Die ewige Wiederkehr des Gleichen
Als die Bildungsbürger - die 68er - noch nachdachten

- Die ehemaligen Bildungsbürger – die 68er
( Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat )
Was uns im Elternhaus zuteil wurde, staubte mit dem Bildungsbürgertum so vor sich hin, in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets. Sie besaß ein Jungen – und ein Mädchengymnasium, eine Kirche und ein sehr kleines Arbeitsamt, weil es zu der Zeit noch wenig Arbeitslose gab.
Während die Jungen in den Pausen von ihrem Schulhof wichen und am Zaun des Mädchengymnasiums landeten, um Austausch mit den jungen Damen zu pflegen, oder auch nur vieldeutige Blicke auszutauschen, verlagerte sich die Kommunikation der Schülerinnen auf die Toiletten.
Dort konnte man ungestört rauchen, Spickzettel für Klassenarbeiten deponieren oder die neusten Ereignisse mit dem anderen Geschlecht meistbietend anpreisen. In der Stadt befanden sich drei Kaufhäuser und ein Marktplatz.
Hier trafen sich die Penner und Hippies, oder solche, die es zu sein glaubten, in der Regel Oberschüler.
Man übte schon mal für spätere Zeiten das Gammeln, zeitlich begrenzt, da man sich zum familiären Mittagsessen einfinden musste.
Da das Gammeln viel Zeit in Anspruch nahm, war dann das Essen kalt und die Mutter hitzig. Wenn es Zeugnisse gab, traf man sich in einem Café.
Ein sorgsam besorgter Tintenkiller machte die Runde und Fehlstunden wurden auf ein angemessenes Maß reduziert.
In der ortsansässigen Tanzschule lernte man Benimm. Sonntags nach dem obligatorischen Tanztee aber konnte man sich in der nachfolgenden Disco bei laut krachenden Rhythmen erholeoder Liebesgeschichten einfädeln, mit denen das „Eltern belügen“ professionell erlernt wurde.
Alles hatte seine Ordnung zu jenen Zeiten.
Die Eltern fanden das „langhaarige Gesocks“ schrecklich und das „langhaarige Gesocks“ fand die Spießbürger schrecklich.
Kämpfe wegen kaputter Jeans und ausgelatschter Boots, die plötzlich im Mülleimer landeten und von der Jugend wieder heraus gefischt wurden, gaben Anlass, gegen das Establishment zu sein. Politisch machte man Prognosen, damit die Prognosen nicht eintrafen, so wie im Mittelalter das Vorhandenseins eines Drachen damit begründet wurde, dass man ihn nicht sehen konnte.
Als dann überall Studenten revoltierten, organisierte man in der kleinen Stadt die „Rote Punkt Aktion“ gegen die Verteuerung der Straßenbahngebühren.
Alle Autos mit einem roten Punkt nahmen kostenlos Passagiere mit. Ein schöner großer Student leitete mit einem schönen großen Megaphon die nicht allzu große Menge.
Man tat ein gutes Werk. Es stieß auf Widerstand und die Presse bebilderte es nachhaltig prächtig in einschlägigen Zeilen.
Später besetzte man das ein oder andere Haus, um ein freies Jugendzentrum zu bekommen, was am Unwillen der Hausbesitzer scheiterte. Sie sandten nach öffentlichen Behörden und die Polizei entfernte die Besetzer ziemlich unsanft, doch die Genossen vom KBW, die damals vorherrschende Sekte, ließen sich nicht davon abhalten, gleich wieder ein neues Haus zu besetzen.
Der Staat war Feindbild Nummer Eins, von dem Unterdrückung und Gewalt ausging, doch manche Gedanken entsprangen eher nach-pubertären Kämpfen
gegen die autoritären Eltern.
Die Kriegsgeneration hatte nie über den Krieg gesprochen, es herrschte ein starrsinniges Schweigen, doch in den Köpfen befand sich eine Menge dunkles Zeug. Die Nazizeit war zwar vorbei, doch das erlernte Verhalten grummelte im Untergrund weiter vor sich hin.
Knapp und nichtssagende Familiengeschichten verheimlichten oder verharmlosten mehr als sie offenlegten, als habe man nichts gewusst.
Oder sie brüsteten sich mit rühmenden Beispielen ihres persönlichen Widerstandes. Dass man mitgemacht hatte, wollte man vor der fragenden Jugend natürlich nicht zugeben und rechtfertigte seine Unwissenheit.
Die kleine Stadt hatte ein Konzentrationslager gehabt, aber darüber wurde lange nichts bekannt, da man nur so etwas gehört, aber eigentlich nie gewusst hatte.
Die Bürgerkinder der Kriegsgeneration wurden ganz bürgerlich mit Nachhilfestunden, Musikunterricht, Sportvereinen und Kirchgang gedrillt. Leistung war das A und O, in der Schule und privat. Man sollte es einmal besser haben, etwas „Anständiges“ werden.
Eltern übersahen ihre eigenen Traumata und gaben den ganzen Wahnsinn an ihre Kinder weiter, die mit einer neuen Art des Denkens im Widerstreit zu den alten Normen standen. Die Jugend war radikal, reagierte mit radikaler Ablehnung auf die immer noch vorherrschende Radikalität des immer noch vorherrschenden Gedankenguts.
Man demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und erwog einen marxistischen Umschwung, wobei sich Marxisten und Libertäre nie einigten. Kiffende wenig politische Hippies propagierten derweil für die Verwerfung der bürgerlichen Normen und Formen im Musik und Kleidungsstil, gründeten antiautoritäre Kinderläden.
Viele Bürgerkinder, die Revolution probten, befanden sich später genau in jenem Establishment wieder, das sie so hartnäckig bekämpft hatten. Auch Rudi Dutschke mit dem langen Marsch durch die Institutionen hätte damals nicht mit einem Joschka Fischer und seiner Bereitschaft, in einen Krieg einzutreten, gerechnet.
Der Neoliberalismus schluckte alles und die Genossen wechselten in gut dotierte Jobs und linke Denker machten es sich in Talkshows bequem.
Am System änderte sich nichts.
Alles hatte seine Ordnung.- Bildungsbürger – die 68er
( Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat )
Was uns im Elternhaus zuteil wurde, staubte mit dem Bildungsbürgertum so vor sich hin, in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets. Sie besaß ein Jungen – und ein Mädchengymnasium, eine Kirche und ein sehr kleines Arbeitsamt, weil es zu der Zeit noch wenig Arbeitslose gab.
Während die Jungen in den Pausen von ihrem Schulhof wichen und am Zaun des Mädchengymnasiums landeten, um Austausch mit den jungen Damen zu pflegen, oder auch nur vieldeutige Blicke auszutauschen, verlagerte sich die Kommunikation der Schülerinnen auf die Toiletten.
Dort konnte man ungestört rauchen, Spickzettel für Klassenarbeiten deponieren oder die neusten Ereignisse mit dem anderen Geschlecht meistbietend anpreisen. In der Stadt befanden sich drei Kaufhäuser und ein Marktplatz.
Hier trafen sich die Penner und Hippies, oder solche, die es zu sein glaubten, in der Regel Oberschüler.
Man übte schon mal für spätere Zeiten das Gammeln, zeitlich begrenzt, da man sich zum familiären Mittagsessen einfinden musste.
Da das Gammeln viel Zeit in Anspruch nahm, war dann das Essen kalt und die Mutter hitzig. Wenn es Zeugnisse gab, traf man sich in einem Café.
Ein sorgsam besorgter Tintenkiller machte die Runde und Fehlstunden wurden auf ein angemessenes Maß reduziert.
In der ortsansässigen Tanzschule lernte man Benimm. Sonntags nach dem obligatorischen Tanztee aber konnte man sich in der nachfolgenden Disco bei laut krachenden Rhythmen erholeoder Liebesgeschichten einfädeln, mit denen das „Eltern belügen“ professionell erlernt wurde.
Alles hatte seine Ordnung zu jenen Zeiten.
Die Eltern fanden das „langhaarige Gesocks“ schrecklich und das „langhaarige Gesocks“ fand die Spießbürger schrecklich.
Kämpfe wegen kaputter Jeans und ausgelatschter Boots, die plötzlich im Mülleimer landeten und von der Jugend wieder heraus gefischt wurden, gaben Anlass, gegen das Establishment zu sein. Politisch machte man Prognosen, damit die Prognosen nicht eintrafen, so wie im Mittelalter das Vorhandenseins eines Drachen damit begründet wurde, dass man ihn nicht sehen konnte.
Als dann überall Studenten revoltierten, organisierte man in der kleinen Stadt die „Rote Punkt Aktion“ gegen die Verteuerung der Straßenbahngebühren.
Alle Autos mit einem roten Punkt nahmen kostenlos Passagiere mit. Ein schöner großer Student leitete mit einem schönen großen Megaphon die nicht allzu große Menge.
Man tat ein gutes Werk. Es stieß auf Widerstand und die Presse bebilderte es nachhaltig prächtig in einschlägigen Zeilen.
Später besetzte man das ein oder andere Haus, um ein freies Jugendzentrum zu bekommen, was am Unwillen der Hausbesitzer scheiterte. Sie sandten nach öffentlichen Behörden und die Polizei entfernte die Besetzer ziemlich unsanft, doch die Genossen vom KBW, die damals vorherrschende Sekte, ließen sich nicht davon abhalten, gleich wieder ein neues Haus zu besetzen.
Der Staat war Feindbild Nummer Eins, von dem Unterdrückung und Gewalt ausging, doch manche Gedanken entsprangen eher nach-pubertären Kämpfen
gegen die autoritären Eltern.
Die Kriegsgeneration hatte nie über den Krieg gesprochen, es herrschte ein starrsinniges Schweigen, doch in den Köpfen befand sich eine Menge dunkles Zeug. Die Nazizeit war zwar vorbei, doch das erlernte Verhalten grummelte im Untergrund weiter vor sich hin.
Knapp und nichtssagende Familiengeschichten verheimlichten oder verharmlosten mehr als sie offenlegten, als habe man nichts gewusst.
Oder sie brüsteten sich mit rühmenden Beispielen ihres persönlichen Widerstandes. Dass man mitgemacht hatte, wollte man vor der fragenden Jugend natürlich nicht zugeben und rechtfertigte seine Unwissenheit.
Die kleine Stadt hatte ein Konzentrationslager gehabt, aber darüber wurde lange nichts bekannt, da man nur so etwas gehört, aber eigentlich nie gewusst hatte.
Die Bürgerkinder der Kriegsgeneration wurden ganz bürgerlich mit Nachhilfestunden, Musikunterricht, Sportvereinen und Kirchgang gedrillt. Leistung war das A und O, in der Schule und privat. Man sollte es einmal besser haben, etwas „Anständiges“ werden.
Eltern übersahen ihre eigenen Traumata und gaben den ganzen Wahnsinn an ihre Kinder weiter, die mit einer neuen Art des Denkens im Widerstreit zu den alten Normen standen. Die Jugend war radikal, reagierte mit radikaler Ablehnung auf die immer noch vorherrschende Radikalität des immer noch vorherrschenden Gedankenguts.
Man demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und erwog einen marxistischen Umschwung, wobei sich Marxisten und Libertäre nie einigten. Kiffende wenig politische Hippies propagierten derweil für die Verwerfung der bürgerlichen Normen und Formen im Musik und Kleidungsstil, gründeten antiautoritäre Kinderläden.
Viele Bürgerkinder, die Revolution probten, befanden sich später genau in jenem Establishment wieder, das sie so hartnäckig bekämpft hatten. Auch Rudi Dutschke mit dem langen Marsch durch die Institutionen hätte damals nicht mit einem Joschka Fischer und seiner Bereitschaft, in einen Krieg einzutreten, gerechnet.
Der Neoliberalismus schluckte alles und die Genossen wechselten in gut dotierte Jobs und die linken Denker machten es sich in Talkshows bequem.
Am System änderte sich nichts.
Alles hatte seine Ordnung.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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