Prozessbevollmächtigte ohne Vollmacht sind nutzlos
Wie der Geschäftsführer des Jobcenter Märkischer Kreis die Sozialgerichte lahmlegt

Es ist jedem freigestellt zu glauben, dass die Erde eine Scheibe ist oder dass sich die Sonne um die Erde dreht. Klimawandel muss niemand ernst nehmen. Man darf auch glauben, dass die Hartz-IV-Regelsätze als Existenzsichernde Grundversorgung ausreichen. Alles ist erlaubt. Aber gegen jede dieser Thesen gibt es begründete Kritik. Die ersten sind bereits widerlegt.

Das Bundessozialgericht hat über eine solche Klage um die Höhe der Regelsätze 2017 (B 14 AS 315/18 B) zu entscheiden,  ob die Revision zugelassen wird.  Inzwischen sind allein beim Sozialgericht Dortmund Hunderte solcher Klagen anhängig. Bis der Verfahrensgang beim BSG/BVerG abgeschlossen ist, werden wohl noch Jahre vergehen. Aber wer nicht klagt, hat kapituliert.
LSG NRW, L 2 AS 1466/17,
SG Dortmund, 21.06.2017 - S 58 AS 5645/16

Üblicherweise werden solche Verfahren „ruhend gestellt“ oder auch mit einem Unterwerfungsvergleich beiseitegelegt, bis eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. Das geschieht ohne nennenswerten Aufwand an Zeit und Geld.

Neulich beim Sozialgericht Dortmund

Es war ihm deutlich anzumerken, dass der vorsitzende Richter Dr. Becker-Evermann es leid war, von den nicht autorisierten Prozessbevollmächtigten des Jobcenter Märkischer Kreis weiter behindert zu werden. In dem Verfahren S 56 AS 5129/17 hatte er darum den Geschäftsführer Volker Riecke persönlich vorgeladen, als die Person, die bisher als Souffleuse aus dem Hintergrund Anweisung an die Statisten vor Ort gegeben hatte. Prozessbevollmächtigte ohne Entscheidungsvollmacht sind überflüssige Kostenfaktoren.

Nach einer kurzen Einführung zum Verfahren, wandte sich der Richter direkt an den Geschäftsführer: „Warum nicht ruhend stellen, Herr Riecke?“
Die Antwort war ebenso kurz und falsch: „Es ist keine Hauptsacheverhandlung anhängig.“

„Aber bei den Kosten der Unterkunft im Märkischen Kreis ist auch keine Hauptsacheverhandlung beim BSG anhängig, . . .“ Richter Dr. Becker-Evermann wies ausdrücklich darauf hin, dass die Ruhendstellung solcher Verfahren Prozessökonomisch sinnvoll sei, weil sie Zeit und Kosten einspare.
Außerdem machte er darauf aufmerksam, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Regelsatzentscheidung 2014 die Regelsätze nur unter Auflagen noch durchgewunken hätte. Er riet dem Geschäftsführer dringend dazu der Ruhendstellung des Verfahrens zuzustimmen.
Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker stellte heraus, dass andere Jobcenter genauso verfahren würden.

Volker Riecke: „abwarten“, aber „nicht ruhend stellen“?

Volker Riecke hingegen wies darauf hin, dass es bei Verfahren zu den Kosten der Unterkunft um kommunale Leistungen geht, wo hingegen die Regelsätze Leistungen des Bundes sind. Er bestand darauf, dass der Richter über das Verfahren entscheidet. Er wolle „abwarten“, aber „nicht ruhend stellen“.
Der Richter bekräftigte die Tatsache, dass allein Riecke als Geschäftsführer des Jobcenters die Ruhendstellung entscheiden könne, nicht die Bundesagentur und keine andere Behörde.

Soviel Sturheit war eine offene Provokation für Richter Dr. Becker-Evermann. Er stellte dem Geschäftsführer in Aussicht: „Wenn sie nicht zustimmen, müssen sie, Hr. Riecke, demnächst jeden Termin wahrnehmen.“ Dann kam er ihm noch einmal weit entgegen und bot ihm die Möglichkeit eines Unterwerfungsvergleichs an.

Er erinnerte mit Hinweis auf die Hunderte anhängigen Klagen zu den Kosten der Unterkunft, dass das Jobcenter wiederholt die Verfahren durch fehlende Mitwirkung behindere, weil das Jobcenter verpflichtet wäre jeweils die Konzepte zu übersenden.

Allein Riecke blieb unnachgiebig: „Ich habe meine Meinung mitgeteilt und halte daran fest.“
Richter Dr. Becker-Evermann zeigte sich deutlich flexibler: „Dann muss das Sozialgericht Dortmund seine Vorgehensweise gegenüber dem Jobcenter Märkischer Kreis insgesamt überdenken.

Dann zog er sich mit den ehrenamtlichen Richtern Müller und Wechsler zur Beratung zurück.
In seiner Entscheidung wies er die Klage zurück und öffnete damit den Weg zur Nichtzulassungsbeschwerde.

„Das Jobcenter ist verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. . . . Nach Abwägung mit dem gesetzlichen Zweck zur Ausübung des Ermessens sowie dem öffentlichen Interesse war die Entscheidung somit in dieser Form zu treffen. Es ist nicht gerechtfertigt, . .“  - warum der Geschäftsführer dem zuwider handelt bleibt 

Wie hatte Volker Riecke doch vor der Verhandlung seinem Mitarbeiter zugeflüstert: „Ich kenne mich hier länger aus als er (der Richter) und das weiß er wohl nicht.“
- Länger vielleicht, Herr Riecke, aber nicht besser.

Überprüfungsanträge können Ansprüche sichern

Wer bis zum Ende diesen Jahres noch Überprüfungsanträge gem. § 44 SGB X  für bestandskräftig gewordene Bescheide stellt, kann möglicherweise noch Ansprüche ab Januar 2018 sichern. Aufgrund der überlangen Verfahrensverschleppungen im Sozialrecht ist z.B. bei den Kosten der Unterkunft bei vielen Städten und Kreisen über die Mietobergrenzen kein Urteil gesprochen. Im Märkischen Kreis gibt es seit Januar 2014 keine Rechtssicherheit. Jeder, der aus seiner Regelleistung Mietanteile mitgezahlt hat, wurde getäuscht in der Absicht der Vermögensschädigung. 
Auch über die Sanktionspraxis im SGB II hat das Bundesverfassungsgericht noch immer nicht entschieden. Bis zur Urteilsverkündung können Sanktionsbescheide noch angegriffen werden.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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