Alpha la Valle - Songtext
Zwischen Cynar und Pastis

Bei der Schweizer Indie-Gruppe  Alpha la Valle heißt es in einem ihrer wunderbaren Texte:

U a de Trese vo der Bar
Gsehni zwüsche ere Fläsche
Cynar u amne Pastis mis Gsicht
U frage mi passt iz das
Ig hie so allei
Schrisse villech sogar
Chli e Stei
I gloube scho wüu

Um das lyrische Ich eines Gedichts zu verstehen, ist es sehr zielführend, wenn man erst einmal versucht, sich in eine adäquate Stimmung zu versetzen. Um dies für mich so angenehm wie möglich zu gestalten, habe ich mir unter den acht Songs der Schweizer Indie-Gruppe Alpha la Valle denjenigen ausgesucht, der als einziger alkoholische Getränke enthält. Und zwar gleich zwei, wovon eines ausschied. An Pastis habe ich ziemlich unangenehme Erinnerungen unter der Überschrift: Sehstörungen in der Normandie. Cynar dagegen, der dem besinnlichen Lied den Titel verleiht, war mir von Aussprache, Inhalt und Wirkung her völlig unbekannt. Aber dazu hat Alpha la Valle ja zufällig eine Sängerin, die man abhören und imitieren konnte. Und zur inhaltlichen Bestimmung des Abgefüllten befragt man am besten Wikipedia: „Schünaa“ ist der einzige Likör aus Artischocken, verrät das geschätzte Nachgucksel. Nun mach ich mir nichts aus Likör und nichts aus Artischocken, bestellte mir aber guten Mutes eine Flasche, um den dritten Punkt abzuarbeiten und mich, mit viel „Gfröits“ in die Stimmung des lyrischen Ichs zu versetzen.
Im Stillen hoffte ich natürlich, dass es mir zwischen Cynar und Pastis nicht so wie Odysseus zwischen Skylla und Charybdis ergehen würde.
Natürlich hätte ich nach Bern oder nach Thun oder sogar bis Goldiwil fahren und mich in eine Bar setzen müssen, wo sich mit etwas Glück zwischen einer Cynar- und einer  Pastisflasche mein angesäuertes Gesicht gespiegelt und ich sehr intensiv meine Einsamkeit gespürt und mich unverzüglich gefragt hätte „Passt iz das?“ Ein feines Schweizer Wortspiel mit „Pastis“.
Mein ausgeprägter Hang zur Bequemlichkeit ließ mich indes die rot - grüne Cynar-Flasche nach ihrer Ankunft lieber an der heimischen Heizung untersuchen. Und siehe da: Das erste Gläschen war gar nicht mal so schlimm und die folgenden immer besser. Ein wohliges Gefühl erfasste Körper und Gemüt und ich konnte zunehmend weniger verstehen, warum das lyrische Ich sich am Ende des Textes noch Gedanken um das Wo-komme-ich-her und das Wo-gehe-ich-hin macht.
Erst als sich die Flasche dem Ende zuneigte, kippte die Stimmung doch in Richtung lyrisches Ich und ich spürte deutlich, wie mich irgendwas verlassen hatte und der Mensch im Grunde genommen trotz Cynar oder auch gerade wegen Schünaa auf sich allein gestellt ist.
Und damit hatte ich wohl den höchsten Grad geistiger Selbstfindung erreicht. Obwohl: Allein bin ich gar nicht! Die Musik geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf: Irgendeinisch…Schünaa…Schünaa…
Nachwort:
Am nächsten Morgen erzählt mir die Zeitung von einem belgischen Sänger namens Stromae (Inversion von Maestro), der in den französischen TV-Hauptnachrichten ein nie dagewesenes Lied gesungen habe mit dem Titel „L’enfer“- die Hölle: „J'suis pas tout seul à être tout seul“, ich bin nicht ganz allein damit, dass ich allein bin. Aber selbst das würde ihn nicht trösten. Er denke auch an Selbstmord als der einziger Möglichkeut, diesen Gedanken endlich los zu werden.
Der Song hört sich eigentlich gut an, fast wie ein klassisches französisches Chanson, wenn da nicht dieses schmerzhafte und wiederkehrende Ratschen wäre.
Trotzdem: Danke Stromae! - Zusammen mit den Berichten über die Zunahmen der Selbstmordrate bei Jugendlichen habe ich begriffen, dass es sich bei dem „Allein-Gefühl!“ trotz omnipräsenter Handydaddelei um ein ernsthaftes durch die Pandemie verstärktes Einsamkeitssyndrom handelt, das man so nicht erwartet hätte.
Dass wir allein sind, in dem Sinn, dass in unserem Leben kein anderer Mensch jemals in der Nähe war, ist natürlich nicht real, sondern ein Gefühl. Der Mensch ist ein soziales Wesen, sonst würden wir gar nicht erst geboren. Dass wir aber Individuen sind, die letztlich getrennt existieren, ist eine Gegebenheit, die man akzeptieren muss, weil sie für die gesamte Natur gilt. Anscheinend gibt’s da nun auch eine Art existentielles Querdenkertum. Ob da eine bestimmte Ernährung eine Rolle spielt, darauf möchte ich jetzt nicht eingehen.

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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