„Die Welt braucht gut erfundene Geschichten“ - Patienten und Mitarbeiter der Psychiatrie spielen „Peer Gynt“ im Theater Unten des Schauspielhauses

Solveig hat es nicht immer leicht mit Peer. | Foto: Kirch
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„Mein Anliegen war und ist es, das Theaterspielen noch mehr zu Menschen zu bringen, die nicht so selbstverständlich in den Genuss solcher Projekte kommen“, erzählt Regisseurin und Theatertherapeutin Sandra Anklam, warum sie gemeinsam mit einer Ärztin vor neun Jahren eine Gruppe ins Leben gerufen hat, in der Patienten und Mitarbeiter der LWL-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin gemeinsam auf der Bühne im Theater Unten des Schauspielhauses stehen.

Dabei sind diese Aufführungen nicht zuletzt für die Zuschauer eine heilsame Erfahrung, wie Anklam, die 2012 mit dem Anti-Stigma-Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde ausgezeichnet wurde, schmunzelnd anmerkt: „Viele versuchen zu erraten, wer von den Schauspielern Patient und wer Pfleger oder Arzt ist. Die Trefferquote ist immer sehr gering.“

Peer Gynt versucht, der Realität zu entfliehen

Im vergangenen Jahr kam Marcel Cremers „Der König ohne Reich“ auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Ging es damals um Selbstermächtigung, steht in diesem Jahr einer im Mittelpunkt, der versucht, mit Lügengeschichten der Realität zu entfliehen: Henrik Ibsens „Peer Gynt“. Regisseurin Anklam hat Thomas Birkmeirs Fassung ausgewählt – auch aus praktischen Gründen, wie sie erklärt: „Ich muss mich für einen Stoff entscheiden, bevor ich weiß, wie viele Teilnehmer dabei sind. Durch die Chorstruktur lässt mir Birkmeir in dieser Hinsicht viele Freiheiten. Diesmal sind 19 Leute dabei; das ist ungewöhnlich – in der Regel sind es nur zwölf.“
Mindestens ebenso schwer wiegt jedoch ein anderer Grund. „Die Geschichte“, meint Sandra Anklam, „ist einfach wunderschön. Außerdem sind viele der Psychiatrie-Patienten in einer ähnlichen Situation wie Peer.“ - Das Anliegen, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren, greift auch hier, ist Peer Gynt doch eine Figur, in der sich wohl jeder zumindest in einigen Momenten wiedererkennen kann.

Der Umgang mit dem Außenseitertum

Das Motiv der Zwiebel, mit der sich Peer vergleicht, weil sie viele Hüllen aber keinen Kern hat, durchzieht Anklams Inszenierung. Wenn die Hauptfigur erklärt, gut erfundene Geschichten seien besser als die Wirklichkeit, macht er sich selbst zum Außenseiter. Allerdings wird er von anderen auch immer wieder in diese Rolle gedrängt. Wenn seine Geliebte Solveig, die ihn mit einer Mischung aus Zartgefühl und Resolutheit zu nehmen weiß, am Ende feststellt, die Welt brauche gut erfundene Geschichten, deutet sich an, was Peers Lebensmaxime sein könnte: die Realität nicht zu verleugnen, sondern sie mit Fantasie zu bereichern. Also hat er am Ende doch einen Identitätskern.
Die Kostüme und das Bühnenbild verleihen der Geschichte eine märchenhafte Zeitlosigkeit. Mit großer Energie und viel Witz eignen sich die Akteure die Geschichte an und loten die Poesie des Stoffes mit einer Tiefe aus, die außergewöhnlich ist. Ob die Kooperation mit der LWL-Klinik auch in der kommenden Saison, wenn Johan Simons die Intendanz am Schauspielhaus übernimmt, fortgesetzt wird, ist noch unklar. Wer „Peer Gynt“ gesehen hat, wird auf positive Signale hoffen.

Termine
Am Dienstag, 17. April, ist „Peer Gynt“ um 18 Uhr wieder im Theater Unten des Schauspielhauses, Königsallee 15, zu sehen. Eine weitere Vorstellung folgt am Mittwoch, 18. April, ebenfalls um 18 Uhr. Die Theaterkasse ist unter Tel.: 33 33 55 55 zu erreichen. 
Vorstellungen im LWL-Universitätsklinikum Bochum folgen am Montag, 14., und Dienstag, 15. Mai, jeweils um 19 Uhr. Der Vorverkauf erfolgt ab 1. April ausschließlich im Klinikum, Alexandrinenstraße 1-3, selbst. Montags bis freitags von 8.30 bis 15.30 Uhr können Karten im Sekretariat für Forschung und Lehre, Raum 4.39 oder Tel.: 50 77 13 21, erworben werden. Der Vorverkauf an der dortigen Abendkasse beginnt eine Stunde vor der jeweiligen Vorstellung.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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