Taktik-Blogger Karsten Jahn schaut bei Domenico Tedesco genauer hin

Schalke-Trainer Domenico Tedesco schaut - wie hier beim Testspiel gegen den AC Florenz - genau hin, ob seine Mannschaft die Vorgaben richtig umsetzt. | Foto: Gerd Kaemper
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  • Schalke-Trainer Domenico Tedesco schaut - wie hier beim Testspiel gegen den AC Florenz - genau hin, ob seine Mannschaft die Vorgaben richtig umsetzt.
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Als Kind fand Dr. Karsten Jahn (39) laut eigener Aussage den Fußball „doof“. Durch Artikel unter 11Freunde.de vom bekannten Fußball-Blog „spielverlagerung.de", änderte sich seine Sichtweise. Mittlerweile hat der „Agile Coach“, der in Gelsenkirchen Medieninformatik studiert, in Aalborg (Dänemark) in Informatik promoviert hat und aus beruflichen sowie privaten Gründen mittlerweile in Amsterdam lebt, „die halbe Literaturliste vom DFB zum Thema Taktik“ gelesen - und ist „großer S04-Fan“.

Ob André Breitenreiter oder Markus Weinzierl: Aus unterschiedlichen Gründen kamen Interviews mit den ehemaligen Schalke-Trainern nicht zu Stande. Das änderte sich in der vergangenen Saison. Auslöser dafür war eines mit dem Ex-Schalker Roman Neustädter, „ein sauintelligenter Typ“, wie Karsten Jahn den 30-Jährigen bezeichnet. Im Interview mit dem Stadtspiegel Gelsenkirchen spricht Jahn - der während der Saison tausende Leser zu seinem Blog „Halbfeldflanke“ lockt, weil er die Spiele der Königsblauen taktisch analysiert - über seine Anfänge, die Begegnung und Unterhaltung mit Domenico Tedesco und warum die Knappen-Fans sich auf die Zukunft mit dem jungen Schalke-Trainer freuen können.

Stadtspiegel: Herr Jahn, wann hat sich Ihre Begeisterung von Fußball in taktische Analysen von Schalke-Spielen wiedergefunden?
Karsten Jahn: „Das fing in der Saison 2011/2012 an, in der zweiten Amtszeit von Huub Stevens. Damals spielte der S04 taktisch uninteressant und das wurmte mich. Es war solide und nicht schlecht, aber nicht spannend. Nach meinem Abschluss 2012 in Dänemark habe ich erste kurze Texte in Foren veröffentlicht. In der Saison 2013/2014 habe ich mir die Spiele doppelt angeguckt und wollte einen eigenen Blog haben.“

Das hat geklappt. Die „Halbfeldflanke“ erfreut sich immer mehr Beliebtheit. Waren Ihre Höhepunkte die Interviews mit Roman Neustädter und Domenico Tedesco?
„Definitiv. Auf unterschiedlichste Weise. Mit Roman Neustädter waren 20 Minuten Gespräch geplant. Am Ende wurden es 120 Minuten. Ich habe noch nie so gut über Fußball gesprochen. Roman ist ein sauintellligenter Typ, mega angenehm und spannend. Wir haben erst über Lucien Favre gesprochen, seinen Trainer in Mönchengladbach, dann über verschiedene Positionen diskutiert und was das Verschieben an einer Stelle für eine Folge für andere hat. Es war von ihm aber kein Vortrag, sondern eine lebhafte Diskussion zwischen uns.“

Wissen Sie noch, wann das war?
„8. März 2016!“

Das kam wie aus der Pistole geschossen!
„Selbstverständlich. Das werde ich nicht so schnell vergessen. Vor allem auch deswegen, weil er unfassbar schnell auf meine Anfrage geantwortet hatte. Das war binnen Stunden, nachdem ich ihn über seine Homepage angeschrieben hatte. Dazu kam noch, dass „11Freunde“ über unser Gespräch dann geschrieben hat, nachdem ich es veröffentlicht hatte. Das war mein Durchbruch.“

So kam dann auch das Interview mit Domenico Tedesco in der vergangenen Saison zu Stande.
„Richtig. Mit ihm hatte ich 30 Minuten Zeit. Ich habe einen super Einblick in den Fußball bekommen. Domenico Tedesco coacht Fußballer. Da ich auch ein „Coach“ bin, gibt es einige Parallelen in Sachen Führungskraft, Vorbildfunktion, Umgang und neue Inhalte vermitteln. Ob ich nun als Softwareentwickler/Ingenieur oder er als Fußballtrainer etwas weitergeben will, ist fast das Gleiche.“

Glauben Sie, dass Domenico Tedesco aufgrund seiner Ausbildung auch deswegen so einen guten Draht zu den Spielern hat?
„Ja. Er war Ingenieur bei Mercedes und verhält sich, vermute ich, deswegen auch sehr akademisch. Domenico Tedesco ist Grundlagenversessen und sehr gut in abstraktem Denken. In unserem Gespräch hat er von Positionen im Fußball gesprochen, die ich überhaupt noch gar nicht kannte. Das war ein extrem hohes Niveau.“

Viele Experten haben ihn auch deswegen kritisch beäugt, weil er nur ein paar Spiele als Profi-Trainer absolvierte und als Spieler gar nicht über eine solche oder ähnliche Erfahrung verfügte. Können Sie das nachvollziehen?
„Nein. Er war zuvor nicht U12-Trainer von der DJK Herten, sondern bei U19-Junioren in Leistungszentren aktiv. Ich behaupte: Fußballerisch ist es von dort zu den Profis kaum ein Unterschied. Für Domenico Tedesco hat nur jetzt 97 Prozent mehr Medienarbeit.“

Die erste Saison auf Schalke war erfolgreich. Die Spiele aber selten attraktiv.
„Dem würde ich sofort zustimmen. Sie waren oft langweilig und nicht offensiv ausgerichtet.“

Sie haben auf Ihrem Blog „Halbfeldflanke“ schon damals die Saison in Phasen unterteilt. Welche waren das?
„Die Hinrunde war holprig. Grundsätzlich hat Schalke hoch verteidigt und hat anfangs mit wenig Ballbesitz einen hohen Ertrag eingefahren. Nach ungefähr der Hälfte der Hinrunde probierte er mehr Ballbesitz aus. Dafür war Max Meyer auf seiner neuen Position vor der Abwehr der genau richtige Spieler. Das sah fußballerisch schon besser aus und ging auch eine Zeit lang gut.“

Wie lange?
„Bis die Gegner gemerkt haben, dass der S04 wie eine Schildkröte auf dem Rücken wirkt, wenn Meyer isoliert wird. Die Spiele im Dezember beispielsweise waren gruselig.“

Also wieder Rolle rückwärts und weniger Ballbesitz?
„Genau das habe ich in einer meiner Analysen auch geschrieben. Diese Frage haben Sie netterweise bei einer Pressekonferenz auch gestellt, wobei Domenico Tedesco meinte, dass dem gar nicht so wäre. Ich vermute etwas anderes hinter seiner Reaktion.“

Die da wäre?
„Ballbesitz interessiert ihn überhaupt nicht so sehr.“

Was dann?
„Viele Mannschaften versuchen gegen den S04 zu kontern und spielen defensiv. Also muss das Tedesco-Team den Gegner versuchen auseinanderzuziehen. Das geht nur über Geduld und das sieht dann nun einmal unattraktiv aus.“

Heißt das, dass die Fans sich in der neuen Saison auf einen ähnlichen Spielstil einstellen können?
„Leider ja. Manche Testspiele verliefen genau so. Allerdings erkennt man deutliche Unterschiede.“

Welche denn?
„Schalke spielt schneller, presst noch mehr und hat den Ball nicht mehr so lange am Fuß. Es wird mehr Druck ausgeübt und mehr Intensität an den Tag gelegt. Das Problem, das Schalke aber schon seit Jahren hat, bleibt aber: gefährliche Torraumszenen.“

Bedeutet das, dass die falschen Spieler verpflichtet wurden?
„Ich behaupte, dass sehr lange eine passende Strategie nicht gut genug implementiert wurde. Dazu kommt mittlerweile auch einfach, dass die Bundesliga sehr gut verteidigen kann.“

Worauf stellen Sie sich für die neue Saison ein?
„Mark Uth bringt Qualität mit. Er verwertet nicht nur gut, sondern verteilt die Bälle auch sehr clever. Ansonsten ist es schwer, schon jetzt ein Urteil zu fällen.“

Können Sie sich Daniel Caligiuri als klassischen Rechtsverteidiger in einer Vierer-Abwehrkette vorstellen, wie es im Testspiel gegen Florenz in der zweiten Halbzeit war?
„Wenn er es wie Benedikt Höwedes bei der Weltmeisterschaft 2014 interpretiert, dann nicht. Er ist ein anderer Spielertyp. Wenn Daniel Caligiuri aber wie Joshua Kimmich spielt, dann ja. Ich freue mich generell auf mehr Flexibilität. Das haben die vergangenen Spiele schon gezeigt. Domenico Tedesco hat mal mit einem Sechser, mal mit zwei Sechsern, mal mit einem Achter, mal mit zwei Achtern, mal mit einem, zwei oder drei Stürmern spielen lassen. Noch läuft nicht alles rund. Aber meiner Meinung nach können sich die Schalke-Fans auf die Zukunft freuen, weil ich glaube, dass Domenico Tedesco noch ein paar Asse im Ärmel hat.“

>Zum Twitter-Profil von Karsten Jahn

>Zum Twitter-Profil von "Halbfeldflanke"

Autor:

Raphael Wiesweg aus Gelsenkirchen

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