"Wir müssen reden" ... oder Tofu-Spargel-Curry mit Grauburgunder

Wir waren eine der Familien. 

Es begann im April, als der kryptische Aufruf des Bochumer Schauspielhauses, für eine Stückentwicklung Personen zum Abendessen einzuladen, unser Interesse weckte. Der Ruf durch die Wohnung in Richtung meines Mannes „Sollen wir mitmachen?“ wurde positiv beantwortet und so schrieb ich eine humorvolle „Bewerbung“ mit Hinweis auf unsere „kleine, unaufgeräumte Wohnung“, unsere Leidenschaft für scharfes Essen und unseren Hang zu außergewöhnlichen Geschichten.

Diese außergewöhnliche Geschichte fand dann an einem Dienstagabend statt. Die Wohnung wurde geputzt, jedoch nicht aufgeräumt, auf dem Herd wokkte ein scharfes Spargel-Tofu-Curry vor sich hin. Pünktlich um 19 Uhr standen Autorin Laura Naumann und Regisseurin Anna Fries vor der Tür. Die ungewöhnliche Unterhaltung war entspannt und vielschichtig, wir kamen sozusagen von „Hölzchen auf Stöckchen“. Wir mussten erkennen, dass das Thema „Familie und Staat“ eine spannende Gedankenreise war. Der Grauburgunder passte hervorragend.
 
Der Uraufführung gestern (am 22.9.2017, falls Sie das hier erst sieben Wochen später lesen sollten) haben wir daher mit erwartungsvoller Spannung entgegen gesehen. Wir wurden nicht enttäuscht! Aus unseren Meinungen und Kommentaren (und natürlich auch aus denen der anderen Bochumer Familien) wurden sowohl heitere als auch bedrückende Episoden eines Familienlebens gewoben. Natürlich gab es keine wörtliche Wiedergabe des Gesagten. Unsere Gespräche wurden mehr als Ansatz, als Ideengeber genutzt, um das facettenreiche Leben um den abendlichen Esstisch darzustellen. Ehrlich gesagt bin ich recht froh darüber, dass es tatsächlich keine authentische Wiedergabe der Gespräche war, denn schon die Eröffnungsszene rief Schrecken und (wohliges) Entsetzen hervor: Die Familie du jour versammelte sich zum Abendessen und was „Vatter“ sagte und tat, wurde gemacht. Untermalt wurde die Szene mit einer nervenaufreibenden Musik. Zugegeben, ich mag literarische Abgründe! Gleichzeitig war es auf groteske Art komisch.
 
Die Familie auf der Bühne liebte, lebte und, vor allem, zeterte! Vom gemüsehaltigen Brotaufstrich und unnützen Haushaltsanschaffungen über den Weltfrauentag bis hin zu Rassismus und Flüchtlingskrise wurde alles diskutiert. Harmonisch ging es nur selten zu. Küsschen hier, Küsschen da. Und ohne Omma geht übrigens nichts. Überhaupt gar nichts.

Das auf dem Balkon nistende Rotkehlchenpärchen stellte Mutter Anke immer wieder vor große Herausforderungen: Der Lavendel musste ohne Verluste weiterhin gegossen werden; die lauernden Krähen wurde später mit einem Luftgewehr mit Schalldämpfer - damit die Familie nichts mitkriegte - erschossen. Ein Hauch von Loriot und Mr. Bean lag abwechselnd in der Luft.

Seinen dramatischen Höhepunkt erreichte „Wir müssen reden“ in einer mit stroboskopischen Effekten untermalten Kampfszene. Jeder gegen jeden, es flogen Geschirr und Stühle. Mord und Totschlag im Zeitlupentempo! Die Abgründe eines Familienlebens waren verstörend, gleichsam genial und, natürlich - hoffentlich, völlig überzeichnet.

Die fünf Darsteller Günter Alt, Jana Deppe, Therese Dörr, Lisa Jopt und Anke Zillich überzeugten in ihren jeweiligen Figuren. Mal furchteinflößend, mal liebenswert, streitsüchtig und angstgetrieben und immer glaubwürdig.

Am Ende gab es in Harmonie geschmierte Schnittchen für alle, je nach Vorlieben vegan oder fleischhaltig. Die Aufforderung „Wir müssen reden“ war unmissverständlich und zeigte letztendlich, dass nur durch Kommunikation, Zuhören und Toleranz ein Zusammenleben möglich ist.

Also: Ab ins Theater Unten im Bochumer Schauspielhaus! Wir müssen reden - Schauspielhaus Bochum

Autor:

Daniela Dohmen aus Bochum

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