Diamorphinambulanz
Alle sagten immer das geht nicht

Alle sagten immer das geht nicht, dann kam jemand, der das nicht wusste, und hat es einfach gemacht!

Ich würde jetzt nicht unbedingt behaupten, dass die Betreiber der Diamorphinambulanzen unwissend waren/sind. Eher genau das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Vielmehr möchte ich den Focus auf den letzteren Teil der Aussage richten.
Aus Erfahrung heraus weiß ich, dass Politik, Behörden, Verbände, Verwaltungen usw. in ihren Entscheidungsprozessen und der Umsetzung von Beschlüssen eher etwas träge sind.
Auf einmal erscheint jetzt jemand auf der Bildfläche, wie aus dem Nichts (Phoenix aus der Asche), orientiert sich an den gesetzlichen Vorgaben und macht einfach. Ganz klar, dass die ganzen altbewährten Helfer des Systems zusammenzucken und Sorge haben. Es geht aber nicht darum, die Arbeit der letzten Jahre in der Suchthilfe in Frage zu stellen, sondern es geht um Veränderung (welche gleichzeitig immer auch Chancen mit sich bringt) die möglichst zeitnah umgesetzt wird, damit die Hilfe dort noch rechtzeitig ankommt, wo sie benötigt wird. Bei der Behandlung mit Diamorphin hat der Gesetzgeber, sehr zu meinem Leidwesen, höhe Hürden festgelegt. Wenn bei dieser Klientel die Hilfe erst in ein paar Jahren ankommt, sind diese wahrscheinlich bereits schon
TOT
Ich bin Jahrgang 1965, habe eine äußerst steile und allumfassende Suchtkarriere hinter mir. Im Volksmund sagt man eher negativ behaftet: Ex-Junkie, Ex-User, trockener Alkoholiker. Im zarten Alter von 47 Jahren ist es mir gelungen meinen Konsum und meine chronische Erkrankung zu stoppen. Geheilt bin und werde ich nicht!
Es hat mich viel Zeit und Kraft gekostet, dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Kaum zählbare Versuche der Selbsttherapie waren zwar nicht sinnlos, jedoch haben sie keinen nachhaltigen Effekt gehabt. Sehr viele Male habe ich mich in schwierigen Lebenssituationen an die vorhandenen Suchthilfesysteme gewandt. Leider war für mich nicht das passende dabei. Die Hürden zu hoch, die Wartezeiten zu lang, fehlende Individualität, teils verbitterte und ausgelaugte Suchthelfer, aber vielleicht auch mein Anspruch auf Wertschätzung. Wahrscheinlich haben noch viele weitere Aspekte dazu geführt, dass ich bei jedem „Knaller“ (mehrfach täglich) mit verdrecktem Straßenheroin, mein Leben über fast 3 Jahrzehnte riskiert habe.
Obwohl ich anfangs der Behandlung mit Diamorphin etwas skeptisch gegenüber gestanden habe und in meiner Brust zwei Herzen (Abstinenz/Dauerbehandlung) schlagen, bin ich mittlerweile fest davon überzeugt, dass es eine Vielzahl von Menschen gibt, die aufgrund unterschiedlichster Erfahrungen/Schicksale durch die Behandlung mit dem Originalstoff, eine echte Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben.
Die klassischen Substitutionsmittel können den körperlichen Entzug auffangen. Das Bedürfnis nach Geborgenheit, Urvertrauen, Selbstvertrauen, Nähe und die vielen weiteren Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, bleiben hiervon jedoch unberührt. Ich kenne kaum jemand aus der Szene der über einen längeren Zeitraum beikonsumfrei lebt. (Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel)
Die täglich mehrfache Verfügbarkeit des Arzneimittels Diamorphin, in einer professionell geleiteten Ambulanz, trägt dazu bei, nicht kontinuierlich dem Beschaffungsdruck ausgesetzt zu sein. Es bleibt Zeit und Raum für eine Neuorganisation des eigenen „Ich“. Das Angebot unmittelbarer Kontaktaufnahme zu weiteren Mitarbeitern aus unterschiedlichsten Berufsfeldern (auch Menschen genannt) des Systems, nimmt die Hürden der alteingessenen Suchthilfesysteme. Wartezeiten von mehreren Wochen für einen Erstkontakt sind aus meiner Erfahrung heraus die Regel.
Tagesstruktur, soziale Kontakte, sinnvolle Freizeitaktivitäten und viele weitere gesundheitsfördernde Planungen können bestenfalls umgesetzt werden, wenn der Stoff für Körper, Geist und Seele verlässlich zur Verfügung steht.
Ich stelle mir die Frage warum hier unterschieden werden muss, woher jemand kommt. Egal ob aus der Stadt, vom Land oder sogar aus einem fremden, unbekannten Land. Letztendlich sind alle Junkies
MENSCHEN
Wann gelingt es unserer solidarischen Gemeinschaft den suchterkrankten Menschen am sozialen Leben teilhaben zu lassen?
Wo bleibt der Inklusionsgedanke? Aus meiner Sicht ist es schon längst an der Zeit, alle Menschen gleichwertig zu behandeln. Mir sollten uns von dem Irrglauben verabschieden, dass Probleme gelöst sind/werden, wenn sie nicht mehr sichtbar sind. Ein oft unterschätzter pathologischer Anteil der Suchterkrankung liegt in der Ausgrenzung und dadurch fehlenden, positiven Selbstwirksamkeitserfahrung dieser Menschen. Als Betroffener ist es kaum möglich der Stigmatisierung zu entkommen.
Die bereits bestehenden Ambulanzen, sowie weitere geplante Projekte, zeichnen sich alle durch ein vollumfängliches Angebot an 365 Tagen im Jahr aus. Der Substituierte erhält nicht nur im Vorbeigehen sein Medikament, sondern es werden Angebote wie z.B. Aufenthalt, Ruhemöglichkeit, Tagesstruktur, Gemeinschaft, Arbeitsangebote, Freizeitgestaltung, Raum für Entlastungs- und Reflexionsgespräche, Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten, Hilfe bei der Abwendung von Obdachlosigkeit, Versorgung mit warmen Getränken und Speisen und vielem mehr, bereitgestellt.
Ein sicherer Ort
Max Mustermann und ein Großteil unserer Gesellschaft kann sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie sich ein Leben am Rande der Gesellschaft anfühlt. Tägliche Anfeindungen und der stete Kampf ums Überleben sind für die menschliche Psyche wenig förderlich.
Lasst uns endlich diese meist hochsensiblen, traumatisierten, misshandelten, feinfühligen, oft intelligenten Menschen in die Mitte holen. Es geht aus meiner Sicht darum verborgene Ressourcen zu erkennen und zu fördern. Die gelingt meist besser in der Gemeinschaft, selten in der Gosse.
Ich finde es wichtig die Kapazitäten unserer Hilfesysteme zu nutzen und gegebenenfalls zu erweitern, um dieser Klientel die Chance auf ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Positive Selbsterfahrung in Form von Arbeitsgelegenheiten, sinnvoller Freizeitbeschäftigung und vor allem soziale Kontakte tragen dazu bei, langfristig neue Lebensperspektiven entwickeln zu können, um Eigenverantwortlichkeit zu erlernen.

Autor:

Maik Schmidt aus Iserlohn

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