Menschenrechte
Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalbeschneidung

Foto: Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen in Marl
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Weltweit leben schätzungsweise 200 Millionen Mädchen und Frauen, die beschnitten wurden. Die weibliche Beschneidung wird nicht nur in Afrika, sondern auch in Südostasien, wird im Nahen und dem Mittleren Osten praktiziert, ist aber auch in Europa und vielen weiteren Ländern auf der ganzen Welt verbreitet. Die Fälle von Genitalbeschneidung bei Frauen und Mädchen sind in Deutschland in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Aktuell leben etwa 75.000 beschnittene Frauen und Mädchen in Deutschland. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Marl macht anlässlich des Internationalen Tages gegen weibliche Genitalbeschneidung am 6. Februar auf das wichtige Thema aufmerksam und hat vier Frauen dazu befragt.

Was ist weibliche Beschneidung?
Die Beschneidung von Mädchen und Frauen ist eine Prozedur, bei der die weiblichen, äußeren Genitalien teilweise oder komplett entfernt werden – und zwar ohne medizinischen Grund. Die weibliche Beschneidung setzt Mädchen und Frauen extremen körperlichen und psychischen Schmerzen aus.

Der Eingriff wird in der Regel an jungen Mädchen durchgeführt. In einigen Ländern werden Mädchen direkt nach der Geburt beschnitten, in anderen erst in der Pubertät.

„Ist das ein Thema in deutschen Gynäkologie Praxen?“, fragten wir Fisun Tulumcu, Gynäkologin.

Die Ostwestfälin mit türkischen Wurzeln ist seit 2008 als Gynäkologin tätig, davon 7 Jahre in der Klinik und seit 6 Jahren als niedergelassene Fachärztin in der Dortmunder Nordstadt. Die Nordstadt bietet eine Mannigfaltigkeit an Kulturen und ist ebenso ein sozialer Brennpunkt was sich auch in der ärztlichen Tätigkeit niederschlägt.

„In meiner 7-jährigen ärztlichen Tätigkeit in der Klinik wurde ich mit dem sensiblen, wie erschütternden Thema der weiblichen Beschneidung weitestgehend verschont. Zu dieser Zeit war mir das Thema nur aus der Fachliteratur bekannt, bis mich die Realität mit seiner vollen Breitseite traf – wie so oft ohne Vorwarnung!

Die betroffenen Frauen haben massive Probleme wie zuerst Schmerzen im Genitalbereich – je nach Ausführung der Beschneidung sei es ein Entfernen der Klitoris, dem Zusammennähen der Schamlippen und anderen Varianten. Die Frauen haben immense Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Kinder kriegen auf natürliche Weise ist undenkbar.

Aber nicht nur das, einfaches Wasser lassen wird zu einem Kraftakt, bis die Frauen Erleichterung finden und nicht zuletzt eine Operation sie von diesen Qualen erlösen kann. Der Weg dahin ist jedoch oft nicht leicht.

Dieses sensible Thema ist immer noch brandaktuell im 21. Jahrtausend und es ist erschütternd, wie die Menschheit dies bezüglich noch in den Kinderschuhen steckt.

Ich wünsche mir, dass die Mädchen ihr Leben schmerzfrei und kindgerecht beginnen und auch später ein Erwachsenwerden ohne Hürden möglich sein wird.“

Die Prozedur ist eine Körperverletzung: Die Mädchen erleiden während und nach der Beschneidung Schmerzen, Erniedrigung und teilweise lebenslange Komplikationen. Die Genitalbeschneidung von Mädchen ist gem. § 226a StGB eine strafbare Handlung. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft, auch wenn die Beschneidung im Ausland durchgeführt wird.

„Wie lebst du mit dieser Erfahrung?“, fragten wir Juliet.

Juliets Flucht aus Nigeria endete 2014 in Deutschland. Sie hat zwei Töchter und zwei Söhne. Mary ist fünf Jahre alt. Victoria ist vier Jahre alt. Seitdem Mary auf der Welt ist, sagt Juliets Mutter ihr, dass sie Mary beschneiden lassen muss, so ist es Tradition in ihrer Familie.

Sie selbst ist auch beschnitten und musste ihre Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt bringen. Juliets Schwester ist gestorben, als sie ihr Kind in Afrika zur Welt bringen wollte.

Die Schwester ihres Mannes Javis ist durch die Folgen der Beschneidung wenige Monate nach der Geburt gestorben. Juliet sagt: „Ich vermisse meine Heimat. Aber niemals würde ich zurück gehen, weil Mary dort nicht sicher wäre. Ich wünsche mir für meine Töchter, dass wir hier in Deutschland bleiben können. Hier sind sie in Sicherheit.“

Die Familie hat eine Duldung, die immer nur monatlich verlängert wird.

Schätzungsweise sind mehr als 20.000 Mädchen unter 18 Jahre in Deutschland davon bedroht, an ihren Genitalien beschnitten zu werden.

„Was wünschen Sie sich für die betroffenen Mädchen und Frauen für die Zukunft?“, fragten wir Jawahir Cumar, Geschäftsführerin von dem Verein stop mutilation e.V.

„Unsere Vision ist eine Welt, in der alle Frauen und Mädchen körperlich unversehrt, frei und selbst bestimmt leben können. Wir wünschen uns, dass betroffene Frauen besser unterstützt und mit Respekt behandelt und Mädchen vor der Genitalbeschneidung geschützt werden.

Dafür ist es erforderlich, dass Fachkräfte aufgeklärt werden und die Politik die Voraussetzungen schafft.

Konkret fordern wir, das Thema weibliche Genitalbeschneidung in das Medizinstudium aufzunehmen und (verpflichtende) Fortbildungen für Ärzt:innen und Hebammen, Lehrer:innen und Erzieher:innen anzubieten.

Bei den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche sollte die Betrachtung des Genitales Pflicht und in das Kinderuntersuchungsheft sollte eingetragen werden, wenn die Mutter von Genitalbeschneidung betroffen ist.“

Jawahir Cumar setzt sich seit 1996 mit der Organisation „stop mutilation e.V.“ für die Arbeit gegen weibliche Beschneidung in Deutschland und Somalia ein. In der somalischen Region Puntland führt der Verein gemeinsam mit einer Frauenorganisation vor Ort mehrere Projekte durch: Bau einer Frauenklinik, Aufklärungskampagnen, Umschulungen von Beschneiderinnen. Neben den Projekten im Ausland führen sie die einzige Beratungsstelle in NRW. Mit Vorträgen, Schulungen und Fachtagungen sensibilisiert stop mutilation e.V. Fachkräfte aus dem medizinischen, pädagogischen, sozialen und juristischen Bereich sowie von Behörden für das Thema weibliche Genitalbeschneidung und den Umgang mit Betroffenen. Sie arbeiten mit Anwälten und begleiten ihre Klientinnen bei der rechtlichen Beratung.

Die Angebote der Fachberatungsstelle von stop mutilation e.V. sind: Einzelberatung, gynäkologische Sprechstunde, Gesprächsgruppen, Maltherapie, Männerberatung, Beratung für Fachkräfte. Mit Vorträgen, Schulungen und Fachtagungen sensibilisiert stop mutilation e.V. Fachkräfte aus dem medizinischen, pädagogischen, sozialen und juristischen Bereich sowie von Behörden für das Thema weibliche Genitalbeschneidung und den Umgang mit Betroffenen. Der Verein geht in Schulen, um Jugendliche über das Thema aufzuklären. Für die Kinder betroffener Klientinnen organisiert stop mutilation e.V. Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung. Es handelt sich um Flüchtlingskinder, die während des Lockdowns im Frühjahr keine Möglichkeiten hatten, am Online-Unterricht teilzunehmen, und jetzt Schwierigkeiten in der Schule haben.

Wie wir finden eine unverzichtbare Aufgabe, welche noch nicht genügend Anerkennung findet. Wir möchten diese Arbeit unterstützen. Frau Cumar verriet uns schon, dass das Geld dringend für den Bau der Frauenklinik benötigt wird.
Wenn Sie das Vorhaben ebenfalls unterstützen möchten können Sie das hier tun:

Spendenkonto stop mutilation e.V.

Stadtsparkasse Düsseldorf
BIC: DUSSDEDDXXX
IBAN: DE58 3005 0110 1007 8132 62

„Aber wie kann die Politik dabei jetzt unterstützen?“, fragten wir Petra Kläsener, Vorsitzende des Vereins „Frauen helfen Frauen e.V.“

„Frauen helfen Frauen e.V. ist ein autonomer, gemeinnütziger Verein. Sein Zweck ist die Planung, Förderung und Durchführung von Maßnahmen zur Hilfe und zum Schutz von Frauen“, berichtet Petra Kläsener. „Dieser wird insbesondere verwirklicht durch die Einrichtung der Beratungsstelle. Frauen, die Opfer von Genitalbeschneidung geworden sind, haben sich in den letzten Jahren nicht an die Beratungsstelle gewandt.

Als Ursache sehen wir insbesondere die mangelnde Aufklärung der Betroffenen darüber, sich an die entsprechenden Ärzt:innen und Fachstellen wenden zu können.

Nur wenige Gynäkolog:innen sind mit diesem Thema vertraut, können eine fachgerechte Beratung und Behandlung durchführen und hinsichtlich der psychischen Folgen an die Fachstellen verweisen. Die betroffenen Frauen leiden unter Traumata und haben das Urvertrauen in Bezugspersonen verloren mit der Folge von Angstzuständen, Depressionen, Suizidgedanken u.v.m.

Umfangreiche Aufklärung, flächendeckend und langfristig finanzierte, ausreichend spezialisierte Projekte sind unerlässlich.“

Die politischen Forderungen der AsF Marl sind:
1. Medizinisches Personal (Ärzte, Hebammen) muss verpflichtet werden, zu diesem Thema eine Fortbildung zu machen. Bei den Hebammen hat die Bundesregierung dies zum 01.01.2021 in den Prüfungsordnungen bereits realisiert. Das ist ein erster wichtiger Schritt.

2. In der Bundespolitik muss die Frauengesundheit stärker platziert und berücksichtigt werden.

3. Das Thema darf bei den Gynäkolog:innen nicht ignoriert oder sogar verschwiegen werden, sondern es muss zur Beratung für die Frauen an den Beratungsstellen führen.

4. Das Thema sollte in der Integrations-/Migrationspolitik und den Migrations- und Fluchtberatungsangeboten aufgegriffen und mit verankert werden.

Wir appellieren anlässlich des 6. Februars an alle, die mit dem Thema konfrontiert werden, sich mit dem Thema Genitalbeschneidung auseinanderzusetzen und sich fachkundig zu machen, damit den betroffenen Frauen und Mädchen adäquat geholfen werden kann.

Autor:

Maresa Kallmeier aus Marl

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