Interview mit Bottroper Autorin: Statt Psychopillen lieber Freunde, Geschichten zum Mutmachen und ein Stück Schokolade

Das Buch von Dr. Michaela de Groot „Von Postboten, Partygags und Immerfindern“ soll zur Diskussion anregen. Die Autorin aus Bottrop beleuchtet die durchaus kuriose Welt der Psychiatrie. 2008/09 betreute sie den Bottroper Psychiatrieplan redaktionell und kennt sich in dem Umfeld aus. Ich traf mich mit der Autorin in einem Düsseldorfer Café.

In 26 Sachgeschichten schreibt die Autorin mal ernst, mal witzig von der bizarren Lebenswelt der Pyschiatrie. Man kann jedes Kapitel für sich lesen. Das originell und flüssig geschriebene Büchlein mit 106 Seiten ist aber schnell gelesen.

1.) Frau de Groot, was möchten Sie mit Ihrem Buch bewirken?
Das Buch soll Mut machen und Problembewusstsein für den gesellschaftlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen schärfen. Manchmal bringen Selbsthilfegruppen mehr als Medikamente. Schon ein Stück Schokolade kann eine Glückspille ersetzen. Soziale Kontakte schützen vor Vereinsamung und Depressionen. Auch hier im Lokalkompass findet man viele nette Leute.

2.) Worauf muss der Patient achten, wenn er meint, dass er eine psychische Erkrankung hat?
Erster Ansprechpartner kann der Hausarzt sein. Er kennt die Familie und die Entwicklung. Der Hausarzt wird dann eine Überweisung zu einem Psychiater schreiben. Dieser sollte sich Zeit für die Diagnose nehmen. Zwei-Minuten-Gespräche sind da nicht ausreichend. Um den passenden Facharzt zu finden, können auch Empfehlungen aus dem Freundeskreis helfen. Wichtig ist, dass der Arzt auf Augenhöhe mit dem Patienten spricht. Diagnosen, die sich hinter Arztlatein verbergen, dürfen nicht sein.

3.) Sie sprechen in Ihrem Buch von "Immerfindern". Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Das ist eine Vokabel, die für mehrere Dinge steht. Sie betrifft Patienten, Personal und Ärzte. Das sind zum einen Leute, die immer eine gute Lösung finden. Es ist heute immer noch so, dass Krankheiten als lebenslänglich eingestuft werden. Und für jede Krankheit gibt es eine Pille. Schon bei Kindern wird Ritalin gegen den „Zappelphilipp“ verschrieben. Die Pharmafirmen verdienen gut daran. Aber die Arzneimittelkosten sind bei der Tablettenbehandlung nicht überschaubar, auf die schädlichen Wirkungen von Medikamenten wird nicht hingewiesen. Pillen können abhängig machen, eine große Gefahr bei Schlafmitteln. Manche Medikamente können sogar lebensbedrohliche bis hin zu tödlichen Nebenwirkungen haben. Es gibt auch Lifestyle-Drogen, die zur Leistungssteigerung eingesetzt werden. Dies geschieht sogar bei Tieren, beispielsweise im Reitsport. Manchmal hat man den Eindruck, da wird nach der Devise gehandelt: „Darf’s etwas mehr sein?“

4.) Das führt dann aber auch zu kuriosen Diagnosen wie im Fall von Gustl Mollath?
Ja, Gustl Mollaths Frau arbeitete in der Nürnberger Filiale der Hypo-Vereinsbank und transferierte seit 1999 illegal hinter dem Rücken der Bank Kundengelder in die Schweiz. Gemeinsam mit anderen Kollegen war sie an einem Schwarzgeld- und Geldwäschehandel beteiligt. Mollath wollte, dass seine Frau damit aufhört, schrieb Briefe an den Bankvorstand und erstattete Anzeige. Doch statt, dass die Staatsanwaltschaft tätig wurde, verließ ihn seine Frau und Mollath landete in der Forensik, also der geschlossenen Psychiatrie für Straftäter. Es ist davon auszugehen, dass Mollath Opfer eines Psychiatrie- und Justizirrtums geworden ist. Offizielle Instanzen blenden manchmal unbequeme Realitäten aus. Schwierige Menschen werden da als verrückt eingestuft und müssen vor den Normalen weggeschlossen werden.

5.) Oder ermöglicht auch Karrieren wie die von Gerd Postel, der sich vom Postboten zum Oberarzt hochschwindelte?
Ja, Postel ist ein Immerfinder der besonderen Art. Er hat neue Krankheiten erfunden, Gutachten geschrieben und niemand widersprach ihm. Postel sagte selbst mal, er sei ein Hochstapler unter Hochstaplern gewesen. Er flog erst auf, als ihn eine ehemalige Mitarbeiterin erkannte.

6.) Nun hat man den Eindruck, dass Burn-out-Erkrankungen zunehmen. Sie beschreiben in ihrem Buch das Beispiel des Bundesliga-Fußballtorwarts Robert Enke, der sich selbst das Leben genommen hat.
Burn-out ist eigentlich eine Depression, sie trifft vor allem aktive und leistungsstarke Menschen. Der Begriff Burn-out ist daher auch eher positiv besetzt. Wer es sich leisten kann, erhält in guten Kliniken eine besondere Behandlung. Da gibt es dann Gespräche, Qi Gong, Massagen, das Wellnesspaket ist breit gestreut. Bei den „normalen Kranken“ geht es vor allem darum, die Menschen möglichst schnell wieder fit zu machen.

7.) Nun gibt es bei älteren Männern und Frauen in der Behandlung Unterschiede?
Ja, Männer „therapieren“ sich mitunter mittels Alkohol selbst, Frauen bevorzugen den Gang zum Arzt. Ich habe dieses Kapitel überschrieben mit „Für Opa den Schnaps, für Oma die Pillen“. Das sind meist Schlaf- oder Beruhigungsmittel.

8.) Was erwartet mich im Kapitel „Partygags“?

Das Kapitel widmet sich dem im Internet beschriebenen Spiel „Irrenhaus“, bei denen man den „Verrückten“ spielen muss und das sich guter Beliebtheit erfreut. Gleichzeitg kann man diese Rollenspiele aber auch zur Mitarbeiterfortbildung für Fachkräfte einsetzen, zum Beispiel als Praxisteil in Informationsveranstaltungen zur Psychose. Die Fortbildungsteilnehmer können so spielerisch die Perspektive der Betroffenen einnehmen und mit einer Prise Humor den Blick weiten.

9.) Was ist ihr persönliches Fazit?
Man sollte psychisch Erkrankten mehr Wertschätzung entgegen bringen und im Zuge der Diskussion um Inklusion besser in die Gesellschaft integrieren. Alle Beteiligten müssen sich mehr Zeit nehmen für das Gespräch untereinander. Die „Götter in Weiß“ kann man auch mal kritisch sehen. Es gibt heute Fachforen im Internet, auf denen Symptone beschrieben werden und wo sich Patienten informieren können. Wenn man mitreden will, gibt es dafür eine Reihe von Interessensvertretungen. Krankenhäuser kehren heute Behandlungsfehler lieber unter den Tisch, als eine gute Fehlerkultur zu pflegen. Arzt- und Behandlungsfehler müssen transparenter werden. Man sollte nicht immer gleich zur Pille greifen, die Möglichkeiten zur ambulanten Behandlung ausbauen und Krankheiten nicht zwangsläufig als lebenslänglich behandlungsdürftig hinnehmen.

Manchmal helfen schon gute Freunde, die richtigen „Mutmachgeschichten“ und ein wohldosiertes Stückchen Schokolade!

Michaela de Groot: Von Postboten, Partygags und Immerfindern. Sachgeschichten aus der Psychiatrie, novum publishing gmbh, 2013. ISBN 978-3-99010-593-1, auch als e-book erhältlich.

Autor:

Norbert Opfermann aus Düsseldorf

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