ist, da es gerade Menschen mit diesen Eigenschaften sind, die unseren Beruf ergreifen. Das haben „Bücherwürmer“ sozusagen im Blut.

Und zum Abschluss, ein ...

... kleiner Steckbrief zum besseren Kennenlernen (eigens verfasst und ungeändert)

Wolfgang F. Berg: 65 Jahre, „staatl. geprüfter Bücherwurm“ (Dipl.-Bibliothekar), geboren in Bremerhaven, wohnhaft und tätig seit 1989 in Wesel, zwei Kinder und eine Lieblingsschwiegertochter
Hobbys: Schwimmen, Radeln, Kochen, dänische Briefmarken und Rezepte, Lesen
Lieblingsländer: Dänemark und Norwegen
Lieblingsautoren: Wolf Schreiner (Pfarrer Senner / Regionalkrimis); Ulrike Renk (u.a. Ostpreussen-Saga)
Lieblingsspruch: „Bei einer entsprechenden Besoldung hat der Kunde Anspruch auf die adäquate Bekleidung des Mitarbeiters“; ich mag aber auch Begriffe wie „emotionsflexibel“, „verhaltensoriginell“ oder „erinnerungsporös“
Das „ominöse F.“ ist seit Generationen der „Fritz“ in der Familie Berg (mein Sohn hatte Glück, ich habe mit dieser Regel gebrochen)

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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