September 1945

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Auszug aus dem Tagebuch meines Vaters

einen Tag vor seinem 25. Geburtstag war Abmarsch nach Lindau und von dort aus wurden sie in einem Viehwaggon nach Belgien in die Kriegsgefangenschaft transportiert. Hier ging es von Camp zu Camp.

Schlimme Krankheiten waren an der Tagesordnung. Mitte Januar 1946 erwischte ihn die Diphterie. Sofort wurde er in einer Sanka nach Brüssel ins Lazarett verlegt. Dort hieß es, er kommt mit einem der nächsten Transporte in ein Heimatlazarett.
Er freute sich so. Er hoffte.
ABer es kam wieder anders.
Er blieb im Lazarett. Es war dort nicht gar so schlimm. An einem Sonntag gab es sogar richtig gutes Essen und nachmittags Streuselkuchen.

Am 23.1.1946 wurde mein Vater wieder verlegt.
Dort in Ostende im Lazarett traten die ersten Lähmungen am Fuß auf.
Er wurde mit Spritzen (Beatrixin) behandelt. Aber die Lähmungen blieben.

Mein Vater wusste wie auch all die anderen nicht, ob zuhause noch jemand lebte, ob noch jemand dort wohnte, wo sein Vater war, seine Geschwister, seine Freundin. Er versuchte es mit der üblichen Suchkarte.

Mitte Februar wurde er zur Evakuierung nach Deutschland vorgeschlagen. Der Lazarettzug soll von Ostende nach Königslutter bei Braunschweig fahren.

Aber der Transport wurde wieder bis auf weiteres verschoben.

Dieses kleine Notizbuch, das fast auseinander fällt, zeugt von der Zeit damals. Mein Vater hatte offensichtlich nur diesen Taschenkalender aus dem Jahr 1943 und einen Bleistift. Er hat ganze Liedertexte aufgeschrieben, Noten und zu Muttertag ein Gedicht.
Ganz hinten neben den Seiten mit Zahlen - was mögen sie gespielt haben? Skat? - findet sich ein Rezept für Fruchtpudding. Liest sich allerdings eher wie eine Anleitung für einen Rumtopf. Vielleicht hieß der damals so?

Seitenweise hat mein Vater auch Adressen aufgeschrieben von Bekannten, anscheinend Männern, mit denen er bei der Marine oder in Gefangenschaft war.
Auch den Mädchennamen und die Adresse meiner Mutter habe ich hier auf den vergilbten Seiten gefunden. Ihre Anschrift in Kiel, wo sie Marinefunkerin war und wo sie sich kennen gelernt hatten und ebenso die Heimatadresse: Lotti Singendonk, Johanna-Sebusstr., Siedlung.

Aber auch der Kalender selber steckt voller Daten, die wie Feiertage anmuten:
der 10. Oktober z.B. ist ein Opfersonntag und Eintopfsonntag,
der 10.Mai: 1940 Deutscher Angriff über die Westgrenze,
Viele, viele Einmarsch-und Kapitulationsdaten füllen die Seiten. Vorgedruckt, wohlgemerkt, nicht manuell eingetragen.

Dieses Dokument und verschiedene andere habe ich nach dem Tod meiner Mutter entdeckt. Spiegel aus einer anderen Zeit, einem völlig anderen Zeitgeschehen. Einer Zeit, die hoffentlich nie mehr wieder kommt.

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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