Opfer auf Lebenszeit – Eine Filmnachschau

Jede Straftat zieht Kreise, wie ein ins Wasser geworfener Stein. Ein Film, der auf beeindruckend vielfältige Weise ansprach und mitnahm, wurde gestern Abend, 14.12.11 um 20.15 Uhr unter dem Titel „In den besten Jahren“ in der ARD gezeigt.
Das TV-Drama um die Folgen des RAF-Terrors für die Hinterbliebenen, das durchaus dokumentarische Züge erreichte, machte das Leid nicht nur eines Menschen deutlich, der durch die Straftat eines Einzelnen lebenslang zum Opfer wurde.

Da ist der getötete, lebensbejahende Familienvater, dem im Routinedienst der Polizei vorzeitig das Leben genommen wurde, weil er wegen einer registrierten Geschwindigkeits-übertretung die Personalien des Fahrers kontrollieren wollte.
Da ist dessen Witwe, die durch die erlittene Traumatisierung auf Lebenszeit in die Depression abrutscht, den unerwarteten Einschnitt in ihr bis dahin positives Leben nicht verarbeiten kann, und schließlich deren sechsjährige Tochter, die fortan mit den Verlust des Vaters und der Entfremdung der Mutter leben muss.
Sie muss schließlich als Erwachsene mit eigener Familie begreifen, dass ein Ablegen der Vergangenheit nie möglich sein wird, da die Mutter dem Trauma, das einen Menschen fest im Griff hat, nicht auf Kommando entrissen werden kann.

Der Film von Regisseur Hartmut Schön verfolgte die Absicht, den Blick auf das Schicksal betroffener Angehöriger von Opfern zu lenken, die abseits des Rampenlichts unter Straftaten zu leiden haben, deren Folgen ihnen ungefragt auferlegt worden sind.
Es sind die Medien, die die Täter und jene Prominenz ins öffentliche Blickfeld rücken, denen eine Tat galt, während sie die am Rande gleichermaßen Betroffenen als Sekundär-Opfer dadurch noch um so stärker leiden lassen, als ihnen mit der Zeit immer deutlicher wird, dass ihre seelische Betroffenheit nicht von öffentlichem Interesse zu sein scheint. Dass man sie in ihrer Not und ihrem Bedürfnis um öffentliche Anerkennung ihres Leidens verhungern lässt, lässt sie in ihrer Ohnmacht vollständig erstarren.
Im Umgang mit den „kleinen Alltags-Opfern“ tragen Medien eine wichtige Mitverantwortung, der sie sich möglicherweise nicht immer bewusst sind. Durch Unsichtbar machen der Qualen infolge unterlassener Berichterstattung begeben sie sich letztlich ebenfalls in eine Form der Täter- bzw. Verursacher-Rolle.

Das Drama machte in übertragbarer Weise das Leid derer deutlich, die letztlich tagtäglich durch den unvorhersehbaren Verlust eines geliebten Menschen, eines Familienmitglieds, eines nahen Verwandten oder eines Freundes derart erkranken, dass sie die plötzlich veränderte Lebenssituation nicht mehr bewältigen können und den Weg aus der Gefangenheit im Schock trotz aller Hilfe und Fürsorge von außen nicht bewältigen.
Ein Weg, der vor allem dann nicht genommen werden kann, wenn bewusst ist, dass ein Täter nicht bestraft wurde, kein angemessenes oder ein nur schwer verständliches Strafmaß erhielt oder vorzeitig wieder frei kam.

Der Mörder, der den Polizisten im Dienst erschoss, kam infolge der Kronzeugenregelung frei und erhielt Geld, um ein neues Leben beginnen zu können. Grund genug für Film-Witwe Senta Berger, die Hintergründe verstehen und an ihm Rache nehmen zu wollen, um den Schmerz zu bewältigen; was ihr nicht mehr gelingt, da der Mörder zu diesem Zeitpunkt bereits schon nicht mehr lebte.

In bedrückend anschaulicher Weise gelang es dem Film, dem Zuschauer die inneren Konflikte der betroffenen Witwe nahe zu bringen und in Bilder umzusetzen, die das eigene Erleben unmittelbar ansprachen und ein Nachempfinden möglich werden ließen.
Wie muss ein Mensch sich fühlen, dessen inneres Trauma mit all den damit verbundenen Gefühlen mit Macht nach außen drängt, weil es die Seele zu ersticken droht, während er gleichzeitig immer wieder voller Schuld erlebt, wie er sein Umfeld darunter leiden lässt, dass er sich nicht zusammenreißen kann. Während er selber nach einer eigenen Form der Bewältigung sucht und daran immer wieder scheitert, belastet er die Menschen, die er liebt und bringt sie, die die schwer traumatisierte Angehörige nicht sich selber überlassen können, um die Chance eines neuen Lebens.

Hier wurde spürbar, dass das genau der Punkt im Leben sein kann, an dem vielen Menschen nur noch der Weg in einen Selbstmord bleibt, weil der Zustand der Gefangenheit in Trauma und Depression und die zur gleichen Zeit gefühlte Schuld seinen Mitmenschen gegenüber vom erkrankten Menschen nicht parallel ausgehalten werden kann.

Die Witwe kompensierte ihre Qualen in Zwangshandlungen wie dem ständigen Waschen der Gardinen. Sie lebte weiter, um aufzuklären und ihren Mann zu rächen. Am Ende half ihr, die Mutter des Täters aufzufinden, die durch das Zusammentreffen die Chance erhielt, ihre eigene Last angesichts der Tat ihres Sohnes zu verdeutlichen und um Verzeihung zu bitten.

Der Moment des Aufeinandertreffens und des einander in die Augen schauens ließ spüren, wie sehr es manchmal hilfreich sein kann, das eigene Leid für einen kurzen Moment zu verlassen und den Blick auf die gleichermaßen von einer Tat Betroffenen zu richten, die ebenfalls Zeit ihres Lebens daran zu tragen haben, weil sie sich als Angehörige eines Täters mitschuldig fühlen.
Aus diesem Grund mögen fachkundig begleitete Mediationen zwischen Betroffenen oder zwischen Täter und Opfer durchaus hilfreich sein, beiden Seiten eine Verarbeitung zu ermöglichen und den Weg zurück ins Leben zu ebnen.

Angesichts des gestern ausgestrahlten Films mit seinen Botschaften, drängt sich erneut der Fall der Ermordung des Bochumer Bankers an der Gilsingstraße ins Bewusstsein, der wegen der ganz speziellen Tragik so schnell nicht vergessen werden kann.
Wie viele Kreise hat der Stein bereits gezogen, den die junge Ehefrau des Arztes als Täterin ins Wasser warf? Und wie viele Kreise wird er erst für ihren kleinen Sohn noch ziehen?
Unabhängig von der noch ausstehenden Gerichtsverhandlung und dem hier zu verhängenden Strafmaß bleibt allen Angehörigen zu wünschen, dass sie einander verstehen, einander vor allem verzeihen und frei von selbst auferlegter Schuld den Weg in ein verändertes und möglichst traumafreies Leben finden können.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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