Knebelverträge vom Jobcenter – die Eingliederungsvereinbarung

„Wenn Sie die Eingliederungsvereinbarung nicht unterschreiben, bekommen Sie keine Leistungen.“ - „So, jetzt unterschreiben Sie hier.“ - „Ich habe die EGV schon für Sie vorbereitet.“
So oder ähnlich klingen Dutzende von Rückmeldungen von Erwerbslosen aus Gesprächen beim Jobcenter Märkischer Kreis. Bei näherem Nachfragen, was die Einzelnen denn tatsächlich unterschrieben haben, herrscht dann meist Funkstille. Aber Naivität und blindes Vertrauen in diese Behörde können schnell teuer und Existenz bedrohend werden.

Eine Eingliederungsvereinbarung ist ein rechtsgültiger Vertrag

Im deutschen Vertragsrecht z.B. gilt:

„Ein Kaufvertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme, zustande.

Die Willenserklärungen müssen darauf gerichtet sein, eine Sache oder ein Recht gegen Entgelt zu veräußern.“

So lautet die Definition für einen Kaufvertrag bei Rechtswörterbuch.de.

Beim Bäcker heißt das: „Das Brötchen kostet 27 Cent.“ – „Ich will 5 Brötchen für 27 Cent kaufen.“ 1,35 € und 5 Brötchen wechseln den Besitzer. Vertrag erfüllt.

Beim Jobcenter kann das heißen: „Wir bieten (fast) nichts - wir fordern reichlich.“

Auch eine vorschnell unterschriebene Eingliederungsvereinbarung erfüllt rechtlich den Tatbestand eines wirksamen Vertrages und wird von Sozialrichtern als übereinstimmende Willenserklärung interpretiert.

Niemand muss eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben

Würden Sie einen Handy-Vertrag unterschreiben, der Ihnen nichts nutzt, aber immense Kosten verursacht? – Nein!
Oder würden Sie wissentlich eine defekte Waschmaschine kaufen? – Nein!
Möchten Sie vielleicht beim Autokauf über den Tisch gezogen werden? – Nein!
Warum also sollten Sie eine Eingliederungsvereinbarung beim Jobcenter unterschreiben? – Dies zu tun ist (nur) in wenigen Ausnahmefällen empfehlenswert.

Für gewöhnlich lässt sich ein „Eingliederungsvertrag“ vom Jobcenter in wenigen Stickpunkten beschreiben:

1. Die Behörde verpflichtet sich zu nichts (außer vielleicht allgemeinen Zusagen zu denen sie von Gesetzes wegen ohnehin verpflichtet ist).
2. Die Behörde verpflichtet den Erwerbslosen zum Schreiben von Bewerbungen (gerade auch für Zeitarbeit und Minijobs), in nutzlose Trainingsmaßnahmen und staatlich subventionierte Schwarzarbeit in Form von Ein-Euro-Jobs.
3. Durch eine „Rechtsfolgenbelehrung“, die nicht einmal erfahrene Juristen anderer Fachgebiete vollumfänglich verstehen können, werden rechtliche Fallen für Sanktionen und weitere Folgeschäden aufgestellt.

Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt

Eingliederungsvereinbarungen sind immer Verhandlungssache und die Interessen der Erwerbslosen sind grundsätzlich zu berücksichtigen.

Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung B 14 AS 195/11 R am 14.02.2013 festgeschrieben, dass die Unterzeichnung einer Eingliederungsvereinbarung verweigert werden darf, wenn keine Einigung über die Inhalte ausgehandelt werden können.

Die höchsten deutschen Sozialrichter stellten klar, dass ein ALG II Bezieher nur dann per Verwaltungsakt zu Eingliederungsmaßnahmen verpflichtet werden darf, wenn ein Gespräch zwischen dem ALG II Bezieher und dem Jobcenter erfolglos verläuft und der ALG II Bezieher die Eingliederungsvereinbarung abgelehnt hat.

Rechtliche Beratung ist angeraten

Wenn das Jobcenter eine nicht zustande gekommene Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ersetzt, sollte ein Rechtsanwalt für Sozialrecht für einen Widerspruch hinzugezogen werden. Zur erfolgreichen Schadensabwehr müssen Rechtsmittel eingelegt werden.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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