Leider erschreckend aktuell:
Arm wie eine Kirchenmaus

Die Kirchenmaus am Portal der St.Ludgerus-Kirche (Essen-Werden).
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  • Die Kirchenmaus am Portal der St.Ludgerus-Kirche (Essen-Werden).
  • hochgeladen von Bernd Dröse

Sie ist schwerer zu finden als die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Wenn man nicht, wie ich, den  Tipp eines Kenners der Essener Kirchen bekommen hat, ist es nahezu  aussichtslos, die kleine Kirchenmaus der ehemaligen Abteikirche des Benediktinerklosters Werden (St.-Ludgerus-Kirche) zu entdecken.
Selbst vor Ort musste ich mich noch durch meinen "Telefonjoker" auf die richtige Spur bringen lassen.

Wenn überhaupt, dann hat sie höchstens Originalgröße und versteckt sich in den Acanthusgirlanden des Hauptportals. Dazu kommt noch, dass ihre Körperhaltung völlig unnatürlich ist. Sie nagt sich, auf dem Rücken liegend, durch den Acanthus, um an eine Mohnkapsel zu gelangen. Dabei stellt sich die Frage, ob der fressende Nager überhaupt die klassische arme Kirchenmaus darstellen soll, denn die Werdener Maus befindet sich ja noch außerhalb der Kirche.
In den Kirche sieht es  für die kleinen Nager ganz anders aus. Dort finden Mäuse nämlich überhaupt keine Nahrung mehr. Alles , was es dort zu knabbern gibt, sind höchstens herunter gefallene  Oblaten.
Kirchen sind nun mal keine Speisekammern und keine Getreidespeicher.
Deshalb haben sich die Menschen schon sehr früh- wahrscheinlich im 18. Jahrhundert - gedacht, dass es einem nicht schlimmer  ergehen kann  als einer Maus in einer Kirche. Und daraus wurde dann die sprichwörtliche arme Kirchenmaus. Diesen bildhaften Vergleich findet man übrigens auch in Frankreich, Schottland und Russland. In Russland hat die arme Kirchenmaus es sogar in die Weltliteratur geschafft. In Dostojewskis Roman "Der Spieler" heißt es : "Alles, was ich besitze, ist ihm verpfändet; ich bin arm wie eine Kirchenmaus!"
Den zweiten Anlauf, eine Kirchenmaus aufzuspüren, nahm ich in der Essener Münsterkirche, dem Essener Dom. Dort war es etwas leichter , die Kirchenmaus zu finden, denn das Internet gibt eine recht gute Wegbeschreibung: Wenn man den Kreuzgang über die Treppe am "Zwölfling" betritt, hält man sich links und findet die Kirchenmaus "Marian" dann auf einer der ersten Säulen auf der rechten Seite. Aber auch diese Maus ist nicht leicht zu entdecken, weil sich der Stein, auf dem sie abgebildet ist, kaum von den anderen Steinen  abhebt.
Aber die Suche nach den armen Kirchenmäusen ist weit mehr als ein kniffliges Findespiel.
Gerade als ich die Kirchenmaus im Kreuzgang der Münsterkirche abbilden wollte, sprach mich ein junger Mann an und fragte mich nach etwas Kleingeld.
Wie wir alle wissen, ist Armut in Deutschland  nicht auf  Kirchenmäuse beschränkt,  sondern hat sich in den letzten Jahren zu einem  wachsenden  und bedrückenden Problem unserer Gesellschaft entwickelt. Und anders als bei den Kirchenmäusen muss man danach, gerade im Ruhrgebiet, nicht lange  suchen. Armut  begegnet einem  auf Schritt und Tritt.  Die Schlangen vor den Essensausgaben der "Tafeln", die Rentner, die Flaschen sammeln müssen, um über die Runden zu kommen, die Kinder, die, ohne gegessen zu haben, morgens hungrig in den Schulen erscheinen oder aus finanziellen Gründen nicht an den Schulausflügen teilnehmen können. Armut hat viele Gesichter.
Die Gründe, warum Menschen arm sind, sind vielfältig und vielschichtig. Die Lösungen sind nicht so einfach, wie uns Populisten glauben machen wollen.
" Mit schlimmen Zuständen dürfen wir uns nicht abfinden. Niemand darf wegsehen, wenn wir Armut begegnen. Keine einzelne Person, keine Organisation, keine Regierung."
(Andreas Brockmann, DRK Nordrhein)
 So gesehen  sind die beiden armen Kirchenmäuse in Werden und in der City auch kleine  Mahnmale, die auf  Missstände in unserer Gesellschaft hinweisen, die nach Abhilfe schreien.

 


Autor:

Bernd Dröse aus Essen-West

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