Der „Knochen-Karl“ erzählt:

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"Ich stehe jetzt schon seit 1937 hier, also seit 76 Jahren und ich kann Euch sagen, es war seitdem ein einziges Kommen und Gehen!
Der Josef Enseling hat mich gemacht und gut sehe ich aus: Vielleicht etwas mürrisch und störrisch, aber ehrlich! Ich bin ein einfacher Arbeitsmann vom Pütt und keiner von diesen riesigen, heldischen Drei-Meter-Fleischklöpsen, die die angebliche Überlegenheit der germanischen Rasse darstellen sollten.
Erinnern soll ich an die gefallenen Kameraden aus dem ersten Weltkrieg , die hier auf Zeche Constantin geschuftet haben!
Deutschland wollte damals Weltmacht werden, der Kaiser und die Hochfinanz wollten dringend neue Kolonien erobern und der übrigen Welt zeigen, wie überlegen Deutschland doch war...
Na, ja zum Glück ist da ja nichts draus geworden, aber die bekloppte Idee von der „Weltmacht“, die war nicht aus den Köpfen zu kriegen!
Ich stand kaum zwei Jahre hier, es war 1939, da sah ich sie wieder marschieren, die feldgrauen Soldaten.
Die gleichen Stahlbarone und Bankiers aus Kaisers Zeiten hatten nun in Hitler und seiner NSDAP Leute gefunden, die für Sie den nächsten Weltkrieg vom Zaun brachen.
„Nationalsozialisten“, was soll bitteschön an diesen Verbrechern sozialistisch gewesen sein?
Wenige Jahre später kamen dann die Nächsten vorbei, Männer in schwarzen SS-Uniformen und Polizisten und vor sich her trieben sie unschuldige Menschen, Juden, die haben sie dann in den Osten gebracht und dort ermordet....
Bald darauf kehrte der Krieg nach dorthin zurück, wo er begonnen hatte, Deutschland:
Die Bomber kamen und luden ihre tödliche Fracht über dem Ruhrgebiet ab.
Mensch, ich weiß noch, wie Bochum danach ausgesehen hat!
Darum Leute, glaubt niemals wieder den Nationalisten, egal ob sie sich NPD, Die Rechte, AfD oder sonst wie nennen, die Zeche für ihre „großen Pläne“ zahlen immer wir: die einfachen Leute, die Arbeiterklasse, das Proletariat!
Die nächsten, die kamen, waren die Amerikaner, die haben uns hier im Westen von der Nazipest
befreit, doch wer hoffte, dass sich nun alles ändert: Pustekuchen, schon bald sollten die alten Eliten
wieder oben sein!
Ich glaube, den Meisten ging es damals so wie mir, wir waren froh, dass der verdammte Krieg endlich aus war.
Wir hofften nur, dass Deutschland nie wieder Krieg führen würde, aber auch der Traum hatte sich dann nach einigen Jahrzehnten erledigt....
Dann haben hier die Frauen in den Trümmern erst mal wieder etwas Ordnung gemacht, aber es sollte noch Jahre dauern, bis alles wieder aufgebaut war.
Jetzt kamen erstmal die Flüchtlinge aus dem Osten und wenn Ihr glaubt, dass die Allen hier willkommen waren, dann täuscht Ihr Euch!
Die haben hier zum Teil erstmal ganz schön was mitgemacht!
Auf den Wiederaufbau folgte das Wirtschaftswunder und das Kapital brauchte immer mehr billige Arbeitskräfte für immer mehr Wirtschaftswachstum.
Südländische Arbeiter aus Italien, Spanien, Portugal, Jugoslawien, Griechenland und schließlich der Türkei waren die Nächsten, die kamen, um hier unter Tage und in den Stahlwerken zu malochen.
Als später dann die Zechen starben, ging es dann ab nach Opel ans Band.
Besonders gut behandelt hat man diese „Gastarbeiter“ hier nicht, waren ja auch nur für die Knochenarbeit hier hergekommen.
In den 70ern durften dann auch die Familien nachziehen und damit wurden dann aus „Gastarbeitern“ eigentlich Einwanderer, was aber lange Zeit niemand wahrhaben wollte.
Und hat man sich um die Leute gekümmert? Ihnen Sprachkurse vermittelt?
Viel zu wenig, die Folgen kann man heute noch spüren!
Ihr kennt den Spruch: „Arbeitskräfte haben wir gerufen und Menschen sind gekommen!“
Jetzt hätte ich doch fast noch was vergessen: 1965 haben sie ja auch hier die Uni fertig gebaut und seitdem kommen sie aus aller Welt, aus Asien, aus Afrika, aus Indien, wer weiß woher und studieren hier.
Hier bleiben wollen aber nicht viele, „strukturschwache Region“, so wird das Ruhrgebiet heute genannt!
Und wenn jetzt auch noch Opel geht...
Na ja, irgendwie wird es schon weiter gehen.
Macht es wie ich, bleibt aufrecht und lasst Euch nicht verbiegen!
Glück auf!“
sagt Euer „Knochen-Karl“

Autor:

Christoph Nitsch aus Bochum

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