Kentzler: „Die Welt besteht nicht nur aus Dichtern und Denkern“

Otto Kentzler, Präsident des ZDH | Foto: ZDH
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Für die Gleichwertigkeit von Berufsabschlüssen und Abitur im Deutschen Qualifikationsrahmen wirbt ZDH-Präsident Otto Kentzler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (22. November 2011). Kentzler kritisiert die Kultusminister der Bundesländer, die das Abitur eine Stufe oberhalb von beruflichen Abschlüssen einordnen wollen: "Das ist Diskriminierung!" Deutschland profitiert wirtschaftlich von seinem weltweit bewunderten System der beruflichen Bildung, so Kentzler: "Die Welt besteht doch nicht nur aus Dichtern und Denkern!"

Herr Kentzler, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften streiten sich mit den Kultusministern um den Deutschen Qualifikationsrahmen. Worum geht es im Kern?

Kentzler: Es geht um die Einstufung von Abschlüssen in eine achtstufige Skala. Die Beteiligten sind sich weitgehend einig, wohin die Abschlüsse jeweils gehören. Nur beim Abitur und bei der dualen Berufsausbildung gibt es Streit. Die Kultusminister wollen das Abitur auf die Stufe 5 setzen, die dualen Ausbildungen in der Regel aber nur auf die Stufe 4. Nach ihren Vorstellungen sollen nur wenige ausgewählte Ausbildungsberufe auf dieselbe Stufe wie das Abitur. Wir kämpfen darum, dass die dreijährigen Ausbildungsberufe den gleichen Stellenwert erhalten wie das Abitur, beides auf Stufe 4. Die Abiturienten sind doch nicht besser als andere. Das ist Diskriminierung in höchstem Sinne.

Welche Argumente haben Sie für eine Gleichstufung?

Kentzler: Der Qualifikationsrahmen beschreibt nicht nur Wissen, sondern auch Fertigkeiten und Kompetenzen wie Teamfähigkeit. Im Ergebnis muss beides gleich gewichtet werden.

Die erforderlichen Kompetenzen für die jeweiligen Stufen haben Sie gemeinsam mit den Kultusministern festgelegt. Gab es da auch schon Konflikte?

Kentzler: Nein, das lief alles konsensual, da gab es überhaupt keine Probleme. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum die Kultusministerkonferenz auf ihrer letzten Sitzung einstimmig für die Einordnung des Abiturs auf Stufe 5 plädiert hat.

Welche Konsequenzen befürchten Sie, wenn sich die Kultusminister durchsetzen?

Kentzler: Die berufliche Bildung würde ins Hintertreffen geraten. Ein Abiturient, der eine Ausbildung macht, würde von Stufe 5 auf Stufe 4 fallen. Jeder würde versuchen, einen akademischen Weg einzuschlagen. Die Facharbeiter, die Deutschland stark gemacht haben, die würden an den Pranger gestellt und der akademischen Bildung geopfert.

Welche Folgen könnte das speziell für das Handwerk haben?

Kentzler: Immerhin 7 Prozent der Auszubildenden im Handwerk sind inzwischen Abiturienten, ihr Anteil ist in den vergangenen Jahren vor allem in medizinischen Berufen deutlich gestiegen. Bei Hörgeräteakustikern liegt er über 50 Prozent, bei Augenoptikern bei 40 Prozent. Warum will ich den Jugendlichen das schlecht machen? Mehr als die Hälfte (54 Prozent) eines Jahrgangs machen eine Ausbildung, das ist doch eine schallende Ohrfeige für diese Menschen.

Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn mehr Jugendliche das Abitur machen würden?

Kentzler: Wir brauchen natürlich beides, berufliche Ausbildung und das Abitur. Die Welt besteht doch nicht nur aus Dichtern und Denkern. Gerade für junge Menschen aus bildungsfernen Familien sind Ausbildungen oft der richtige Weg. Mit einer Ausbildung und beständiger Weiterbildung können sie sich Stück für Stück Qualifikationen aneignen. Nicht jedem ist das Abitur mit in die Wiege gelegt worden. Aber auch für Abiturienten ist der Weg über die Berufsausbildung zukunftsweisend. Ich selbst habe zwei Gesellenbriefe erworben und habe ein Ingenieursstudium abgeschlossen. Auch aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wovon ich rede.

Die Kultusminister sagen, dass mit der Höherstufung des Abiturs dem deutschen Bildungssystem Rechnung getragen würde. Haben sie nicht vielleicht Recht?

Kentzler: Das Besondere am deutschen System sind die beruflichen Ausbildungen, nicht das Abitur. Die duale Ausbildung wollen viele Länder kopieren – Indien oder China. Die G20 haben die berufliche Bildung sogar verpflichtend aufgenommen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn BMW in den USA ein Werk aufbaut, plant das Unternehmen ein Jahr nur für die Einarbeitung der Beschäftigten ein. Diesen Ländern fehlen die geeigneten Facharbeiter, weil ein Ausbildungssystem wie bei uns fehlt. Daher kann ich die Arroganz, mit der in Deutschland teilweise argumentiert wird, nicht verstehen.

Wie ist der Diskussionsstand in anderen europäischen Ländern?

Kentzler: Alle anderen europäischen Länder haben das Abitur - beziehungsweise vergleichbare Abschlüsse - auf die Stufe 4 gestellt. Nur die Niederlande wollten ursprünglich das Abitur auf die Stufe 5 einordnen. Damit sind unsere Nachbarn aber gescheitert. Nachdem auf europäischer Ebene Druck aufgebaut wurde, ordnen jetzt auch die Holländer das Abitur auf Stufe 4 ein. Ein ähnlicher Konflikt droht uns auch in Deutschland, wenn sich die Kultusminister durchsetzen sollten.

Im Konflikt haben Sie wichtige Verbündete auf Ihrer Seite.

Kentzler: Die ganze Bundesregierung steht hinter uns, ebenso die Wirtschaft und die Gewerkschaften, sowie die Wirtschaftsminister der Länder. Wir sind uns alle einig, dass dreijährige Ausbildungen und das Abitur auf Stufe 4 gehören. Nur die Kultusminister scheren aus.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Kentzler: Eigentlich war die letzte Arbeitsgruppen-Sitzung zum Qualifikationsrahmen für November geplant, da wollten wir alles festmachen. Aber die Sitzung wurde wegen der Haltung der Kultusminister abgesagt. Jetzt muss die Kultusministerkonferenz auf ihrer Plenarsitzung am 8. Dezember entscheiden, ob sie wirklich an ihrem bisherigen Votum festhalten will.

Und wenn es zu keiner Einigung kommt?

Kentzler: Wir setzen auf Konsens. Aber wenn die Kultusministerkonferenz bei ihrer Haltung bleibt, müssen die übrigen Beteiligten überlegen, ob die Kultusminister noch an der Runde teilnehmen können.

Interview: Dr. Mehmet Ata

Quelle: ZDH

Zu Handwerksthemen finden Sie ebenfalls Beiträge unter http://malerillu.de. , dem Online Magazin der Maler- und Lackierer-Innung Düsseldorf sowie unter http://malerdüsseldorf.de und http://energie-und-fassade.de

Autor:

Heiner Pistorius aus Düsseldorf

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