Mit Vollgas durch die Kurve

Seit 2008 hat Sebastian Ernst beim TV Wattenscheid seine sportliche Heimat gefunden. Foto: Birkenstock | Foto: Foto: Birkenstock
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Mit Vollgas durch die Kurve, immer am Limit, immer kurz davor zu überziehen, - diese Passion teilt Sebastian Ernst (28) mit vielen passionierten Rennfahrern. Nur mit dem Unterschied, dass der Gelsenkirchner im Dienste des TV Wattenscheid als einer der besten deutschen Sprinter gerne selbst das Tempo bestimmt. Vor allem auf seiner Paradestrecke, den 200 Metern, und mit der Sprintstaffel rechnet er sich gute Chancen auf den internationalen Doppelstart in diesem Jahr aus.

von sven krause

Am 27. Februar 2011 lebte Ernst seine Lust auf Vollgas besonders intensiv aus und fühlte sich in den zwei Kurven der 200 Meter-Strecke unterm Hallendach in Leipzig besonders wohl: An diesem eher grauen Spätwinterabend in der sächsischen Metropole belohnte sich Ernst bei den Deutschen Hallenmeisterschaften für seinen Durchhaltewillen der vergangenen Jahre mit einem Deutschen Hallenrekord über 200 Meter. Nach 20,42 Sekunden blieb die Uhr stehen und Ernst hatte es geschafft, seinen Ruf als ewiges Talent in die Umlaufbahn zu katapultieren.
Etwas mehr als ein Jahr ist dieses Highlight inzwischen her, doch in der gerade abgeschlossenen Saisonvorbereitung lief dieser innere Film des Rennens in Leipzig immer wieder in seinem Kopf ab. „Dieser Rekordlauf hat mir mehr alles andere gezeigt, dass noch so viel in mir steckt. Vor allem während der vielen Verletzungspausen wird man schon nachdenklich.“ Als großes Talent galt Ernst schon lange und spätestens seit der Saison 2004/05, als er zusammen mit Tobias Unger der deutschen Sprintszene neues Leben einhauchte und bei der Weltmeisterschaft 2004 über 200 Meter bis ins Halbfinale stürmte. Doch so schnell sich Ernst, der damals noch für den FC Schalke die Spikes schnürte, ins Rampenlicht sprintete, so schnell hatte er nur gute zwei Jahre später den Ruf des ewigen Talentes weg.
Aber auch in den Jahren zwischen 2007 und 2011 steckte Ernst nicht auf. „Ich bin extrem ehrgeizig und habe einen eisernen Willen. Das hat mir in diesen schwierigen Jahren immer wieder geholfen, nach diversen Verletzungen wieder auf die Beine gekommen.“ Vier lange Jahre schuftete und quälte sich Ernst fast im Verborgenen. Motiviert vor allem von seinem Glauben an sich selbst und der knallharten, tagtäglichen Trainingsarbeit mit Coach André Ernst. In dieser Zeit lernte das Riesentalent Ernst vor allem eins: Zu Kämpfen, den inneren Schweinehund zu besiegen und ein gelungenes Meisterschaftsrennen nicht als Selbstverständlichkeit hinzunehmen. Diese Zutaten, verstärkt durch die immer größer werdende Routine als Sprinter und die wachsende menschliche Reife, verwandelten dann im Jahr 2011 das ewige Talent innerhalb von gut 20 Sekunden in einen international anerkannten Top-Sprinter.
Dementsprechend selbstbewusst, allerdings ohne diese für Weltklassesprinter scheinbar unverzichtbare Attitüde der Arroganz, formuliert Ernst seine Saisonziele 2012: „Natürlich ist London das große Ziel. Ich hatte ja das große Glück, bereits einmal bei einer Olympiade dabei sein zu dürfen. Daher will man unbedingt noch einmal dahin. Denn die Atmosphäre ist einfach unvergleichlich. Aber wir haben vorher im Juni ja auch noch die Europameisterschaft in Helsinki. Und unser Verband hat klar gesagt, wer nach London will, muss vorher nach Helsinki.“
Leicht gesagt, schwer umgesetzt. Denn vor den Flug nach London hat der Deutsche Leichtathletikverband wieder einmal happige Qualifikationsnormen gesetzt. So muss Sebastian Ernst für das Ticket nach Helsinki 10,26 Sekunden über 100 Meter unterbieten und 20,70 Sekunden über 200 Meter. „Vor allem die Zeit über 200 Meter sollte möglich sein, doch ob es auch über 100 klappt, dass müssen wir sehen.“ Doch so schön ein Start bei einer EM auch ist, so sehr wird auch dieses Ereignis von den Olympischen Spielen in London überstrahlt. Allerdings hat der DLV den Weg in die britische Metropole mit einer saftigen Norm gepflastert: 10,16 Sekunden über 100 Meter und 20,45 Sekunden über 200 Meter. „Das sind schon sehr heftige Zeiten, vor allem, weil sich der internationale Leistungsquerschnitt der immer als Grundlage genommen wird, in den letzten Jahren kaum verändert hat.“
Doch alles Lamentieren hilft nicht, einzig hartes Training hilft. Daher war Ernst mit der Sprintnationalmannschaft gerade erst für drei Wochen im Trainigslager in den USA. Dabei standen vor allem Staffelwechsel auf dem Programm.
Denn auch Sebastian Ernst ist eines klar: „Selbst wenn ich an den Deutschen Rekord von Tobias Unger (Anmerk. der Redaktion. 20,20 Sekunden) ranlaufen sollte, sind die Sprinter aus der Karibik, den USA oder Afrika kaum zu schlagen. Daher setzen wir auf eine schnelle und eingespielte Sprintstaffel.“ Gemeinsam sind sie stark, die Deutschen Sprinter. Und für Sebastian Ernst gilt dieses Motto fast noch mehr als für alle anderen. Vom eigenbrödlerischen Talent zum erfolgreichen Teamplayer - diese Verwandlung will er nur zu gerne der breiten Öffentlichkeit am 7. August präsentieren.
Dann steht der olympische-Vorlauf über 200 Meter auf dem Programm. Am liebsten natürlich mit Sebastian Ernst. Dem Jungen aus Erle, der am liebsten mit richtig Vollgas in die Kurve geht.

Seit 2008 hat Sebastian Ernst beim TV Wattenscheid seine sportliche Heimat gefunden. Foto: Birkenstock | Foto: Foto: Birkenstock
Fernziel Olympia: Vor allem mit der deutschen 4x100 Meter-Staffel rechnet sich Sebastian Ernst (v.) gute Chancen aus, sich zunächst für die Olympischen Spiele zu qualifizieren und dort auch eine Top-Platzierung abzuliefern. Foto: Birkenstock | Foto: Foto: Birkenstock
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Lokalkompass Gelsenkirchen aus Gelsenkirchen

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