Der Tag, als die Dämme von Möhne & Eder brachen. Zerstörerische Flutwelle erreichte auch die Ruhrstadt

Die zerstörerische Wasserwalze erreichte die Ruhrstadt Witten am Montag, dem 17. Mai 1943, gegen 11 Uhr und richtete verheerende Verwüstungen an. Laut Stadtarchiv ertranken drei Bürger in den Fluten.  Foto: Archiv "Witten aktuell"
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  • Die zerstörerische Wasserwalze erreichte die Ruhrstadt Witten am Montag, dem 17. Mai 1943, gegen 11 Uhr und richtete verheerende Verwüstungen an. Laut Stadtarchiv ertranken drei Bürger in den Fluten. Foto: Archiv "Witten aktuell"
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"Operation Züchtigung" löste
im gesamten Ruhrtal Apokalypse aus

Fünf Wittener Zeitzeugen erinnern sich an
die grauenvolle Katastrophe vor 70 Jahren

Der 16. Mai anno 1943 war ein Muttertags-Sonntag wie aus dem Bilderbuch. Doch "The Day after", als die Dämme der randgefüllten Möhne- und Eder-Talsperren brachen, sollte im Ruhrtal - von Neheim-Hüsten bis Essen-Steele - zu einer Apokalypse biblischen Ausmaßes werden.

Es war eins der geheimsten Kommando-Unternehmen des Zweiten Weltkriegs, trug den Codenamen "Operation Chastise" (Züchtigung) und hatte das Ziel, die Staumauern der Möhne-, Eder-, Lister-, Ennepe- und Sorpetalsperre zu sprengen, um einerseits die Zivilbevölkerung zu destabilisieren und andererseits, die deutsche Verteidigung ins Kernland zurückzuzwingen. Die für dieses nächtliche "Himmelfahrts-Kommando" speziell ausgebildeten und trainierten englischen Piloten der "Royal Air Force" erreichten mit ihren 18 Lancaster-Bombern nach einer fliegerischen Glanzleistung eine halbe Stunde nach Mitternacht des 17. Mai die schwach verteidigten Talsperren im Sauer- und Waldecker Land. Erst beim sechsten Tiefflug-Angriff über den Möhnesee gelang es einer Lancaster-Besatzung, die tödliche Fracht - eigens für dieses Unternehmen konstruierte "hüpfende Rollbomben" - ins Ziel zu bringen. Und das mit verheerenden Auswirkungen.

Nach dem Bruch der mächtigen Staumauern ergossen sich ohne Vorwarnung aus den Seen der Möhne und Eder auf einer Länge von 100 Kilometern gigantische 330 Millionen Tonnen Wasser. Eine 12 Meter hohe Wasserwalze riss Menschen sowie Tiere in den Tod, überflutete Dörfer, Städte Bergwerke, Fabriken, Gehöfte, Häuser, Straßen, Eisenbahnlinien und zerstörte oder beschädigte Brücken. In der schwarz-grauen Masse wurden Bäume und Telegrafenmasten mitgerissen, Hochspannungsdrähte tauchten mit grellen Blitzen in den gurgelnden Fluten unter, und Eisenbahnschienen verformten sich durch die Wucht der Wassermassen zu Spiralen. Ein apokalyptisches Szenario.

Über die Zahl der Opfer gibt es unterschiedliche Angaben: Während manche Quellen von 47 oder 68 Opfern der Edersee-Flutwelle ausgehen, erwähnen andere den Tod von 749 ukrainischen Zwangsarbeitern in einem Arbeitslager direkt an der Staumauer. Die Zahl der Toten unterhalb der Möhnetalsperre liegt zwischen 1.284 und über 1.600 Menschen. Die Flutwelle forderte die meisten Toten (etwa 1.200) in einem Kriegsgefangenenlager am vier Kilometer entfernten Kloster Himmelpforten. Noch 100 Kilometer ruhrabwärts, in Essen-Steele, kam ein Mensch durch die Flutwelle ums Leben.

Auch die etwa 60 Kilometer vom Möhnesee entfernte Ruhrstadt Witten wurde gegen 11 Uhr am Montagmorgen des 17. Mai teilweise von den Wassermassen überflutet. Lakebrücke, das Firmengelände von Lohmann-Edelstahl, die heutige Meesmannstraße, der Ruhrdeich bis hin zu Haus Herbede, alles stand unter Wasser. Der höchste je gemessene Pegelstand wurde um 1,18 Meter übertroffen und lag bei beeindruckenden 6,98 Metern. Laut Stadtarchiv ertranken drei Wittener Bürger.

Sieben Jahrzehnte später, ist bei Wittener Zeitzeugen dieser Tag noch in lebendiger Erinnerung. Wilma Hänel, damals 19 Jahre jung, hörte von der sich in Windeseile verbreitenden Schreckens-
nachricht und machte sich Richtung Ruhr auf den Weg. "Ich stand am Kleff, blickte ins Tal und dachte, ich wäre am Meer. Die sonst friedlich dahinfließende Ruhr war breit wie ein Strom, auf dem alles Mögliche rumschwamm. Es war ein furchtbarer Anblick." Auch der damals Im Röhr-
chen wohnende 8-jährige Karl-Heinz Hagenkötter, erinnert sich noch an das Geschehen. "Die Ruhr stand bis Haus Witten, und der Ortsteil Bommern blieb unerreichbar. Erst anderntags war das ganze Ausmaß des Desasters sichtbar. Riesige Schlammmengen, tote Tiere, zerstörte sowie beschädigte Häuser, hinweggerissene Bäume, alles lag wild herum. Unser Trinkwasser mussten wir wegen der Vergiftungsgefahr des Leitungswassers aus der Borbach, wo Verwandte einen Brunnen hatten, holen."

Ebenfalls unvergessen bleibt der 17. Mai 1943 für den zur Zeit des Unglücks am Kleff wohnenden erst vierjährigen Heinz-Georg Nordhoff. "Ich hab ja einiges von früher vergessen, aber den Anblick, als ein Hund hilflos auf seiner Hütte sitzend ruhrabwärts trieb, das bleibt garantiert auf meiner ,Festplatte' für immer gespeichert."

Der heute 81-jährige Hevener Gerhard Altenrath erinnert sich ebenfalls noch an die grauenvollen Tage. "An der Lakebrücke sah ich eine Kuh vorbeitreiben. Danach kam eine komplette Baracke, die mit der Brücke kollidierte und in tausend Stücke zerbrach. Tage später, als die Ruhr wieder in ihr Flussbett zurückgekehrt war, mussten wir Pimpfe vom ,Fähnlein Ruhrtal' morgens um sechs Uhr antreten, um die überall im Schlamm rumliegenden Flaschen der Brennerei Sonnenschein einzusammeln. Später durften wir in der Schule noch einen Aufsatz über das unvorstellbare Chaos schreiben."

Für das damals 7-jährige Bommeraner Knäblein Werner Jacob sorgte die Flut-Katasrophe für ein traumatisches Erlebnis. "Es war entsetzlich. Die Wassermassen rissen alles mit, was sich in den Weg stellte. Tierleichen, komplette Gartenhäuschen und Hühner, die sich an irgendwas festkrallten trieben ruhrabwärts. Und dann sah ich, wie ein unvorsichtiger Autofahrer mit seinem Auto von den Fluten erfasst wurde. Noch heute höre ich seine verzweifelten Schreie."

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Autor:

Alfred Möller aus Witten

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