Holocaust-Überlebender Rolf Abrahamson berichtet Jugendlichen im Marl

Sprachen gemeinsam über die Zeit des Holocausts: (v.l.n.r.) Die städtische Integrationsbeauftragte Jennifer Radscheid, Nils Springstubbe, Alexandra Chmiel, Jonas Küting, Rolf Abrahamson,  Jan-Stefan Heinemann und Ramon Lelek. | Foto: Marl
  • Sprachen gemeinsam über die Zeit des Holocausts: (v.l.n.r.) Die städtische Integrationsbeauftragte Jennifer Radscheid, Nils Springstubbe, Alexandra Chmiel, Jonas Küting, Rolf Abrahamson, Jan-Stefan Heinemann und Ramon Lelek.
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Solange er kann, wird er berichten. Berichten von einer Zeit der Verfolgung, Vernichtung und Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Von einer Zeit, die ihn bis heute nicht ruhig schlafen lässt. „Wenn ich nur einen Menschen davon überzeuge, dass Juden keine schlechteren Menschen sind, dann hat es sich schon gelohnt“, sagt Rolf Abrahamson

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"Ich habe oft Albträume"

Er ist gebürtiger Marler und der letzte Überlebende des Rigaer Ghettos in Nordrhein-Westfalen. „Ich kann nicht verdrängen, erinnere mich an jedes Detail. Deshalb habe ich oft Albträume“, gibt der 90-Jährige zu, der von 1978 bis 1992 Vorsitzender der heutigen jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen war. Die Bilder verfolgen ihn bis heute, auch 70 Jahre nach seiner Befreiung durch die Rote Armee im KZ Theresienstadt im heutigen Tschechien.

Auf Spurensuche der Familie Abrahamson

Obwohl er gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, beantwortet er im Rathaus die Fragen von Nils Springstubbe, Alexandra Chmiel, Jonas Küting, Jan-Stefan Heinemann und Ramon Lelek. Die fünf Jugendlichen sind Schülerinnen und Schüler der Willy-Brandt-Gesamtschule sowie des Hans-Böckler-Berufskollegs und haben sich im vergangenen Oktober auf Spurensuche der Familie Abrahamson in die lettischen Hauptstadt Riga begeben. Ihre Besuche des ehemaligen Ghettos, einer Gedenkstätte im Bikernieki-Wald und am Bahnhof Skirotava haben die Jugendlichen mit zahlreichen Fotos und Videos dokumentiert. Daraus sind ein kurzer Dokumentarfilm und eine Postkartenreihe entstanden, die sie beim Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar vorgestellt haben.

"Wir dürfen niemals vergessen. Deshalb müssen wir zuhören."

Rolf Abrahamson war damals so begeistert von dem Engagement der jungen Leute, dass er sie spontan zu einem Gespräch eingeladen hat. Denn „wir dürfen niemals vergessen. Diese Zeit darf sich nicht wiederholen. Und darum müssen wir zuhören“.

Im Januar 1942 nach Riga transportiert

Rolf Abrahamson berichtete jetzt von dem Leid, das ihm im Rigaer Ghetto sowie im KZ Riga-Kaiserwald – und vier weiteren KZs – widerfahren ist. Im Januar 1942 wurde er gemeinsam mit seiner Mutter sowie 213 weiteren Recklinghäuser Juden nach Riga transportiert. „Bis heute bin ich nicht dorthin zurückgekehrt, habe auch die Gedenkstätte nicht besichtigt“, berichtet Abrahamson mit einer gewissen Verbitterung in der Stimme. Als Nils Springstubbe von ihm wissen möchte: „Was würden Sie heute einen SS-Mann fragen?“, antwortet er: „Ich würde ihn fragen, wie er überhaupt leben kann – mit so viel Schuld auf den Schultern.“

"Denn ich habe überlebt."

Die Schüler sind dankbar für das offene Gespräch. „Es war sehr bewegend“, sagt Alexandra Chmiel. Bald können sie und ihre Altersgenossen keine Zeitzeugen mehr befragen. Und das ist auch der Grund, warum sich Rolf Abrahamson – obwohl die Knochen schmerzen – auf den Weg ins Marler Rathaus gemacht hat. „Denn ich habe überlebt“, sagt er – als sei es seine Verpflichtung, von seinem Leben zu erzählen. Auf seine „Gage“ besteht er dennoch: „Zwei Flaschen Selter-Wasser, bitte!“, bestellt er verschmitzt lächelnd.

Pogromnacht in Marl

Rolf Abrahamsohn der letzte Überlebende des Holocaust in Marl erinnert sich an die Gewalterfahrungen in der NS-Zeit, von der Ermordung seiner Familie.
„1938 erlebte ich mit meiner Familie die Pogromnacht in meiner Heimatstadt Marl. Unser Haus an der Loestrasse, in dem sich auch unser Geschäft befand, wurde von den Nazis in Brand gesetzt. Mein Vater wurde brutal von SA-Leuten zusammengeschlagen und im brennenden Geschäft zurückgelassen. In letzter Minute konnten wir ihn retten. Mein Vater konnte mit meinem Bruder Hans
kurze Zeit später nach Belgien fliehen, meine Mutter, mein kleiner Bruder Nobert und ich sollten nachkommen. Noch bevor wir das Geld für den Fluchthelfer zusammen hatten, wurden die Grenzen dicht gemacht und so mussten wir zurückbleiben.
Zwei Wochen nach der Pogromnacht mussten wir Marl verlassen, die Stadt wollte ja „judenrein“ werden. Unser Haus nahm uns die Stadtverwaltung Marl weg, dort zog die NSDAP ein.

Die Nacht des 9. Novembers 1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichtsbücher ein.

Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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