Literatur-Hotel-Preis 2011: Claudia Paswark "Endlich Urlaub"

Claudia Paswark.
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Es war an meinem ersten Urlaubstag. Lange ersehnt und endlich da!
Schon Tage zuvor hatte ich Pläne gemacht, wollte mich mal so richtig erholen. In Gedanken sah ich mich schon mit Gurkenscheiben auf den Augen in der Badewanne liegen. Überall Kerzen, die ich leider in echt wegen besagtem Gemüse nicht sehen können würde. Meine Hände hingen entspannt über den Badewannenrand.
Dann kam ein junges chinesisches Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, das sich schweigend und immerfort lächelnd zu mir setzte, meine rechte Hand nahm und sie gefühlvoll massierte.
Also ich glaube, die Gurken auf den Augen lasse ich sein...
Aber zurück zu meinem Traum: Nach dem wohligen Bad legte ich mich auf meinem Balkon in den Liegestuhl und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, stand dort ein gutaussehender Herr im weißen Anzug, der mir ebenfalls mit einem schweigenden Lächeln einen Campari-Orange auf einem Tablett servierte.
So oder ähnlich hatte ich mir meinen Urlaub vorgestellt. Ausspannen, nichts tun und mich vom hektischen Alltag erholen.
Dann kam der lang ersehnte erste Urlaubstag, dem noch drei weitere folgen sollten. Zum Wegfahren war mir die Zeit zu kurz. Aber nach meinen Träumen zu urteilen, konnte es zuhause auch ganz erholsam sein.
Schon beim Zubettgehen am Abend vorher grinste ich meinen Wecker, den ich origineller Weise "Blödmann" getauft hatte, überlegen an. "Na, Blödmann, morgen hältst du endlich mal die Klappe", säuselte ich meinem Schlafvermieser zufrieden entgegen und kuschelte mich genüsslich ins Bett.
Hach, was ich alles nicht tun könnte, in meinem Urlaub: Nicht aufstehen, nicht waschen, nicht putzen ...
Ich merkte, wie die Müdigkeit aus meinem Körper wich. Hey, was sollte das denn?! Zum Nicht-Aufstehen gehörte so etwas wie Schlaf und wohlige Entspanntheit!
Ein Blick auf `Blödmann´ machte mich endgültig wach: Zwei Uhr einunddreißig. Da lag ich jetzt geschlagene drei Stunden und eine Minute in meinem Bett, ohne wirklich geschlafen zu haben!? Das fing ja gut an! Entnervt schaltete ich das Licht ein und griff zu meinem Buch, ein Frauenroman, der von einer aufstrebenden Karrierefrau handelte, also sozusagen von – mir.
Gespannt schlug ich die Seite mit dem Lesezeichen auf und begann zu lesen: "Angelika nahm ihre schwarze Aktentasche und stieg in ihr Cabrio. Heute war ihr großer Tag."
Halt, Moment mal, ihr großer Tag? Was war nochmal passiert? Mist, keine Ahnung mehr. War wohl doch zu lange her, dass ich zuletzt in dem Buch gelesen hatte. Sonst fehlte mir ja auch die Zeit dazu: Nachts schlief ich sofort ein, und morgens scheuchte mich `Blödmann´ aus dem Bett. Verärgert blätterte ich einige Seiten zurück. Jetzt alles nochmal lesen? Wie spät war es eigentlich inzwischen? `Blödmann´ gab mir unbarmherzig Auskunft: Drei Uhr zweiundzwanzig. Missmutig fing ich wieder an zu lesen:
"...fuhr sie ihren Computer herunter und machte sich auf den Weg." Auf den Weg? Wohin? Ja, wohin wollte sie denn? Ach nö, jetzt reichte es aber. Mit lautem Knall schlug ich das Buch zu und ließ es auf den Boden fallen. Ha, da war die Karrierefrau ganz schön tief gesunken. Einen Moment lang genoss ich meine gehässige Ader.
War sie nicht mein Vorbild gewesen? Das war der Zeitpunkt, an dem ich aufstand. Na gut, dann könnte ich ja auch die Zeitung lesen. Wieder besser gelaunt schlüpfte ich in meinen Bademantel. Wie immer kuschelig weich! Wohlig streichelte ich meinen ummantelten Arm. Was war das? Ein Fleck auf meinem Lieblingsbademantel?!
Kaffeebraun lag er da oben auf dem kuscheligen, lindgrünen Flor. Okay, da war dann wohl waschen angesagt. Später!
Jetzt erstmal die Zeitung! In erwartungsvoller Vorfreude öffnete ich die Haustür und dann den Briefkasten. Nichts! Gähnende Leere! Hallo?! Was sollte das denn? Hatten sämtliche Zeitungsboten plötzlich auch Urlaub? Moment, wie spät war es denn? In Ermangelung von `Blödmann´ musste die Küchenuhr herhalten: Vier Uhr zwei.
Na gut, selbst Karrierefrauen brauchten im Normalfall um diese Uhrzeit noch keine Zeitung. Und was nun? Radio! Das lief immer. Gespannt schaltete ich meinen Lieblingssender ein und setzte mich in meinen Lieblingssessel. Hey, sie spielten sogar gerade mein Lieblingslied. Freudig erregt sang ich mit. Bis zum Refrain. Wie doch Lieblingslieder morgens um vier Uhr sechzehn am ersten Urlaubstag wirken konnten, wenn man wild entschlossen war, nichts zu tun. Missmutig hörte ich meinen alten Kühlschrank mitschreien, der es dringend nötig hatte. Da war er wieder, dieser garstige Refrain meines Ex-Lieblingsliedes: "Uptown, uptown,..." Okay, okay, aber erst nach dem Waschen.
Wenn ich es mir so recht überlege, sind auch vier Tage Urlaub lang genug, um
wegzufahren...

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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