Shadow und der RWE

Shadow und der RWE – Heimspiel für Pekinesen und böse Orks

Eigentlich hat Shadow sich immer für Hunderennen, Agility und
Dressurreiten interessiert. Aber so im Alter von ungefähr 4 Jahren hat
sich das geändert. Da war dieses Heimspiel RWE gegen Wuppertal, und
einer seiner Freunde, er hieß Obama, wollte ihn mitnehmen, um ihm mal
die tolle Atmosphäre im Stadion zu zeigen. Obama war eine sportliche
Bulldogge, schon etwas älter als Shadow, und eigentlich nicht so der
Umgang, den ich mir für ihn vorgestellt hatte. Obama trug ständig
dieses Stachelhalsband, und ein rotes Tuch darunter, das sah schon
sehr speziell aus. Doch Shadow mochte ihn, und er fühlte sich wohl und
akzeptiert in seiner Gegenwart. Die beiden unternahmen sehr viel
zusammen, mal gingen sie zusammen zu Fressnapf, schauten sich die
Leckereien an, und ab und zu gab Shadow sein ganzes Taschengeld für
unnützes Zeug aus. Er ließ sich dabei sehr von Obama beeinflussen, der
ihn mit seiner aggressiven Art, seinem selbstbewussten Auftreten und
seinem Mut sehr beeindruckte. Mir gefiel das weniger, aber ich konnte
nicht viel ausrichten. Sobald ich ein böses Wort über Obama verlor,
schaltete Shadow auf Durchzug, verschwand in seinem Körbchen und
schmollte.

An einen Dienstag im Juli bekam ich dann zum ersten Mal einen Anruf
vom Ordnungsamt. Man hätte ihn und Obama im Fressnapf beim Stehlen
erwischt. Er hätte einen Ochsenziemer in seiner Hose versteckt, und
wollte ohne zu bezahlen an der Kasse vorbei, während Obama draußen
wartete und Schmiere stand. Ich fiel aus allen Wolken, sowas hätte ich
niemals gedacht, er war doch immer so ein lieber Welpe, und schon früh
hatte ich ihm der Unterschied zwischen Gut und Böse erklärt. Aber
dieser Obama hatte einen wirklich schlechten Einfluss auf ihn. Der kam
aus zerrütteten Verhältnissen, die Mutter war Frolic-Abhängig, der
Vater ne kleine Altendorfer Rotlichtgröße, fast nie zu Hause, und
wenn, dann wurde gezockt und getrunken. Keine schöne Kindheit. Also
verbrachte Obama die meiste Zeit draußen, ohne Leine, und schlug sich
mehr schlecht als recht durchs Leben.

Shadow war sich keiner Schuld bewusst, schließlich wäre es eine
Mutprobe gewesen, um in den Fanclub eintreten zu können. Ich wusste
erst gar nicht, wovon er redete. Der „Fanclub“ war eine Gruppe von
Rot-Weiß-Fans, die sich „Rot Beisst Essen“ nannte. Alles Hunde vom
Kaliber Obama, ohne Job, und ohne Perspektive. Überwiegend Bulldoggen,
weshalb man sie auch Bulligans nannte, und die meiste Zeit lungerten
sie vor der Fleischerei Schmidt ab, tranken Red Bull, und pöbelten die
Kunden an. Der Metzgermeister hatte sich schon öfter beim Ordnungsamt
beschwert, aber denen waren die Hände gebunden. Außer ein paar
Platzverweisen konnte man nicht viel ausrichten. Am nächsten Tag waren
sie wieder da, und das Theater ging von vorne los. Und auch im
Stadtteil waren sie gefürchtet und unbeliebt. Jeden Donnerstag
spazierten sie durch Altendorf, wollten Präsenz zeigen, und den
Stadtteil wieder „sicherer“ machen. Die Spaziergänge der „Altendorfer
Bulls“ waren gefürchtet, eine Gruppe von 10-20 Bulldoggen, dazu ein
paar Schäferhunde, der ein oder andere Labrador, und auch ein
Dalmatiner war oft dabei. Keine Ahnung wie der dahin kam. Sie
spazierten generell ohne Leine und Begleitung, kläfften wild rum, und
verrichteten ihr Geschäft auf dem Gehweg. Natürlich hatte keiner einen
Kotbeutel dabei, die waren verpönt. Das ging wochenlang so, und die
Hunde der Umgebung waren so genervt davon, dass sie sogar dagegen
demonstrierten. Schließich würde das ein total schlechtes Bild auf den
Stadtteil und die friedliebenden Hunde darin werfen. So kam es
regelmäßig zu Aufeinandertreffen von den Altendorfer Bulls und den
Demonstranten der Bewegung „Leinenzwang“. Und Shadow mittendrin.

Das Heimspiel der Rot Weißen gegen Wuppertal war an einem Sonntag.
„Ein Spitzenspiel“ kläffte Obama, und er kam schon am frühen Morgen,
um Shadow abzuholen. Man würde sich in der hiesigen Vereinskneipe
„Bull 7“ treffen, um sich auf das Spiel einzustimmen. Ich bemerkte
sofort, dass Obama schon angetrunken war. Er hatte glasige Augen, und
sein Bellen war rau. Shadow war aufgeregt, er hatte seine Kutte
angezogen, den Schal umgehängt, und einen Rucksack auf. Ich hörte das
klappern der Dosen darin. „Trink nicht soviel“ gab ich ihm mit auf den
Weg, doch er schmiss die Hundeklappe hinter sich zu, und verschwand
ohne Verabschiedung. In der Kneipe ging es wohl sofort hoch her. Man
trank und rauchte, schmetterte Lieder, und brachte sich so immer mehr
in Stimmung, und auch in Rage. Shadow gefiel der starke Zusammenhalt
der ganzen Truppe, und er fühlte sich akzeptiert und verstanden. „Kot
und Hass dem WSV“ skandierte er im Kollektiv, und je mehr er trank,
desto aggressiver wurde seine Stimmung, aufgeheizt von den vielen
Schlachtrufen der anderen. „Wuppertal – Tassoqual“ oder „Essner Köter
stark und blau – Auf die Fresse WSV“!

Nachdem man sich stundenlang aufgeheizt hatte, ging es gemeinsam zum
Bahnhof. Das Ordnungsamt hatte extra eine Hundertschaft aus Fischlaken
angefordert, um die Lage zu kontrollieren. Hundemarken wurden
kontrolliert, und allzu betrunkene und aggressive Fans wurden
aussortiert und zur Ausnüchterung in einen Zwinger verfrachtet, doch
die meisten schafften es ins Stadion. Er stand mitten im Fanblock der
harten Bulligans, und fühlte sich stark und selbstbewusst, man
lieferte sich Sprech-Gebelle mit den gegnerischen Hunden, und
skandierte lautstark die üblichen Hass-Tiraden. Obama war besonders
aggressiv, fletschte oft die Zähne, er knurrte wild springend herum,
und sein Speichel lief ihm an den Lefzen herunter. Und er wollte mehr,
mehr trinken. Er schnappte sich Shadow, um noch mehr Red Bull zu
holen.

Angekommen an der Bude vor dem Stadion bestellte er noch mehr, viel
mehr. „Ne Halbzeit is lang“ bemerkte er. Aber er bemerkte auch diesen
kleinen Pekinesen, der neben ihm stand, und eine WSV-Kutte trug. „Na,
haste Dich verlaufen Du Mistköter?“ blaffte er ihn an. Doch der
Pekinese beachtete ihn nicht. „Ich hab dich was gefragt
Zwergpinscher!“ Der Pekinese schaute ihn nur kurz an, und bemerkte,
dass er zwar klein, aber weit entfernt von einem Zwergpinscher wäre.
Dann drehte er sich um, und dabei stieß er Obamas Red-Bull-Dose um,
die ergoss sich über seine Kutte. Obama war außer sich vor Wut, er
fing unkontrolliert an zu Kläffen, seine Augen wirkten fast schwarz,
waren riesengroß, und mit gefletschten Zähnen ging er auf den kleinen
Hund los, packte ihn im Nacken, und wirbelte ihn durch die Luft. Der
Pekinese prallte auf den Boden, und wimmerte schmerzvoll, Blut floss
aus der Wunde, die Obama ihm zugefügt hatte. Shadow war wie gelähmt,
seine Beine zitterten, und sein Herz pochte wild. „Los, gib ihm den
Rest“ hörte er Obama kläffen, „zeig, dass Du einer von uns bist
Shadow!“

Shadow war bewegungslos, Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Damals
war er Kotfinder, und zusammen mit anderen jungen Rüden ging er durch
die Stadtteile, und beseitigte Kotbeutel und Hinterlassenschaften, die
verantwortungslose Herrchen und Frauchen einfach in der schönen Natur
hatten liegen lassen. Sein bester Freund damals war ein kleiner
Pekinese, sie waren unzertrennlich, teilten sich einen Fressnapf, und
sprangen zusammen durch Pfützen, jaulten zusammen in der Disco zu „Who
let the dogs out“. Sein bester Freund damals hieß „Hobbit“, weil sein
Frauchen so auf „Herr der Ringe“ stand. Hobbit war ein total
intelligenter und friedvoller junger Rüde. Damals war Shadow
fasziniert von der Art, wie Hobbit mit Konflikten umging. Sobald er
auf einen aggressiven Rüden traf, legte er sich auf den Rücken, und
zeigte diesem seine Unterwürfigkeit. Shadow verstand das erst nicht,
und fragte oft, warum er sich nicht wehren würde, schließlich könne
man sich ja nicht alles gefallen lassen. Doch Hobbit war anderer
Meinung. Er erklärte ihm, dass er durchaus gelernt hätte, sich zu
wehren, aber dass Gewalt keine Lösung wäre. „Wenn Du Deinen Verstand
benutzt“ sah er ihn an, „dann wirst Du sehen, dass Gewalt nur
Gegengewalt erzeugt“! Shadow war verwirrt, schließlich müsse man sich
doch irgendwie gegen solche Machos und Idioten wehren! Doch Hobbit
winkte ab. „Der Idiot wärst Du, wenn Du einen Kampf provozieren
würdest! Es ist doch viel intelligenter, wenn Du dem Angreifer im
Glauben lässt, dass er stärker ist“ erklärte er. „Wenn Du Dich auf
eine Beißerei einlassen würdest, dann wärst Du doch genau so dumm wie
Dein Gegenüber!“ bemerkte er noch. „Du bist ein guter Hund Shadow,
benutz Deinen Verstand, nicht Dein Gebiss“!

Shadow merkte, wie sein Herz immer wilder pochte, er fühlte wie sich
seine Nackenhaare sträubten, während Obama ihn immer noch wild
ankläffte, ihn aufforderte, dem kleinen, verletzten Hund den Rest zu
geben. Dieser sah ihn verzweifelt an, während er auf dem Rücken lag,
und er zeigte Shadow seine Unterwürfigkeit, während er zitterte und
blutete.

Shadow und der kleine verletzte Pekinese waren von da an beste
Freunde. Man sah sie noch oft durch Pfützen springen und durch
Gebüsche huschen, immer auf der Suche nach achtlos weggeworfenen
Kotbeuteln. Noch oft redeten sie von der Begegnung am Getränkenapf
hinterm Stadion, und wie Shadow sich dann schützend auf ihn warf, und
sich dann ebenfalls auf den Rücken legte, so wie es die umliegenden
Hunde dann auch taten. Davon war Obama dann völlig verwirrt, und er
verschwand wieder in der dunklen Menge der kläffenden Bulldogen im
Stadion. Shadow hatte nie mehr etwas von ihm gehört, man munkelt, dass
er betrunken unter die Räder gekommen wäre, doch Shadow erfuhr, dass
er einfach nur an den Falschen geraten war in seiner aggressiven Art,
der hatte sich dann nicht auf den Rücken gelegt, sondern auf Obama,
der hatte das nicht überlebt.

Der kleine verletzte Pekinese brachte Shadow wieder auf den richtigen
Weg, gemeinsam gingen sie auf anderen Wegen, bevor der kleine sich
dann verliebte, Welpen zeugte, und in eine andere Stadt zog.

Doch noch heute kuschelt sich Shadow an mich, wenn ich mal wieder „Der Herr der Ringe“ schaue, und er legt sich auf den Rücken, lässt sich kraulen,
während der kleine Hobbit im Film gegen böse Monster und gewaltige
Orks kämpft…ganz ohne beißen.

#GegenGewalt

Autor:

Achim Feldhordt aus Essen-Borbeck

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