Ein Bild - Eine Geschichte
Befreiung

Der Zwerg steckte den Finger tief in die Nase, bohrte eine gefühlte Ewigkeit darin herum, bevor er ihn wieder herauszog. Zufrieden betrachtete er das Ergebnis, das an seiner Fingerspitze klebte, und steckte den Finger dann in den Mund.
Mipas schüttelte sich vor Ekel, riss sich dann aber zusammen. Von seinem Versteck aus hatte er einen guten Blick auf das Gitter, vor dem der Zwerg stand. Einer der Stäbe war abgebrochen. Durch die so entstandene Lücke sollte Dereha ohne Probleme hindurchpassen. Wenn nur der Zwerg verschwinden würde. Doch der machte keine Anstalten, seinen Posten zu verlassen.
Ein Pfiff ertönte. Mipas reckte sich ein wenig und sah, dass am großen Tor ein anderer Zwerg stand und die Wache zu sich winkte, eine Schüssel in der Hand.
Jetzt oder nie. Mipas rannte im Schutz der hohen Grashalme los, sobald der Zwerg seinen Posten verließ, um seine Mahlzeit abzuholen. Darauf hatte er gehofft. Wenn es was zu futtern gab, vergaßen die dummen Zwerge alles. Er musste sich beeilen. Mipas erreichte das Gitter, nahm das Seil, das er aus Fasern der Birkenrinde geflochten hatte, band es an einen der Gitterstäbe und ließ es in den Raum dahinter hinab. „Dereha!“, rief er leise. Keine Reaktion. Er steckte seinen Kopf durch die Lücke. Im Halbdunkel konnte er seine Freundin zusammengekauert auf der Erde in einer der Ecken liegen sehen. „Dereha!“ Auch auf den zweiten Ruf regte sie sich nicht. Mipas fing zu schwitzen an. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Er zog den Kopf zurück und schaute nach der Wache. Die stand noch am Tor und unterhielt sich. Mipas grinste. Typisch Zwerg. Nicht nur dumm, sondern auch überheblich. Sie dachten nicht im Geringsten daran, dass jemand Dereha befreien würde. Aber Elfen ließen einander nicht im Stich. Mipas kroch durch das Loch im Gitter und ließ sich am Seil die Wand in den feuchten Raum hinab. Er eilte zu Dareha und rüttelte sie. Mit einem Aufschrei wachte sie auf. Rasch legte er ihr die Hand auf den Mund, um weitere Laute zu ersticken.
„Schsch. Leise. Komm mit, wir müssen uns beeilen.“
Dereha starrte ihn fassungslos an. „Mipas, was machst du hier?“
„Dich befreien, was sonst?“ Er grinste sie an und hielt ihr die Hand hin.
Sie runzelte die Stirn, nahm sie aber dann und ließ sich von ihm hochziehen. „Du bist ein Idiot. Darauf haben sie doch nur gewartet, siehst du das denn nicht? Dass du entkommen bist, war eine große Schmach für sie. Sie haben nur auf eine Gelegenheit gelauert, dich wieder zu fangen, und diesmal werden sie dich über kleiner Flamme rösten.“
Mipas verzog beleidigt das Gesicht. „Du unterschätzt mich. Sie ahnen nicht einmal, dass ich hier bin. Kommst du jetzt, oder nicht?“
Er wandte sich zum Fenster, fasste gerade nach dem Seil, als es in die Tiefe fiel. Die Wache grinste ihn von oben herunter an. Er fuhr herum, als er einen Schlüssel in die Tür zu Derehas Gefängnis gesteckt wurde. Hektisch atmend suchte er nach einem Ausweg. Dereha griff nach seiner Hand und drückte sich an ihn. Er legte schützend den Arm um sie und wartete darauf, dass die Tür sich öffnete.
www.sabine-kalkowski-schriftsteller.de

Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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