Platttherapie
Platt ist immer ein paar Grad wärmer

Foto: Walter Schernstein
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Pascal Mercier bringt es in seinem Buch „Das Gewicht der Worte“ auf den Punkt: „Andere Sprache, andere Gestimmtheit“. Damit ist, musikalisch gesprochen, nicht nur Tonart oder -geschlecht gemeint, sondern vor allem die Klangfarbe und der Rhythmus. Mercier spricht von den Problemen eines Romanübersetzers, da geht es um Englisch, Deutsch, Italienisch, Russisch usw. Aber mir fiel dabei ein, dass das, was sein Protagonist mit den verschiedenen Sprachen beim Übersetzen erlebt, ja auch auf Platt zutrifft.
Der Stimmungswechsel von Hochdeutsch zu Platt ist für den Sprecher und Zuhörer beim Lesen oder Hören sofort spürbar. Es ist, als wenn man von den Schuhen in die Pantoffel wechselt. Vom Jackett in die Strickjacke. Ja, Platt ist immer ein paar Grad wärmer! Das ist es, was heute auf die Menschen so belebend und beruhigend zugleich wirkt. Dazu muss man das Platt nicht unbedingt selbst sprechen. Man erlebt es doch in Filmen, wie dort ein Schauspieler, der Mundart spricht, sofort die Sympathien des Zuschauers auf sich zieht. Sogar, wenn sie nicht alles verstehen! Ja. wenn man es nicht selbst sprechen und auch nicht alles verstehen muss, bitte, wozu dient dann so eine Sprache? Der Inhalt scheint da wohl eher zweitrangig. Es ist wie ein Ankommen zu Hause, im eigenen oder auch in einem anderen. Nein, keine Heimatduselei, keine Verweigerung moderner Lebensweise, einfach nur eine wohltuende Therapie. Sollten wir also Platt-Therapeuten ausbilden?
Leider lassen wir diese Möglichkeit weitgehend ungenutzt, außer in den Gegenden, wo noch Platt im Alltag gesprochen wird. Und da braucht man die Platttherapie nicht. Zugegeben gestaltet sich eine Plattunterhaltung im Firmenalltag oder gar in Talkshowrunden schwierig.
Ich stelle mir Anne Will oder Maybritt Illner und Frank Plasberg als Plattrunde vor. Unmöglich. Das muss auch nicht, weil sie über Dinge reden, die mit Begrifflichkeiten arbeiten, die nur Hochdeutsch zu definieren sind. Deshalb wäre hierbei eine komplette Abschaltung die beste Therapie.
Andererseits kann man wie bei den Nachrichten dabei am besten studieren, wie Hochdeutsch die Menschen zu Sprechpuppen macht.
Es ist ähnlich den künstlich erzeugten Tönen. Wir haben uns zwar daran gewöhnt, aber diese Töne erreichen nicht unsere Seele. Hochdeutsch ist und bleibt eine Buchstabensprache.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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