Mental stark sein - Sportpsychologe Jürgen Walter im Interview

Sportpsychologe Jürgen Walter bereitet die RWE Volleys mental vor. | Foto: Michael Kaprol
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Was ist eigentlich Druck? Wie kommt ein Sportler im Wettkampf gegen negative Gedanken an? Und wie lässt sich herausfinden, wer an seine Leistungsgrenze geht?

Sportpsychologe Jürgen Walter betreut den Volleyball-Zweitligisten RWE Volleys Bottrop im mentalen Bereich. Das Team kämpft derzeit um den Aufstieg in das Bundesliga-Oberhaus. Nach der knappen Heimniederlage gegen den direkten Mitkonkurrenten SVG Lüneburg stehen die Bottroper am kommenden Sonntag, 3. Februar, 16 Uhr, Dieter Renz Halle, als Tabellenführer gegen den Verfolger TSG Solingen Volleys vermeintlich mehr unter Zugzwang denn je.

Herr Walter, angesichts der aktuellen Spielergebnisse samt Tabellenkonstellation lastet mehr Druck auf der Mannschaft, die um den Aufstieg spielt. Wie ist damit umzugehen?
Jürgen Walter:Eigentlich stellt sich hier zunächst die Frage, was Druck überhaupt ist. Wer drückt da? Objektiv gesehen ist es kein Druck. Denn wenn man Spaß hat, ist dieser gar nicht da. Es ist natürlich wichtig, dass eine kontrollierte Angespanntheit vorhanden ist, jedoch darf sie nicht zu Übermotiviertheit oder Verkrampfung führen. Druck entsteht im Kopf. Je mehr Druck man sich selbst macht, desto schwieriger wird es in der Situation.

Kann es sein, dass sich das Team bei der 2:3-Niederlage gegen die SVG Lüneburg zu sehr unter Druck gesetzt hat?
Die mannschaftliche Geschlossenheit war bei Lüneburg größer. Als Bottrop im fünften Satz den Punkt zum 8:6 macht, war erstmals in dieser Partie zu sehen, dass alle Spieler auf dem Feld zusammen kommen, eine Traube bilden und sich gemeinsam freuen, anstatt sich nur abzuklatschen. Lüneburg hat von Punkt zu Punkt gedacht und sich nicht um den Spielstand gekümmert. Bei Bottrop ist in dieser Hinsicht noch viel Puffer.

Wie arbeiten Sie als Sportpsychologe diese Beobachtung mit der Mannschaft auf?
Es gibt zum Beispiel eine anonyme Kartenabfrage. Dabei bekommt jeder rote und grüne Karten, auf denen er jeweils folgende Fragen für sich beantwortet: Warum haben wir das Spiel gegen Lüneburg verloren? Was machen wir gegen Solingen besser? Dabei geht es nicht um die technische oder taktische Sichtweise, sondern einzig und allein um die sportpsychologische. Die Karten werden anschließend an eine Pinnwand gehängt, geordnet und gemeinsam diskutiert. Man könnte dann sogar soweit gehen und zusammen eine Art Verpflichtungserklärung ausarbeiten.

Wir sprachen bereits von Druck. Wie geht man als Sportler damit um?
Ein Sportler kann sich selbst beschummeln. Die RWE Volleys können sich vor dem Spiel gegen Solingen sagen „Wir wollen einfach guten Volleyball spielen. Ergebnis und Spielstand interessieren uns nicht“. Ziel ist es, auf diese Weise Spaß zu bekommen und sorgenfrei zu sein.

"Versuchen Sie mal, nicht an
einen rosa Elefanten zu denken!"

Was ist, wenn Druck oder sogar Angst doch durchkommen?
Sagt ein Sportler zu mir, dass er Angst hat, sage ich ihm immer, dass ich dies auch habe – und zwar vor drei Dingen: wilden Tieren, Feuer und Klippen. Das sind die drei Urängste des Menschen. Im Sport passt der Begriff Angst nicht. Es geht da eher um Sorgen, um den Gedanken, was schlimmstenfalls passieren kann. Es bringt nichts, sich über geschehene Fehler zu ärgern. „Was fott es, es fott“ (Anm. d. Red.: Was fort ist, ist fort), sagt der Kölner. Auch macht es keinen Sinn während des Wettkampfs zu versuchen, nicht an den drohenden Satzverlust oder die Niederlage zu denken. Versuchen Sie mal ganz fest, nicht an einen rosa Elefanten zu denken!

Das heißt im Umkehrschluss, ich muss in solchen Situationen positiv denken?
Grundsätzlich hat man das Recht negativ zu denken. Wenn ich negativ denke, bringt es aber nichts gegen diesen Gedanken zu kämpfen. Ich muss ihn erkennen und versuchen zu kontrollieren. Ist der Gedanke realistisch oder nur eine Vermutung? Nützt er mir etwas? Wenn ich dann feststelle, dass er mir eher schadet, kann ich den Gedankenstopp anwenden. Ich sage ihm „Du störst, geh zur Seite“ und denke an meinen größten Erfolg oder beschäftige mich mit dem Spiel. Zum Beispiel lassen sich im Volleyball die Bewegungsabläufe beim Aufschlag mit Begriffen versehen, an denen ich mich während der Ausführung orientiere. Da ist dann gar kein Platz für negative Gedanken.

Wie würden Sie den Begriff „mentale Stärke“ definieren?
Mentale Stärke bedeutet, in kritischen Situationen die beste Leistung, so wie ich sie trainiert habe, unabhängig von Faktoren wie Spielstand und Spielort abrufen zu können und vielleicht noch einen Tick draufzulegen.

Gibt es da eine praktische Übung für?
Ja, in einer Gruppe stehen alle auf und halten die Luft an. Wer nicht mehr kann, setzt sich hin. Dann wird gefragt, wie ging es dem Verlierer, wie dem Sieger? Und, wer hat das Allerletzte aus sich rausgeholt? An diesem Punkt wird es spannend. Wenn wir uns an der oberen Leistungsgrenze bewegen, müssen wir auch mal raus aus der Komfortzone. Dann muss es auch mal weh tun. Vielleicht hat es dies bei den RWE Volleys im Spiel gegen Lüneburg nicht genug.

Nun ist Volleyball ein Mannschaftssport. Teambuilding ist also sehr wichtig. Wie lassen sich Gruppendynamik und -strukturen erkennen und optimieren?
Auch dafür gibt es Übungen, wie das gemeinsame Zusammenbauen eines Puzzles, das aus vierzehn Teilen besteht. Wenn eine Mannschaft zum Beispiel nur zwölf Spieler hat, ist es interessant zu sehen, wer die Verantwortung für zwei Teile übernimmt. Wer macht einen Vorschlag zur Organisation der Aufgabe? Wer pusht seine Kollegen? Wer ist eher Zuarbeiter? In der zweiten Runde soll das Puzzle schließlich unter Zeitdruck zusammengebaut werden. Hier geht es auch um das Einschätzen der eigenen Leistungsfähigkeit.

Wieviel mehr Leistung lässt sich durch sportpsychologische Maßnahmen rausholen?
Das sind etwa fünf bis zehn Prozent. Wie lange es dauert bis die Maßnahmen wirken, ist individuell abhängig, bedarf aber einer intensiven Schulung. Der Sportpsychologe war dann erfolgreich, wenn der Sportler ihn nicht mehr benötigt, da er selbständig an seiner mentalen Stärke weiterarbeiten kann.

Zur Person
> geboren am 20. Dezember 1955 in Düsseldorf
> Diplom-Psychologe, Sportpsychologe (asp/ bdp), Lehrbeauftragter der Universitäten Düsseldorf und Köln, Unternehmensberater
> betreute Sportarten, unter anderem Tischtennis, Rollhockey, Eiskunstlauf, Billard, Boxen, Volleyball, Radfahren, Schwimmen, Golf, Basketball, Fußball, Handball, Tennis

Autor:

Nina Heithausen aus Bottrop

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