„Nehmen Sie einfach Ihren Hut“

Oberbürgermeister Ulrich Scholten während der Sitzung des Hauptausschusses. ^Fotos: PR-Foto Köhring/AR
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  • Oberbürgermeister Ulrich Scholten während der Sitzung des Hauptausschusses. ^Fotos: PR-Foto Köhring/AR
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Rücktritt gefordert - doch im Hauptausschuss fand keine Klärung der Causa Scholten statt

Im von Kämmerer Frank Mendack beauftragten Prüfbericht der Märkischen Revision wurde klar Position bezogen: Oberbürgermeister Ulrich Scholten hätte bei der Abrechnung seiner Belege nachprüfbare Angaben zur dienstlichen Veranlassung machen müssen.

Das gelte besonders für eine Kommune unter Nothaushaltsrecht. Im Fokus der Prüfer: Bewirtungskosten der Jahre 2016 bis 2018. Dazu jeweils mit verschiedenen Mitarbeitern des OB-Referates ein Besuch im Duisburger Zoo samt Bewirtung sowie eine Neujahrsfeier und drei Workshops im Landhotel Voshövel in Schermbeck. Eigentlich wollten alle Beteiligten bis zur Hauptausschusssitzung die Füße stillhalten. Dann aber wurde der Bericht der Wirtschaftsprüfer an die Presse durchgesteckt und OB Scholten ging umgehend mit Rechtsbeistand an die Öffentlichkeit, betonte die Rechtmäßigkeit seines Handelns. Es habe keine konkreten Rechtsvorschriften gegeben, lediglich Empfehlungen des Rechnungsprüfungsamtes.

Die meisten hielten sich bedeckt

Im Hauptausschuss wurde ein eigener Tagesordnungspunkt zum Prüfbericht installiert. Ein betont gutgelaunter Oberbürgermeister bat hier seine erste Bürgermeisterin Margarete Wietelmann um Leitung der Diskussion: „Es sähe nach meiner Auffassung seltsam aus, wenn ich das übernähme.“ Die Fraktionen gingen mit unterschiedlichen Strategien ins Rennen. Die meisten hielten sich erstaunlich bedeckt. Bei der SPD hatte es im Vorfeld Irritationen gegeben. So erklärten die stellvertretenden Vorsitzenden Silvia Richter und Cem Aydemir, die Mülheimer SPD wolle zunächst das Ergebnis der Prüfung des Anfangsverdachts durch die Staatsanwaltschaft abwarten: „Im Sinne der Unschuldsvermutung und Fairness.“ Die Fraktion unterbrach ihre Meinungsbildung nach dieser offensichtlich unerbetenen Stellungnahme ohne abschließendes Ergebnis und Dieter Spliethoff gab zu Protokoll: Die Position des Parteivorstandes werde von einem Teil der Fraktionsmitglieder getragen, andere gingen jedoch davon aus, dass der Oberbürgermeister sich nicht korrekt verhalten habe und politisch nicht mehr haltbar sei. Als BAMH-Sprecher Hartmann erwähnte, der SPD-Fraktionssprecher habe über die Zeitung eine mögliche Abwahl des OB ins Spiel gebracht, antwortete Spliethoff erbost: „Ich habe nicht davon gesprochen, dass es zu einem Abwahlverfahren kommen könnte.“ Die Gemeindeordnung für das Land NRW kennt da zwei Wege: Zur Einleitung des Abwahlverfahrens bedarf es eine Zweidrittel-Mehrheit der Ratsmitglieder oder eines von mindestens 15 Prozent der wahlberechtigten Bürger der Gemeinde gestellten Antrags.

Um Sachlichkeit bemüht

Die Debatte war geprägt vom eisernen Bemühen um Sachlichkeit. Selten wurde dieses Korsett gesprengt, nur ab und zu deuteten überraschende Schärfen die tiefen Gräben an, die im politischen Mülheim klaffen. So forderte Jochen Hartmann vom Bürgerlichen Aufbruch klipp und klar: „Herr Oberbürgermeister, Sie haben der Stadt Mülheim einen schweren Schaden zugefügt. Beenden Sie das unwürdige Schauspiel. Nehmen Sie einfach Ihren Hut und treten Sie zurück.“ Durch seinen Wortbruch sei das Wort des OB doch zukünftig keinen Pfifferling mehr wert: „Weder im Rat noch im Kleingartenverein um die Ecke und schon gar nicht bei Ihren Kollegen.“ Zuvor hatte Hartmann ausdrücklich das Vorgehen der SPD-Dezernenten Ulrich Ernst und Frank Mendack gelobt, die das Richtige getan hätten, um Schaden von der Stadt abzuwenden. Gelassen antwortete Scholten, er habe die ominöse Mail nicht an die Presse versandt. Von Wortbruch seinerseits könne also keine Rede sein, er habe nur reagiert. Auch ernte er zurzeit viel Verständnis dafür, dass er sich den Vorwürfen stelle und für Transparenz sorgen wolle.

OB soll für Transparenz sorgen

Das rief CDU-Sprecherin Christina Küsters auf den Plan: „Sie als OB sind der Einzige, der die Sache aufklären kann. Sie haben von Transparenz gesprochen, dann machen Sie Ausführungen zu den einzelnen Terminen. Wir sind ein Nothaushalt. Da scheint uns das Gebot der Sparsamkeit nicht erfüllt. Ein Landhotel in Schermbeck? Da fehlt uns das Verständnis.“ Auch forderte Küsters ein Erscheinen der Märkischen Revision zur nächsten Ratssitzung. Man habe doch etliche Fragen zum Prüfbericht. Kämmerer Mendack teilte mit, dass Wirtschaftsprüfer Hans-Henning Schäfer in der kommenden Woche nicht zur Verfügung stehe. Er könne aber gerne die Fragen der Fraktionen weiterleiten. Bis zur Ratssitzung lägen dann die Antworten vor. Der Grüne Tim Giesbert formulierte konkret sein Unbehagen: „Im Bericht ist oft von kann/sollte/wäre die Rede. Wurde gegen geltendes Recht verstoßen oder nicht?“ MBI-Sprecher Lothar Reinhard sah hier ein Schmierentheater aufgeführt: „Um was geht es eigentlich bei diesem massiven Streit im Verwaltungsvorstand? Um OB-Neuwahlen?“ Statt eines externen Gutachtens habe sich das städtische Rechnungsprüfungsamt der Sache annehmen können. So hätte man die Sache aus der Öffentlichkeit halten und Stadt weitere Kosten ersparen können: „Es geht hier um reparable Lappalien.“ Prompt antwortete Kämmerer Mendack in aller Schärfe: „Ich bin fassungslos über Ihr Rechtsverständnis. Ist doch nicht so schlimm? So kenne ich Sie gar nicht. Sie sind doch seit 1990 gegen alles. Übernehmen Sie Verantwortung für die Stadt. Dann hätten wir auch keine Finanzprobleme.“

„Die Belege sind in Ordnung“

Der OB konkretisierte: den Verfügungsrahmen habe er erweitern wollen, damit er nicht auch nur ansatzweise in den Verdacht geriete, sich durch Annahme einer Bewirtung in den Anschein der Bestechlichkeit begeben zu haben. Außerdem gebiete eine gewisse Diskretion, nicht jeden Gesprächspartner der Öffentlichkeit preiszugeben. Oft sei Vertraulichkeit vereinbart. Seine Ausgaben seien durchgehend dienstlich veranlasst. Er trenne da strikt Privates vom Amt. Stadtdirektor Dr. Frank Steinfort sprang ihm bei: Es gebe da nur Privates oder Dienstliches, ein OB habe aber sehr weitgehende Aufgaben. OB-Referatsleiter Guido Brücker betonte, dass auch die Vorgänger Scholtens ihre Belege ohne genauere Angaben zur dienstlichen Notwendigkeit und Teilnehmern abgerechnet hätten. Diese Praxis sei üblich gewesen und nie beanstandet worden. Auf die Nachfrage, ob denn einzelne Belege einer Überprüfung nicht standgehalten hätten, fiel Brücker ein konkretes Beispiel ein. Eine Parkhausquittung sei vom OB irrtümlich mit der städtischen Kreditkarte beglichen worden und sofort ausgeglichen worden. Dies sei alles rechtens und dokumentiert. Allerdings räumte die rechte Hand des OB ein: „Es ist sicherlich nicht alles ideal gelaufen. Da müssen wir beide uns mal tief in die Augen schauen. Es gab organisatorische Defizite, aber die Belege sind in Ordnung.“
Das Verfahren schwebt, die Staatsanwaltschaft Duisburg und die Bezirksregierung Düsseldorf prüfen zurzeit, ob irgendein Anfangsverdacht der Veruntreuung besteht. In der Ratssitzung am Donnerstag, 5. Juli, wird weiter politische Aufklärungsarbeit betrieben. Ausgang völlig offen.

Oberbürgermeister Ulrich Scholten während der Sitzung des Hauptausschusses. ^Fotos: PR-Foto Köhring/AR
Die Stadtdezernenten Peter Vermeulen, Ulrich Ernst und Frank Mendack (von links).
Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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