Arbeitsmarktforum des Unternehmerverbands des Deutschen Handwerks 2011

Teilnehmer Arbeitsmarktforum | Foto: ZDH/Peter Himsel
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Rede Otto Kentzler
Präsident des Zentralverband des Deutschen Handwerks:

Mit dem 1. Mai hat eine neue Ära auf dem Arbeitsmarkt begonnen. Lange haben
die Handwerksbetriebe mit Sorge auf die Vollendung der Arbeitnehmerfrei-zügigkeit gesehen. Jetzt zeichnet sich ab, dass sie zu einem günstigen Zeit- punkt kommt. Der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich in so guter Verfassung wie schon seit Jahren nicht mehr. Die Zahl der Arbeitslosen wird dieses Jahr aller Voraussicht nach unter 3 Mio. sinken. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt kontinuierlich. Das ist erfreulich für die Menschen. Für die Betriebe bedeutet es allerdings, dass die Besetzung offener Stellen immer schwieriger wird. Das gilt für qualifizierte Fachkräfte ebenso wie für Ausbildungsbewerber. Hier wird die Arbeitnehmerfreizügigkeit neue Chancen eröffnen. Da bin ich sicher. Und wir wären nicht das Handwerk, wenn wir diese Chancen nicht ergreifen würden. Einige Handwerkskammern in den neuen Bundesländern, die vom demographischen Wandel ja besonders gebeutelt sind, haben schon Projekte auf den Weg gebracht, um Jugendlichen aus den östlichen Nachbarstaaten eine Ausbildung anzubieten.

Wir sehen der Arbeitnehmerfreizügigkeit selbstbewusst entgegen. Vor dem Wettbewerb mit unseren osteuropäischen Nachbarn fürchten wir uns dank der ausgezeichneten Qualifikationen unserer Betriebsinhaber und ihrer Beschäftigten nicht.

Wir sind sicher, dass wir mit der hohen Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen am Markt bestehen können.

Aber fair muss der Wettbewerb sein. Darauf müssen wir ein sehr genaues Auge
haben. Denn nach wie vor sind die Unterschiede bei den Arbeitskosten erheblich. Ein Unterlaufen bestehender Mindeststandards darf es nicht geben. Der Schutz der Mindestarbeitsbedingungen und der Mindestlöhne über das Arbeitnehmer- Entsendegesetz ist deshalb für das Handwerk von großer Bedeutung. Entscheidend ist in der Praxis aber die Einhaltung dieser Regelun- gen durch alle Unternehmen – sowohl deutsche als auch ausländische. Zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund haben wir deshalb jüngst in einer gemeinsamen Presseerklärung eine Intensivierung der Kontrollen und eine bessere Personalausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit angemahnt. Nur so können annährend gleiche Wettbewerbsbedingungen sichergestellt sowie Lohn- und Sozialdumping vermieden werden.

Dies gilt gerade auch für die Zeitarbeit. Wir begrüßen, dass eine Lohnunter-grenze in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingeführt werden soll. Aus Sicht des Handwerks reicht das aber nicht. Zusätzlich muss durch eine entsprechende Klarstellung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz gewährleistet werden, dass die bestehenden Branchenmindestlöhne nicht durch Zeitarbeit-nehmer unterlaufen werden können. Entscheidendes Kriterium für die Frage, ob ein Zeitarbeitnehmer einen Branchenmindestlohn erhält, muss stets die von ihm ausgeübte Tätigkeit sein. Wenn dies eine handwerkliche Tätigkeit ist, dann muss dem Zeitarbeitnehmer auch der entsprechende Branchen-Mindestlohn gezahlt werden.

Mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit müssen wir schließlich aufpassen, dass es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen durch entsandte osteuropäische Arbeitnehmer kommt. Gerade im Baubereich und in der Gebäudereinigung gibt es hier begründete Sorgen. So können unter-schiedliche Höhen in der Sozialversicherung zu erheblichen Kostenvorteilen für ausländische Anbieter führen. Dieses Problem müssen wir genauestens beobachten und gegebenenfalls gegensteuern.

Neue Herausforderungen brauchen neue Antworten. Im Hinblick auf die zunehmende Globalisierung ebenso, wie auf den fundamentalen Paradigmen-wechsel, den wir zurzeit in der Arbeitsmarktpolitik erleben - von der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. Und wir müssen uns sehr ernsthaft die Frage stellen, ob unsere Arbeitsmarkt-verfassung diesen neuen Herausforderungen noch gerecht wird.

Wie können wir etwa die Beschäftigung von Frauen und die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf verbessern? Wie können wir Menschen mit Zuwanderungs-hintergrund stärker einbeziehen? Was müssen wir tun, damit Menschen länger in Arbeit bleiben können?

Hier brauchen wir nicht nur gesetzgeberische Antworten. Die Rente mit 67 ist z.B. eine solche richtige Antwort. Unsere Aufgabe ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass Ältere auch tatsächlich länger in Arbeit bleiben können. Etwa durch eine altersgerechte Ausgestaltung der Arbeitsplätze, durch mehr Weiterbildung, durch bessere Gesundheitsvorsorge. Hier sind wir auch als Handwerks-organisationen gefordert.

Und wir nehmen die Aufgabe an, beispielsweise durch Einrichtung von Demographieberatern bei unseren Kammern.

Auch die Arbeitsmarktpolitik muss ihren Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Hier liegen noch viele ungelöste Aufgaben – vor allem was eine bessere Aktivierung von Langzeitarbeitslosen angeht. Denn trotz aller Erfolge am Arbeitsmarkt ist es bisher nicht gelungen, den harten Kern von Langzeitarbeitslosen in Arbeit zu bringen.

Und wenn ich sage in Arbeit zu bringen, dann meine ich auch Arbeit – und nicht
irgendeine Form künstlicher Beschäftigung. Diese bildet eben keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt, wie das Beispiel der 1-Euro-Jobs deutlich zeigen. Im Gegenteil: Sie verdrängen oft reguläre Arbeit und nützen nicht einmal den Menschen, die sie in Arbeit bringen sollen. Weniger als 10 Prozent der Ein-Euro-Jobber hat sechs Monate nach Ende der Maßnahme eine ungeförderte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Für uns sind diese Arbeitsgelegenheiten ein Paradebeispiel teurer und ineffizienter Arbeitsmarktpolitik. Deshalb setzen wir uns seit Jahren dafür ein, die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen konsequent zu durchforsten. Und wir sind froh, dass die Bundesregierung Anfang April ein Reformpaket vorgelegt hat, das diese Instrumente jetzt neu ordnet und verschlankt. Ihre Zahl soll deutlich zurückgefahren werden. Und die Arbeitsagenturen sollen einen größeren Spielraum bei der Ausgestaltung von Arbeitsförderungsmaßnahmen vor Ort erhalten. Beide Ansätze begrüßen wir ausdrücklich. Trotzdem: Etwas mehr Mut hätten wir uns bei der Rückführung der Ein-Euro-Jobs gewünscht. Gleiches gilt für den Gründungszuschuss.

Die Förderung der Existenzgründung Arbeitsloser gehört nach unserem
Dafürhalten nicht zu den Kernaufgaben der Bundesagentur für Arbeit.
Aber: Neuausrichtung darf nicht im Aktionismus enden. Aufgaben, die die Wirtschaft besser und unbürokratischer übernehmen kann, sollten nicht der Bundesagentur für Arbeit überantwortet werden – auf Kosten der Beitragszahler und der Effizienz. Das betrifft z.B. die Überlegungen der Bundesarbeitsministerin, die überaus erfolgreichen Einstiegsqualifikationen betriebsfern durch die Einbeziehung von Trägern durchzuführen. Wir halten das für völlig kontraproduktiv. Neuausrichtung braucht klare Leitlinien. Dazu gehört die erwähnte Effizienz. Dazu gehört aber auch die Frage: Was ist eigentlich die Kernaufgabe der Bundesagentur für Arbeit? Und was ist in Wirklichkeit Aufgabe der Gesellschafts- und Sozialpolitik?

Über Jahrzehnte ist die Arbeitslosenversicherung mit versicherungsfremden Leistungen überfrachtet worden. Diese Verquickung von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Anliegen treibt nicht nur die Beiträge in die Höhe. Sie senkt auch die Hemmschwelle für die Haushaltspolitik, immer wieder Rückgriff auf die Einnahmen der BA zu nehmen. Das haben wir ja kürzlich im Rahmen des Hartz IV Kompromisses wieder erlebt.

Mit Entschiedenheit lehnt deshalb das Handwerk die Pläne der Bundesregierung ab, der Bundesagentur für Arbeit die Mittelzuflüsse aus dem Mehrwertsteueraufkommen zu kürzen. Die Folge wäre aber zwangsläufig eine strukturelle Überschuldung des Haushalts der Bundesagentur. Und am Ende des Tages wären es wieder einmal die Beitragszahler, die die Zeche zu zahlen haben – dazu darf es nicht kommen!

Es gilt das gesprochene Wort.

Quelle: ZENTRALVERBAND DES DEUTSCHEN HANDWERKS

Zu Handwerksthemen finden Sie auch Berichte unter http://malerillu.de, dem Online Magazin der Maler- und Lackierer-Innung Düsseldorf

Autor:

Heiner Pistorius aus Düsseldorf

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