Sozialkritischer Touch führt Märchen in ein anderes Genre
Das moderne Schneewittchen

Die Stiefmutter befragt den Spiegel, Vater und Tochter (links) hören gespannt zu. Fotos: Jörg Terbrüggen
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Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Ein jeder kennt die Geschichte von Schneewittchen, doch das Grenztheater Junge Erwachsene hat davon eine moderne, sozialkritische Version erarbeitet.

"Es ist ein zeitgemäßes Stück, das sich an dem roten Faden des Märchens entlang hangelt", erklärte Judith Hoymann, die gemeinsam mit Sandra Heinzel das Stück ein klein wenig veränderte und gesellschaftskritische Dinge einfließen ließ. "Daher ist das Stück auch erst für Kinder ab zwölf Jahre geeignet." Es geht, wie im Märchen von Schneewittchen, um einen Vater (gespielt vom 20-jährigen Mussa Aklaghi) und seine Tochter (gespielt von der 14-jährigen Lorin Tuku), die Mutter und Ehefrau verloren haben. Der Vater ist unfähig mit der Trauer seiner Tochter umzugehen. Für ihn scheint die Lösung einfach zu sein: Er will sich so schnell wie möglich eine neue Frau suchen.
Seine Tochter sucht verzweifelt den Kontakt zu ihm, den er allerdings nicht zulässt. Und es kommt, wie es kommen muss: Eine neue Frau (Johanna Rabs, 14 Jahre) mit einem Kind (Emma Brouwer, 14 Jahre) aus erster Beziehung hält Einzug. Vielleicht normalisiert sich ja auch für die Tochter mit der neuen Frau an der Seite ihres Vaters ihr eigenes Leben. Doch der neuen Lebensgefährtin ist überhaupt nicht daran gelegen, eine gute Beziehung aufzubauen. Im Gegenteil: Sie übernimmt recht schnell das Zepter, sehr zum Leidwesen der Tochter. Und der Vater? Der ist seiner neuen Lebensgefährtin fast hörig. "Hier kommt die Problematik einer Patchworkfamilie zum Tragen", bemerkte Judith Hoymann.
Die Parallelen zu Schneewittchen gehen aber noch weiter. Denn auch der Geschäftspartner des Vaters (dargestellt vom 21-jährigen Jonas Houben) ist in die Frau verliebt, die zwischendurch immer wieder ihren Spiegel (Viviane Schmidt, 16 Jahre) befragt. Und der macht sie auf das falsche Spiel aufmerksam, versucht ehrlich zu sein. Dennoch gelingt es der Stiefmutter, einen Keil zwischen ihrem Vater und seiner Tochter zu treiben. Das Kind wird weggeschickt, ist am Boden zerstört und der Belastung nicht gewachsen. Der Geschäftspartner - er hat quasi die Rolle des Jägers in Schneewittchen - bringt sie in eine Wohngemeinschaft, in der sich ausschließlich junge Leute mit Startschwierigkeiten befinden. Betreut werden sie von einem Sozialarbeiter (Justin Wolffs, 15 Jahre).
In der WG (Nadine Lukaszen, 15 und Anna Janßen, 14) herrscht das Chaos und hier scheint jeder jeden zu mobben. Der Schmerz verstoßen zu sein macht es für "Schneewittchen" nicht einfacher. Und als sie dann auch noch erfährt, wie gut es ihrer Familie zuhause jetzt geht, droht der Absturz. In ihr reift schließlich der Entschluss, sich umzubringen. Aber wie im richtigen Märchen gibt es da ja noch den Prinzen, in diesem Falle einen Jungen aus der WG (Haroon Aklaghi), der sie quasi wach küsst und sie vor dem Tod bewahrt. Seit Herbst letzten Jahres laufen die Proben zu "Schneewittchen - Märchen gibt es nicht". "Wir wollten ein Märchen einfach einmal in ein anderes Genre bringen", so Judith Hoymann. "Und da auf der Bühne wenig Requisiten stehen braucht man absolut fähige Schauspieler."
Und tatsächlich, es ist bemerkenswert, wie gerade die Jüngeren ihre Rolle verkörpern und ausdrücken. Die Aufführung ist am 27. Mai um 12 Uhr für die Schulen und um 18 Uhr für die Öffentlichkeit im Stadttheater. Im Schlösschen proben die jungen Erwachsenen eifrig am Stück "Schneewittchen - Märchen gibt es nicht".

Die Stiefmutter befragt den Spiegel, Vater und Tochter (links) hören gespannt zu. Fotos: Jörg Terbrüggen
Das Märchen ist bekannt, doch die Geschichte, die Judith Hoymann und Sandra Heinzel mit ihrem Grenztheater junge Erwachsene zeigen, hat mit Märchen wenig zu tun. | Foto: Jörg Terbrüggen
Autor:

Jörg Terbrüggen aus Emmerich am Rhein

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