Literatur Hotel Preis: Verena Zima "Ein ganz und gar anderer Morgen"

Das heitere Vogelzwitschern ihres Weckers erfüllte seinen Dienst und ließ sie, wie jeden Morgen um 6.10 Uhr, gut gelaunt in einen weiteren Tag starten. Sie schlug die Decke zurück, reckte sich nochmal, begrüßte das Licht, das sich durch den Vorhang zu ihr drängte, mit einem Lächeln und stellte zuerst den linken Fuß auf den kuschelig weichen Teppich, der vor ihrem Bett lag. Sobald eben dieser Fuß das zarte Hochflor des Bodenbelags streifte, schoss ihr panisch ein Gedanke in den schon so wachen Kopf: „Mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden. Verdammt, wie konnte mir das passieren!“ Diese gedankliche Ermahnung schob ihr rationaler Verstand bei Seite und antwortete beschwichtigend: „So ein Quatsch, du bist doch keine abergläubische Ziege! Steh auf und widme dich deinen Aufgaben!“Etwas vorsichtiger als sonst stand sie also wenige Augenblicke später auf beiden Füßen und schritt ins Badezimmer. Manche Leute tranken ja zuerst einen Kaffee, bevor sie sich der körperlichen Hygiene widmeten, andere tranken nur Kaffee, wie ihr Bürokollege Werner zum Beispiel. Sie trank keinen Kaffee, nie, und bevor sie sich in die Küche begeben würde, um ein spartanisches aber dafür sehr gesundes Frühstück zu sich zu nehmen, führte ihre tägliche Routine sie ins rosa geflieste Bad. Dem kaffeesüchtigen Werner und dessen Hemden würde ein etwas leichteres Frühstück auch nicht schaden. Er hatte mindestens zehn Kilo Übergewicht und die fettigen Flecken neben seiner Hemdknopfleiste, samt hartnäckig haftender Krümel, verrieten, dass er regelmäßig ein Butterhörnchen auf dem Weg zur Arbeit verschlang! Hatte sie überhaupt schon mal ein solches Hörnchen zu sich genommen?Einem festen Ablauf folgend, wusch sie sich, putzte die Zähne, kämmte ihr Haar und legte ein dezentes Makeup auf. Sie wollte schließlich nicht durch grellen Lippenstift auf den Zähnen auffallen, so wie Tina, die nur zwei Schreibtische von ihr entfernt im Büro saß, und jedem männlichen Arbeitskollegen ein laszives und von Lippenstift getünchtes Lächeln zu warf. Diese einfältige und grelle Erscheinung. Letztens trug sie so ein unpassend blaues Kleid und dazu gelbe Schuhe! Niemals, würde sie so etwas tragen. Sie legte viel Wert auf eine angenehme äußere Erscheinung. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel beendete das Badezimmerprogramm. Sie streifte sich das bereits gestern rausgelegte Kostüm über und ging fröhlich summend in die Küche. Sie füllte Wasser in den Kessel, stellte das Geschirr raus und griff nach dem Leinsamenbrot, das hatte ihr Uschi gegen ihre Verdauungsprobleme empfohlen, als sie plötzlich inne hielt. Irgendwas war anders. Der Ablauf stimmte nicht. Nach kurzem Überlegen wusste sie was anders war. Es fehlte die Zeitung. Natürlich! Normalerweise holte sie direkt nach dem Anziehen die Zeitung aus dem Briefkasten und legte diese rechts von ihrem Teller auf den weißen Esstisch. Zufrieden darüber, dass sie ihren Fehler bemerkt hatte, verließ sie ihre Wohnung, jedoch nicht ohne vorher den zweiten Schlüssel von links aus dem Schlüsselkasten geangelt zu haben. Sie zog die Tür gewissenhaft hinter sich zu, man weiß ja nie welcher neugierige Nachbar die kurze Zeit ihrer Abwesenheit nutzen würde, um bei ihr zu schnüffeln. Frau Müller aus der Wohnung unter ihr wäre so etwas durchaus zu zutrauen. Alten Leuten ist doch ständig langweilig und bevor sie vor Langeweile umkommen, beschäftigen sie sich mit dem Ausspionieren ihrer Mitmenschen. Am Briefkasten angekommen fischte sie die Zeitung raus, nach Post brauchte sie um diese Uhrzeit noch nicht zu suchen. Der unzuverlässige Postmensch kam immer zu verschiedenen Zeiten, aber nie vor neun Uhr. Sie stieg die Treppe wieder hinauf, kicherte kurz beim Blick auf ihre kitschigen, hellblauen Hausschuhe, ein Geschenk ihrer Mutter, das sie furchtbar hässlich fand und nur aus Gründen des Anstandes freudig entgegengenommen hatte. Oben angekommen, steckte sie den Schlüssel ins Schloss, das heißt, sie versuchte es. Der Schlüssel passte nicht! Verwundert blickte sie in ihre Hand. Es war der falsche Schlüssel, der Ersatzschlüssel zur Wohnung ihrer neugierigen und schusseligen Nachbarin Frau Müller. Das konnte nicht sein. Er hing am falschen Platz im Schlüsselkasten. Was sollte sie nun tun? Panik überkam sie. Sie musste gleich los um pünktlich auf der Arbeit zu sein. Nur nicht den Kopf verlieren, ermahnte sie sich selbst. „Gut, dass du so gewissenhaft bist und dich wie jeden Morgen direkt nach dem Aufstehen fertig gemacht hast“, dachte sie bei sich. Nach der Arbeit würde sie einen Schlüsseldienst rufen und niemand würde ihr Malheur bemerken. „Oh nein, ich habe keine Schuhe an“, schoss es ihr in den Kopf. Mit dieser Fußbekleidung konnte sie unmöglich auf die Straße gehen. Während sie grübelnd im Hausflur stand, näherte sich von unten, mit lautem Poltern, Frau Müller. Schnell hatte sie den Entschluss gefasst der alten Dame von ihrem Missgeschick zu berichten und diese um ein Paar Schuhe als Leihgabe zu bitten. Unter Nachbarn hilft man sich doch gern! Frau Müller händigte ihr ein Paar knallrote Turnschuhe mit Lackdekor aus. „Die sind noch nagelneu und ich weiß doch, wie pingelig Sie sind mit ihrer Angst vor Bakterien“, sagte die betagte Dame gütlich. Widerwillig schlüpfte sie in die zwei Nummern zu großen Sneakers, bedankte sich artig und machte sich, flink wie ein Clown, auf den Weg zur Arbeit. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie pünktlich sein würde, so wie immer. Etwas angespannt aber durchaus zufrieden darüber, dass sie dank ihres hellwachen Geistes die Katastrophe hatte abwenden können, näherte sie sich dem Bürogebäude. Wenige Meter vom Eingang entfernt entdeckte sie fleißige Politikinteressierte, die im Auftrag ihrer Partei Kaffee und Tee ausschenkten und Plätzchen verteilten. „Für einen guten Start in den Tag“ warben die Unverdrossenen und einer von ihnen hielt ihr einen Pappbecher mit dampfendem Kaffee vor die Nase. Eigentlich trinkt sie ja keine Kaffee, aber besser ein koffeinhaltiges Heißgetränk und ein paar Krümel kalorienhaltiger Butterkekse als gar nichts im Magen. Zögerlich schob sie den Keks in den Mund, setzte den Becher an und erschrak über die heiße und bittere Geschmacksexplosion in ihrem Mund. „Igitt“, entfuhr es ihr und das ausgesprochene Wort ergoss sich in brauner Kaffeebrühe mit Krümeldekor auf ihrem beigen Kostüm. Wütend über ihre mangelnde Disziplin, "schließlich trinkt sie sonst nie Kaffee und vermeidet Süßgebäck mit eisernem Willen", erteilte sie sich eine Rüge. Schnell und mit einem entschuldigenden Lächeln tupfte sie sich, mit einem ihr offerierten Stückchen Küchenrolle, die Flüssigkeit vom Oberteil. „Gut, das kann ich nun nicht ändern, immerhin bin ich pünktlich und zuverlässig, das zeugt von Organisation “, kam es ihr in den Sinn. Erhobenen Hauptes betrat sie das Büro. Sie merkte die musternden Blicke von Werner, Tina und all den anderen Gewöhnlichen, die von ihren erdbeerroten Schuhen zu dem gelb-braunen, großen Fleck unterhalb ihres Kragens wanderten. Für einen kurzen Moment wurde ihr heiß, „Nur nicht die Fasson verlieren“ hörte sie Stimme ihrer Mutter. Sie öffnete den Mund zu einem „Guten Morgen“ ohne die matschigen, braunen Krümelreste auf ihren Zähnen bemerkt zu haben. Mit einem Siegesgrinsen bewegte sie sich durch den Raum zu ihrem penibel aufgeräumten Schreibtisch und nahm, so zufrieden wie an jedem anderen Morgen, Platz.

Literatur-Hotel-Preis?
Vor zwei Jahren wurde der 1. Dinslakener Literatur-Hotel-Preis von Niederrhein Anzeiger, Art Inn Hotel und weiteren Sponsoren ins Leben gerufen. Der Name entstand auch als kleine Hommage an sein Vorbild, den berühmten „Literatur-Nobel-Preis“. Denn auch Nobelpreis-Autoren haben einmal klein angefangen. Oft mit Kurzgeschichten. So wie der Meister der Shortstory, der spätere Literatur-Nobel-Preis-Träger Ernest Hemmingway. Der seine allerersten Stories übrigens beim heimischen US-Anzeigenblatt veröffentlicht hat. Während der gesamten Laufzeit seit 2010 haben in der verlagsweit einmaligen Aktion rund 100 Autoren mit ihren Stories am Dinslakener Literatur-Hotel-Preis teilgenommen. Und der Niederrhein Anzeiger (wöchentliche Auflage 54.800 Exemplare) konnte auch viele bemerkenswerte LHP-Stories veröffentlichen. Alle bisherigen LHP-Gewinner blieben dem Schreiben treu. Erste Bücher wurden veröffentlicht, weitere Stories entstanden und sogar Romane entstehen. Wer Lust hat, kann die vielen tollen LHP-Stories in ihrer ganzen thematischen Bandbreite (Krimi bis humorvoll) hier auf Lokalkompass.de (Suchfeldeingabe: Literatur Hotel Preis ) nachgelesen. Wir wünschen viel Spaß!

Literatur-Hotel-Preis-Sponsoren 2012:

u. a. Art Inn Hotel (Übernachtung Gewinner-Suite mit Romantic Dinner und Frühstücksbuffet), Aveo Air Service (Helicopter-Rundflüge), Alfred Grimm (Künstler-DINsLAKEN), Edeka Bienemann (Edler Picknick-Korb), Sparkasse Dinslaken-Voerde-Hünxe (Romantic Dinner for Two im Art Inn), REAL (Edler Picknick-Korb), Optik und Akustik Heinz Riehl (Hörbücher-Gutschein) und die Altmarktbuchhandlung Korn (Überraschungsbücher-Paket). Ihnen allen herzlichen Dank für das Engagement!

Autor:

Verena Zima aus Dinslaken

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