Lesereise gegen das Vergessen macht mit „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ Station im MiR
Ein Stück dunkle Geschichte

Der Schauspieler Benno Fürmann wählte gemeinsam mit dem Autor zwei Textpassagen für die Lesung aus. Die Kaltschnäuzigkeit mit der die Täter beim von Fritz Bauer initiierten Frankfurter Auschwitz-Prozesses von 1963 bis 1965 auftraten, sorgte für spürbare Betroffenheit im Publikum. | Foto: Gerd Kaemper
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  • Der Schauspieler Benno Fürmann wählte gemeinsam mit dem Autor zwei Textpassagen für die Lesung aus. Die Kaltschnäuzigkeit mit der die Täter beim von Fritz Bauer initiierten Frankfurter Auschwitz-Prozesses von 1963 bis 1965 auftraten, sorgte für spürbare Betroffenheit im Publikum.
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 „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Mit diesem Zitat von Fritz Bauer wurde die Lesung von Benno Fürmann aus Dr. Ronen Steinkes „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ im Rahmen der Lesereihe „Gegen das Vergessen“ der NRW-Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Kleinen Haus des MiR eingeläutet. Und manch einem der Besucher klangen die Worte den ganzen Abend über weiter in den Ohren, angesichts dessen was vorgetragen wurde.

Die Antisemitismusbeauftragte sprach in ihrem Grußwort davon, dass die Lesung einen Blick ermöglichen würde in ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, aber auch den heutigen Antisemitismus beleuchten würde. Und sie versprach nicht zu viel.
Die Rechtsanwältin und ehemalige Bundes-Justizministerin war in ihrem Element, als sie schilderte: „Fritz Bauer wollte gegen alle Widerstände eine öffentliche Debatte über die Gräuel des Nazi-Regimes provozieren und verfolgte er mit Vehemenz die Anklage der Täter. Er möchte einen Prozess mit möglichst großer Aufmerksamkeit erwirken.“

Ein spannendes Buch und ein hervorragender Leser

Sie wählte für ihre Lesereihe das Buch von Dr. Ronen Steinke, nicht nur weil es preisgekrönt und verfilmt wurde, sondern auch weil der Autor viel zu sagen hat zur Judenverfolgung gestern und heute.
Mit Benno Fürmann hat sie einen deutschen Schauspieler und Synchronsprecher der ersten Garde gefunden, der selbst bei Amnesty International aktiv ist und nicht weg sieht, wenn ein Unrecht geschieht. Leutheusser-Schnarrenberger zitierte ihn mit den Worten: „Benno Fürmann hat gesagt: Jeder der mit offenen Augen durch die Welt geht, findet auf jedem Kilometer etwas, das verbessert werden müsste. “
Bei der Lesung macht sich Betroffenheit breit, weil immer deutlicher wird, wie sehr im Nachkriegsdeutschland die ehemaligen Täter ihre Seilschaften knüpften und wichtige Positionen des noch jungen Staatsapparates aufrückten.
So erfuhren die Besucher: „Von den 47 leitenden Beamten des BKA im Jahr 1958 sind 33 frühere SS-Angehörige, und als Fritz Bauer (zu dieser Zeit hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt, Anm. d. Red.) sie im Jahr 1960 an einen runden Tisch bittet, um sich für die Ermittlungen gegen mutmaßliche Auschwitz-Täter abzusprechen, da schicken sie ausgerechnet einen Abteilungsleiter vor, der einst als SS-Sturmbannführer in Rissland für die Verschleppung von Zivilisten in Konzentrationslagern verantwortlich war.“

Oberstaatsanwalt Fritz Bauer greift zu einer List

Die alten Schergen infiltrierten an vielen Stellen den Staatsapparat. Das spürte Fritz Bauer, über den Ronen Steinke in seinem Buch schreibt „der rasend ehrgeizige Cheforganisator des Holocaust, der den millionenfachen Mord an den Juden bis ins kleinste bürokratische Detail geplant hat“, der auf der Suche nach Adolf Eichmann, auf Unterstützung hoffte. Und so war es kein Wunder, dass der Leiter der Auslandsabteilung des Bundeskriminalamtes, der frühere SS-Untersturmführer Paul Dickopf, Bauer seine Unterstützung durch die deutsche Polizei bereits 1957 versagte.
Der Bundesnachrichtendienst wusste seit 1952 wo Eichmann lebte und unter welchem Namen, aber es bedurfte des jüdischen Sozialdemokraten Fritz Bauer, um Adolf Eichmann vor ein Gericht zu stellen. Und zwar indem er den Mossad, den israelischen Geheimdienst, regelrecht einlud in sein Büro einzubrechen, um die Akte mit Eichmanns Aufenthaltsort zu fotografieren. So kam es, dass Adolf Eichmann 1962 in Israel den Tod durch Hängen fand.
In einer Gesprächsrunde schilderte Dr. Ronen Steinke, Jurist, Autor der Süddeutschen Zeitung und Jude, wie er als Jurastudent erfuhr, wie Fritz Bauer der Gerechtigkeit zum Gelingen verholfen hat. Ihn erstaunte, dass es „bis Anfang der 2000er Jahre keine einzige Monografie zu Fritz Bauer, der solitären Figur der Zivilcourage in Deutschland“ gegeben hat.
Und es entsetzte ihn, dass sein Jura-Dozent den Namen Fritz Bauer nicht einmal kannte. „Es ist mir unbegreiflich, wie a-historisch die Justiz war und ist“, erklärt der Autor, der fasziniert ist von der Person Bauers. „Fritz Bauer hat nur durch seine Flucht ins Exil die Nazis überlebt. Und doch kommt er nach der Niederschlagung des Regimes zurück nach Deutschland und brennt darauf, hier etwas zu bewirken in dieser jungen Republik. Doch die Alt-Nazis waren noch immer zu mächtig.“
Als Jude wuchs Dr. Ronen Steinke in den 90er Jahren damit auf, dass jüdische Kindergärten und Schulen durch hohe Zäune geschützt werden und die Polizei die Synagogen bewacht. „Es ist beschämend, dass sich daran bis heute nichts geändert hat“, findet Steinke.

Antisemitismus endete nicht im Jahr 1945

Der Autor fordert, dass endlich begriffen wird, dass der Antisemitismus in Deutschland sehr viel länger währt als nur während der zwölf Jahre von 1933 bis 1945. „Die Juden waren als Minderheit schon immer gut als Schuldige, egal ob es sich dabei um die Pest, eine Missernte, den Kapitalismus oder Bolschewismus handelt“, erinnert Steinke 
Er erinnerte daran, dass es während des Gaza-Krieges im Sommer 2014 auch in Deutschland zu Demonstrationen dagegen kam. Dabei führte ein Krieg in Israel zu Übergriffen in Deutschland. „Als Molotow-Cocktails auf die Wuppertaler Synagoge flogen, urteilte ein Richter, dass es sich nicht um Antisemitismus, sondern um eine Meinungsäußerung gegen Israel gehandelt habe. Das sehen die Täter doch als Applaus für ihr Tun, das gibt ihnen noch Rückenwind“, klagte der Jurist und Autor.
Sabine Leutheusser Schnarrenberger fordert, Antisemitismus-Beauftragte in Staatsanwaltschaften anzusiedeln. Das macht aus Sicht von Dr. Ronen Steinke Sinn: „Es wäre ein gutes Signal und macht denen Mut, die sich bisher nicht trauen Vorfälle anzuzeigen.“

Der Schauspieler Benno Fürmann wählte gemeinsam mit dem Autor zwei Textpassagen für die Lesung aus. Die Kaltschnäuzigkeit mit der die Täter beim von Fritz Bauer initiierten Frankfurter Auschwitz-Prozesses von 1963 bis 1965 auftraten, sorgte für spürbare Betroffenheit im Publikum. | Foto: Gerd Kaemper
Benno Fürmann, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Ronen Steinke  diskutierten zwischen zwei Leseeinlagen über Antisemitismus gestern und heute. | Foto: Gerd Kaemper
Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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