Mord an der Gilsingstraße – „Lebenslänglich“ für die Angeklagte hinterlässt große Nachdenklichkeit

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Nach über zehn Verhandlungsterminen fiel am Mittwoch, 30. Mai 2012 in einer der bedrückendsten Straftaten Bochums ein Urteil, das von Anfang an schon zu befürchten war:
Lebenslänglich für die zur Tatzeit 31- jährige Bochumer Arzthelferin, die ihren Liebhaber und Vater ihres Kindes auf eine kaum vorstellbare Art und Weise tötete.

Ziel seiner Verteidigung sei es, die drohende lebenslange Freiheitsstrafe abzuwenden, hatte Verteidiger Rechtsanwalt Egbert Schenkel vor dem Prozess-Auftakt der Presse gegenüber erklärt.
Der Wunsch nach einem gerechten Urteil dürfe nicht in erbarmungsloser Bestrafung enden, äußerte er in seinem Plädoyer. Die Angeklagte würde ohnehin ihr Leben lang an ihrer Schuld tragen.
Verhindern konnte er das Urteil „Lebenslänglich“ nicht. Der Prozess endete in erbarmungsloser Bestrafung.

Gerichtet wurde über eine Tat, die alle von ihr unfreiwillig Betroffenen zu Opfern werden ließ. Wie auch immer das Urteil ausgefallen wäre, es ändert nichts an dieser Tatsache.
Es ändert nichts an der aus dem Mord resultierenden, plötzlich völlig veränderten Lebenssituation aller Hinterbliebenen; sowohl der Hinterbliebenen des getöteten Mannes, als auch der Angehörigen der von einem Tag zum anderen zu einer Mörderin gewordenen Arzthelferin.
Und es ändert nichts am Tod eines Menschen, der seine Vaterschaft leben wollte.

Allen weiteren Ausführungen voran bleibt die Tat an sich verwerflich. Zu planen, einen Menschen mit Medikamenten zu betäuben, zu denen man problemlos Zugang hat, sie in Form eines bereits vorbereiteten „Schlummertrunks“ zu einem Treffen mitzubringen und anschließend auf einen wehrlosen Menschen einzustechen, den man so sehr liebte, dass aus der Verbindung ein Kind entstand, bedeutet einiges.

Und dennoch ist es gerade diese der Öffentlichkeit als „kaltblütig durchdacht“ präsentierte Handlung, die gar nicht deutlicher aufzeigen könnte, wie sehr hier ein noch junger Mensch völlig verzweifelt in einer ihm ausweglos erscheinenden Situation gefangen war, dass er nur noch in einer Richtung denken und den einmal gedanklich eingeschlagenen Weg bis zum Ende weiterzuverfolgen konnte.
Ein Weg, der für den auf ihm „Gefangenen“ zu einer Einbahnstraße wurde, wo jeder andere Unbeteiligte, der aus einer anderen Betrachtungsebene auf ein Geschehen blickt, reichlich Möglichkeit gesehen hätte, umzukehren. Von außen aber lässt es sich leicht urteilen.

Auch wenn psychiatrische Gutachten die Täterin nicht als psychisch krank einstufen und ihr die volle Schuldfähigkeit bescheinigen, handelte sie „verzweifelt, innerlich zerrissen und hoch emotional“ aus einer psychischen Ausnahmesituation heraus.
Emotionale Gefangenheit und Zukunftsangst ließen für die Arzthelferin ganz offenbar keinen anderen Weg mehr zu. An Konsequenzen zu denken, ist Betroffenen in diesem Augenblick einer Einflussnahme der übermächtig starken Macht der Emotionalität nicht möglich. Es geht dann nur noch allein um das Erreichen eines Ziels, das als Befreiung aus einem alles umklammernden Gefängnis angesehen wird.
Eine andere Betrachtungsebene auf durchlebte Situationen wird erst erreicht, wenn der Zustand der Ernüchterung eintritt und sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt.

Laut Pressemitteilung stuften die beiden psychiatrischen Gutachter die Frau als „geistig und körperlich gesunde Persönlichkeit“ ein, werteten die Tat als „gesteuerte Handlung“, die „rational aggressiv geplant und intelligent organisiert worden" sei und kamen zu dem Schluss, die Frau habe seinerzeit „unter einer leichten, vielleicht mittleren Depression gelitten“. Von einem möglicherweise strafmildernden Krankheitszustand könne nicht geredet werden.

An diesem Punkt erscheint dem juristischen Laien das harte Urteil zweifelhaft und angreifbar.
Auch wenn die "geistige Gesundheit" im juristischen Sinne als Maßstab einer forensischen Unterbringung zu sehen ist: Wer an einer leichten bis mittleren Depression erkrankt ist, ist weder psychisch noch körperlich als „gesund“ einzustufen. Dass von einem strafmildernden Krankheitszustand nicht geredet werden könne, hinterlässt deshalb schwere Bauchschmerzen.

Eine Depression ist eine Erkrankung und bedeutet hinsichtlich des psychischen Erlebens und der körperlichen Symptome einen schlimmen Krankheitszustand, der nicht von heute auf morgen verschwindet, wie eine vorübergehende Übelkeit oder eine Erkältung.
Wer an einer Depression erkrankt ist, erkennt sich selber oft nicht wieder, weiß um die inneren Zerrissenheiten, die alternatives Denken und Handeln oft genug nicht zulassen und Blockaden des Denkens hervorrufen.

In depressiven Episoden denkt, fühlt, spricht und handelt der Erkrankte in einer Weise, in der er in gesunden Phasen nicht denken, fühlen, sprechen und handeln würde. Völlig unverständliche Verhaltensweisen können die Folge sein.
Es wird nicht umsonst empfohlen, im Zustand einer depressiven Erkrankung keine Entscheidungen größerer Tragweite zu treffen.
Treten überfordernde Situationen hinzu, entwickelt der Erkrankte den Tunnelblick, der rationales Denken im Hinblick auf das Erreichen eines Ziels noch durchaus möglich macht. Nur so ist es dem kranken Menschen möglich, aus diesem Tunnelblick heraus "kaltblütig durchdacht" gegen sich selbst und "intelligent organisiert" seine Selbsttötung zu planen. Die Zahl der Suizide liegt in Deutschland bei ca. 10.000 pro Jahr.

An diesem Punkt erscheint dem Außenstehenden, der die Verhandlung nicht durch persönliche Anwesenheit verfolgen konnte, das Verständnis für die psychische Situation eines in einer depressiven Episode steckenden Menschen zu schwach ausgeprägt und der Krankheits- und Leidenszustand zu gering eingeschätzt.
Es mutet unverständlich an, dass bei anderen Straftaten einer Handlung unter Alkoholeinfluss eine verminderte Steuerungsfähigkeit bescheinigt wird, die einer Tat unter einer Depression nicht zugestanden wird.

Während die Bochumer Richter bei von Männern begangenen Straftaten und speziell bei gegen Frauen und Kinder gerichteten Taten mit häufig sexuellem Hintergrund sonst eine eher unverständliche Milde an den Tag legen, die nicht selten eine tiefe Empörung der Bürger hervorruft, wurde im Fall des Mordes an der Gilsingstraße bei aller Verwerflichkeit der Tat diesmal ein unerwartet gnadenloses Urteil gefällt, das eine anwaltliche Vertretung der Angeklagten fast entbehrlich erscheinen lässt.

Es sollte hier deshalb auch einmal die provokative Frage gestattet sein, ob bei geschlechterumgekehrtem Sachverhalt über die Affären eines Mannes und einer daraus resultieren Tötung einer Frau vergleichbar hart geurteilt worden wäre, wie im Fall der jungen Frau, die zwei Männer betrog und einen von ihnen tötete. Es mutet fast so an, als wiege deren Schuld weit schwerer.

Aus diesem Grund darf das Urteil über den derzeit ebenfalls verhandelten und von Anwalt Schenkel verteidigten Mordfall mit Spannung erwartet werden, bei dem ein Mann seine Ehefrau im Schlaf mit mehreren Messerstichen tötete, weil sie sich von ihm trennen wollte.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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