Demokratie und Brexit
« Der Brexit als Ausdruck ›momenthafter‹ Demokratie »

Vorbemerkung: Mitte 2016 stimmten 52 % der Briten für den EU-Austritt. Zu den Unterhauswahlen Mitte 2017 gaben beide großen Parteien Memoranden heraus, daß sie, so die Briten für sie stimmten, den Brexit vollziehen würden. Die Tories drückten sich deutlicher als die Labour Party aus. Dies ist der Grund, wieso Frau May gewählt wurde und wieso die UKIP keine Rolle mehr spielte. Bei den EU-Parlamentswahlen 2019 wurde die Brexit Party — die keineswegs eine Neuauflage der UKIP ist, sondern in der sich solche Leute versammeln, die nur eine Frage umtreibt: darf eine Elite ungestraft den Bürgerwillen mißachten? — stärkste britische Partei im EU-Parlament. Damit ist klar, daß das Referendum von 2016 zweimal bestätigt worden ist. — Was ist daraus zu schließen?

Der folgende Text stammt von James Hodgson, dessen Forschungsfragen sich u.a. um den „Realismus in der politischen Theorie, den Niedergang von Parteien in der zeitgenössischen Politik und um die Rolle von Vertrauen und Transparenz im öffentlichen Leben“ drehen. Solche Fragen hat er bspw. in seiner Doktorarbeit: „Deliberative democracy and the realist recovery of politics“ untersucht. Hodgson geht also im Kern der Frage nach, welche Möglichkeiten es gibt, daß sich unter realistischen (__das bedeutet aber unter den real existierenden lobbykratischen__) Bedingungen eine über öffentlichen Diskurs geführte demokratische Politik ereignen kann.

HINWEIS: Die Endnoten gehören zum Inhalt des originalen Textes, d.h. in ihnen finden sich immer die Literaturhinweise, die an der Stelle der Endnotensetzung textrelevant sind (__abgesehen von den Endnoten 13, 16, 17 + 18, die Anmerkungen von mir enthalten__). In diesem ins Deutsche übertragenen Essay von James Hodgson finden sich mitunter Anmerkungen von mir, diese sind dann in „[__…__]“ gesetzt. Dem Hodgsonschen Essay schließt sich ein Kommentar von mir an.

« Der Brexit als Ausdruck ›momenthafter‹ Demokratie » [__1__]
von James Hodgson

Die Ideen des politischen Theoretikers Sheldon Wolin eignen sich als nützlicher Leitfaden, um über die „gelenkte Demokratie“ der EU und den Brexit, als Beispiel für eine „momenthafte Demokratie“, eine episodische Rebellion gegen die Kontrolle durch die Elite, nachzudenken. Dies hilft zu verstehen, weshalb der Brexit schwierig durchzusetzen ist, bietet aber auch für die Linke Erkenntnisse über zukünftiges Organisieren.

„Die Demokratie endete
nicht nach dem Referendum!“

Wir hören diese Worte oft von unerschütterlichen Remainern, die die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, rückgängig machen wollen. Es ist ein Refrain, der am häufigsten als Argument für ein zweites Referendum verwendet wird, mit dem unausgesprochenen Glauben, daß es zu einem anderen Ergebnis führen würde. Dieser Satz hat etwas von einer Binsenweisheit. Und in gewisser Weise ist es natürlich wahr: Die Demokratie, als institutionelle Formation mit regelmäßigen Wahlen, endete nicht mit der Brexit-Abstimmung. Aber was, wenn Demokratie anders verstanden wird, radikaler: nicht als ritualisierte Regierungsform der sozioökonomischen Eliten, sondern als episodisches Phänomen, das grundsätzlich störend ist und in dem normale Bürger zu politischen Akteuren werden?

Als namhafter Kritiker der amerikanischen Politik und Wirtschaft, ist Wolins politisches Denken lehrreich, um uns zu helfen, ein Verständnis von unserer gegenwärtigen Situation und den Kräften zu bekommen, die uns hierher gebracht haben. In diesem Artikel argumentiere ich, daß die Abstimmung über den Brexit als ein Beispiel für eine „momenthafte Demokratie“ verstanden werden kann, deren Ziel es ist, die Zulässigkeit eines Status quo in Frage zu stellen, in dem die einfachen Bürger wirtschaftlich marginalisiert und von der politischen Macht ausgeschlossen sind. Wolin konzentrierte sich in erster Linie auf den amerikanischen Fall, aber ich möchte vorschlagen, daß wir seine Argumente auch auf das heutige Großbritannien übertragen.

Gelenkte Demokratie und inverser Totalitarismus

Um das Konzept der momenthaften Demokratie vollständig zu verstehen, müssen wir zunächst auf ihren Gegenpol schauen: das System der gelenkten Demokratie oder das, was Wolin „das ‘lächelnde Gesicht’ des inversen Totalitarismus“ nennt.[2]

Was bedeutet „inverser Totalitarismus“, von dem Wolin glaubt, daß er in den USA vorherrsche? Wolin hat nicht behauptet, daß das moderne Amerika eine Art Kopie von Hitlers Deutschland oder Mussolinis Italien sei. Der springende Punkt des inversen Totalitarismus ist nämlich, daß viele Merkmale des klassischen Totalitarismus in der Tat völlig umgekehrt sind. Während klassische totalitäre Regime die Form eines Staates annehmen, der von Gruppen erobert wird, die ihre Macht nutzen wollen, um die Wirtschaft und das soziale Leben im totalisierenden Sinne zu reglementieren, zeichnet sich der inverse Totalitarismus dadurch aus, daß wirtschaftliche Kräfte einen Staat erobern und ihn für ihre eigenen Zwecke einsetzen. Es ist ein System, das die unheilige Verbindung des modernen Staates mit Technologie, korporativer Macht und Reichtum verkörpert.

Wo klassische totalitäre Regime untrennbar mit der charismatischen Autorität eines Führers verbunden sind, sind die Führungskräfte innerhalb des inversen Totalitarismus’ eher Produkte des Systems als seine Architekten. Das System wird den Tod einer Führungskraft überleben, so wie ein Unternehmen den Tod seines Vorstandsvorsitzenden überleben wird. Und vor allem, wo der klassische Totalitarismus seinen Bruch mit der früheren Regierungsform feiert und die Demokratie ausdrücklich ablehnt, betont der inverse Totalitarismus sowohl seine nahtlose Kontinuität mit den Regierungstraditionen als auch die weltweite Sache der Demokratie. Wo der klassische Totalitarismus sprengt, ist der inverse Totalitarismus heimtückisch.

Die gelenkte Demokratie ist das dem inversen Totalitarismus entsprechende Antlitz. Hier ist die Demokratie ein zu bewältigendes Problem, genauso wie die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen oder die Lieferung von Produkten an die Verbraucher. Eines der Hauptmerkmale des inversen Totalitarismus ist, daß er seine Staatsbürger entpolitisiert und auf diese Weise aktive Bürger in passive Konsumenten verwandelt. Dieses Modell enthält Wahlkampf-Politik: Es ist „kühl, ja sogar feindselig gegenüber einer Sozialdemokratie, die über die Förderung von Alphabetisierung, Berufsausbildung und anderen Grundvoraussetzungen für eine Gesellschaft, die in der Weltwirtschaft zu bestehen kämpft“, hinausgeht.[3] Die Rituale der Demokratie müssen zwar weiterhin beachtet werden, aber sie werden jeder wirklichen Bedeutung beraubt. Im Vorfeld der Wahlen stehen wir vor der „Wahl der Persönlichkeiten und nicht vor der Wahl zwischen Alternativen“.[4] Auf diese Weise nutzt der inverse Totalitarismus die Rituale der Demokratie, um sich selbst zu legitimieren und gleichzeitig die authentische [__repräsentative__] Demokratie zu verfälschen.

Zur Klarstellung: Wolin hat ausdrücklich dargelegt, welche Form des Totalitarismus’ zu bevorzugen ist. Das klassische totalitäre Regime war in offener Weise mörderisch und fremdenfeindlich. Im Gegensatz dazu kann der inverse Totalitarismus zu erheblichen Verbesserungen im Leben der Bürger führen, wenn dies auch im Interesse der Wirtschaftsmacht liegt. Er integriert ferner ohne weiteres ausländische Arbeitnehmer in seine Wirtschaft, wenn auch als auszubeutende ökonomische Elemente, und versucht dabei, sich neue Märkte für die Entwicklung zu erschließen. Daher kann der inverse Totalitarismus für viele Menschen meist gutartig sein. Allerdings ist er alles andere als wirklich demokratisch.

Momenthafte Demokratie

Gelegentlich kann es jedoch vorkommen, daß Demokratie ausbricht. Nach Wolins Verständnis ist Demokratie „ein Prozeß, in dem es um das politische Potential der einfachen Bürger geht, d.h. um ihre Möglichkeiten, durch die Entdeckung gemeinsamer Anliegen und Handlungsweisen zu deren Verwirklichung, politische Wesen zu werden“.[5] Demokratie ist aber nur eine Form des Politischen, nämlich die Idee, daß verschiedene gesellschaftliche Gruppen Augenblicke des Gemeinsamen erleben können, in denen Macht für das Gemeinwohl ausgeübt wird. Im Gegensatz dazu bezieht sich die Politik auf die legitimierte und öffentliche Auseinandersetzung ungleicher sozialer Gruppen über den Zugang zu Ressourcen.

[__„Ressourcen“, über die die eigene Gesellschaft verfügt, oder auf die diese Zugriff hat? Ein „Zugriff“ wäre aber schon fragwürdig, da es sich dabei um „Ressourcen“ handelte, die _außerhalb_ der eigenen Gesellschaft bzw. des eigenen Territoriums lägen, bspw. Rohstoffe. Darauf dürfte es erst dann einen „Zugriff” geben, ist vorher eine reelle Vereinbarung getroffen worden, auf solche Ressourcen fair „zugreifen“ zu dürfen, bspw. kooperativ mit denjenigen vereinbart, die dort wohnen, wo diese Ressourcen zu finden sind, bzw. mit jenen, die diese Ressourcen abbauen oder bereitstellen usw.; Anm.d.Üb.__].

Die Politik ist stetig fortdauernd, das Politische [__also das politisch Aktivwerden der Masse der Menschen__] ist jedoch episodisch und selten.

Es ist nicht verwunderlich, so Wolin, daß in der Geschichte des politischen Denkens die Demokratie von [__bürgerlichen__] Schriftstellern mit Argwohn betrachtet wurde, die sie mit Unordnung und Gewaltausbrüchen verbinden. So warnte zum Beispiel James Madison [__einer der „Founding Fathers“ der USA__]:

„[Echte] Demokratien waren schon immer Schauplatz von Unruhen und Streitigkeiten; sie wurden immer als unvereinbar mit der persönlichen Sicherheit oder den Eigentumsrechten befunden und waren im Allgemeinen von ebenso kurzer Dauer, wie sie gewaltsam zu Tode kamen.“[6]

Im intellektuellen Gedächtnis [__von bürgerlichen Intellektuellen, müßte es heißen; Anm.d.Üb.__] sei das Bild der Demokratie mit dem der Gewalt und Revolution verschmolzen worden, argumentiert Wolin, gerade weil die Demokratie eine Verletzung etablierter sozialer und verfassungsmäßiger Grenzen erforderte (__und immer noch erfordert__), die ganze Bevölkerungsgruppen bewußt ausgeschlossen und marginalisiert hätten [__und das weiterhin so ist__]. Ohne diese systemische Ausgrenzung zu zerstören, könnte der Demos nicht an der Politik teilnehmen. [__Folglich__] ist revolutionärer Verstoß das Mittel, mit dem sich die Bürger zu politischen Wesen machen. Vor dem Hintergrund ungleicher sozialer und wirtschaftlicher Kräfteverhältnisse, geht es bei der Demokratie darüber hinaus „in erster Linie um Gleichheit: Machtgleichheit und gleichberechtigte Teilung der Vorteile und der Belastungen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit“[7]. Demokratie kann also gewalttätig sein und auf der Welle einer Revolution getragen werden. Aber das ist nicht notwendigerweise der Fall; Demokratie kann in jedem Moment des öffentlichen Protestes oder der Auflehnung auftreten.

Demokratie ist jedoch ein von Natur aus vorübergehendes Phänomen. Ein Grund dafür ist prosaisch: Die meisten einfachen Bürger können keine politische Aktivität über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten. Die überwiegende Zeit sind die meisten Menschen damit beschäftigt, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sich um ihre Familien zu kümmern und so weiter. Sie haben nicht die Zeit und die Möglichkeiten, sich der Politik zu widmen. Ein anderer Grund ist eher philosophischer Natur: Die demokratische Freiheit fördert den Ausdruck von Vielfalt, und das führt zwangsläufig zur Aufspaltung des Demos. So verliert sich die Gemeinsamkeit, die während des demotischen Momentes gewonnen wurde, wegen der durch die Demokratie entfesselten Freiheiten. In dieser Konzeption ist Demokratie daher „momenthaft“: keine permanente Regierungsform, sondern ein Augenblick der vom Volk selbst ausgeübten Macht.

Der Brexit und die Europäische Union

Was können wir aus Wolins politischem Denken über die Situation im heutigen Europa lernen? Ich möchte zwar keinen zu engen Vergleich anstellen — mit ihrer unterschiedlichen Geschichte und ihren unterschiedlichen politischen Traditionen sind die USA nicht die EU —, aber ich möchte darauf hinweisen, daß es beobachtbare Parallelen zwischen dem zunehmenden inversen Totalitarismus in den USA und der üblichen Ausgestaltung der Politik in der EU, insbesondere in Großbritannien, gibt.

Das Verhältnis zwischen den Institutionen der EU und der Wirtschaftsmacht der Unternehmen ist zwar komplex, aber aufgrund ihrer dominanten Stellung ist es ein Fall von inversem Totalitarismus. Die EU wird manchmal als „kapitalistischer Club“ bezeichnet, und daran ist viel Wahres. Die Geschichte der wirtschaftlichen Integration Europas ist eine der Entkopplungen der Wirtschaft von der politischen Kontrolle.[8]

Ebenso ist es angesichts der Unmöglichkeit des EU-Parlaments, Rechtsvorschriften zu initiieren, problematisch, die Wahl seiner Abgeordneten als etwas anderes als einen ritualisierten demokratischen Akt zu betrachten. Die Ergebnisse der EU zeigen deutlich, daß sie die Demokratie als ein zu bewältigendes Problem und nicht als eine zu fördernde Tugend betrachtet. Zugegebenermaßen ist die EU weniger darauf ausgerichtet als die USA, militärische Macht über ihre Grenzen hinaus zu projizieren. Doch seit Jahrzehnten projiziert sie ihre „zivile Macht“ und „normative Macht“ auf den Balkan, Osteuropa und ihre weitere „Nachbarschaft“ und fordert neoliberale Reformen politischer Steuerung als Preis für den Zugang zu ihren Märkten oder die EU-Mitgliedschaft[9]. Derartige Interventionen haben Europa, was die Ukraine betrifft, an den Rand der Konfrontation mit Rußland gebracht. Unterdessen sind Föderalisten wie Emmanuel Macron und Guy Verhofstadt bestrebt, die EU in ein „Imperium“ zu verwandeln, das mit den USA, China und Rußland konkurrieren kann und mit eigenen Streitkräften ausgestattet ist.[10]

In dem Maße, wie die Diagnose des inversen Totalitarismus die EU als Ganzes betrifft, ist sie auch im besonderen Fall des Vereinigten Königreichs angebracht. Dies zeigt sich in der Feindseligkeit gegenüber selbst moderaten Formen der Sozialdemokratie von seiten des politischen Establishments, so in der Betonung wirtschaftlich „nützlicher“ Themen wie Wissenschaft und Technologie in unseren Sekundar- und Hochschulsystemen, ferner in dem Austeritäts-Regime, das, infolge der Finanzkrise und der Privatisierung vieler bisher öffentlicher Institutionen, der Bevölkerung auferlegt wurde, oder in dem thatcheristischen Streben, Bürger als passive Konsumenten zu verstehen, und in der daraus resultierenden Abwendung vieler Bürger von der Politik. Es überrascht daher nicht, daß der britische Demos das EU-Referendum nutzte, um seine Unzufriedenheit mit den ungleichen Machtverhältnissen, die die britische Gesellschaft durchziehen, zu zeigen und um ein Signal zu senden, daß das Volk die Kontrolle übernimmt[11]

Natürlich war die Abstimmung über den Austritt aus der EU eine gravierende Verletzung der festgelegten sozialen, wirtschaftlichen und verfassungsmäßigen Strukturen [__des inversen Totalitarismus__]. So überrascht es nicht, daß die Charakteristika der gelenkten Demokratie und des inversen Totalitarismus’ am deutlichsten im Personal der Remain-Kampagne zu erkennen sind. (__Gab es diesbezüglich irgendeinen Zweifel, so wurde die Verknüpfung von Staatsmacht, Unternehmensmacht und technologischer Macht sicherlich in Form der Ernennung von Erz-Remainer Nick Clegg durch Facebook zum „Head of Global Affairs“ deutlich gemacht.)[12] Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Elite, darunter ehemalige Premierminister und der Chef der Bank von England, sind angetreten, um die britische Bevölkerung zu bestrafen, weil sie es gewagt hat, die Harmonie des EU-Binnenmarkts zu stören. Ihre Helfershelfer in den Medien und anderswo fordern wiederholt ein zweites Referendum. Sie umkleiden ihre Rhetorik meist mit der Worthülse Demokratie: Ein zweites Referendum kann nämlich nicht nur eine weitere Abstimmung sein, es muß eine „Volksabstimmung“ sein. Und nach Jahren der Schwarzmalerei wird uns gesagt, daß die Menschen das Recht hätten, ihre Meinung zu ändern. Gibt es eine deutlichere Demonstration des inversen Totalitarismus?

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Wenn wir das Brexit-Votum so sehen, wie Wolin es formuliert, können wir sowohl seine Wesensart als auch die Reaktion darauf verstehen. Zudem erklärt dies, warum es nach der Brexit-Abstimmung wenig nachhaltigen Schwung gegeben hat.

[__Ich glaube nicht, daß dieser „Schwung“ gefehlt hätte, wären die Menschen davon ausgegangen, daß sie nach Strich und Faden hinters Licht geführt werden sollten — immerhin hatte es Mitte 2017 „Brexit-Manifeste“ von den beiden großen Parteien gegeben: von den Tories sogar explizit, den Brexit _vollkommen_ zu vollziehen, würden die Wähler nur für Frau Theresa May stimmen. _ Anm.d.Üb.__]

Schließlich ist die momenthafte Demokratie von Natur aus episodisch und selten; nach ihrer eigenen Logik ist sie von kurzer Dauer. Wolins Auffassung von Demokratie ist jedoch kein Grund zur Hoffnungslosigkeit. Sie lehrt uns, was wir erwarten können, worauf wir hoffen können und was wir realistischerweise erreichen können.

Wie sehen nun die Perspektiven für die Demokratie aus? Aufgrund seiner internen Vielfalt, so Wolin, kann der Demos nie politisch dominieren.

[__Das ist in einer richtig strukturierten Demokratie durchaus möglich. Das Problem ist die dazu fehlende Basis und der Hintergrund, den Wolin als „inversen Totalitarismus“ bezeichnet und ich als „Lobbykratie“; Anm.d.Üb.__]

Moderne Massengesellschaften sind von politischen Eliten und deren Engagement abhängig.

[__Das ist in einer richtig strukturierten Demokratie weder ein Widerspruch noch stellt es dann ein Problem dar; Anm.d.Üb.__]

Entscheidend ist jedoch die Unterscheidung zwischen momenthafter Demokratie und elitengelenkter Demokratie. Ähnlich wie das „Enclosure movement“, das im frühneuzeitlich England [__also im 13. Jahrhundert__] begann, wo Wohlhabende und Adlige Hecken um landwirtschaftliche Flächen herum errichteten, die sich nach den damaligen Gepflogenheiten nicht im Besitz bestimmter Individuen befanden, sondern der lokalen Bevölkerung frei zur Verfügung standen, tendiert [__vor dem Hintergrund der bürgerlichen Demokratievorstellungen__] die [__Funktionselite__] unvermeidlich dazu, die politische Sphäre einzukapseln und sie für ihre Zwecke zu privatisieren. Momenthafte Demokratie beinhaltet periodische Versuche, die Politik für gemeinsame Zwecke zu „öffnen“, gegen die ständigen Bemühungen der Elite, das System [__in ihrem Sinne__] zu managen.

[__Das ist typisch für die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer pseudo-repräsentativen Demokratie, nicht aber für eine Demokratie, denn in dieser würde die Elite vom Volk bestimmt und per politischem Los-Verfahren in Funktion gesetzt. — Wie man „Volk“ zu definieren hat?{__13__} _ Anm.d.Üb.__]

Das bedeutet jedoch nicht, daß wir dazu verdammt wären, unter einem Regime des inversen Totalitarismus’ zu leben. Eine erneuerte politische Ordnung, in der die Demokratie als Gegengewicht zu den Eliten fungiert, sei möglich und erreichbar, so Wolin.

[__Was Wolin unter „Eliten“ versteht, bezeichne ich als „Funktionselite“, bspw. die der EU, aber auch die jedes Staates. Diese „Funktionselite“ steht in der Tat im Widerspruch zur Masse eines _jeden_ bürgerlichen Staates. Daneben gibt es aber noch eine andere Elite, bei der es sich um jene handelt, die in ihrem Metier Spitzenleistungen vollbringen. Das kann, völlig geschlechtsunspezifisch selbstverständlich, ein Handwerker, Techniker, Lehrer, Busfahrer, auch ein Politiker, Künstler, Philosoph usw. sein. Diese Elite hat die besten Chancen, nicht in Widerspruch zu den Interessen der Masse der Menschen zu geraten, da sie ihre „Spitzenleistung“ _in_ der Gesellschaft vollbringt. Beziehungsweise diese Elite wird sich am ehesten an die „Seite“ der Masse der Menschen stellen, geht es um die Verteidigung ihrer Interessen. Genau das kann von einer Funktionselite nicht erwartet werden, da deren Vertreter an den „Steuerhebeln“ der Gesellschaft sitzen und diese in _die_ Richtung lenken wollen, die jenen genehm ist, in deren Dienst diese Elite funktioniert. _ Anm.d.Üb.__]

Zunächst müssen die Bürger erkennen, daß die Fürsorge und das Schicksal des Gemeinwesens Themen gemeinsamen Interesses sind; sie müssen „öffentlich“ denken und nicht privat. Wie Wolin es ausdrückt: „Ohne Selbst-Demokratie bleibt die Demokratisierung der Politik rein formal“.[14] Dieser Akt der demokratischen Selbstschöpfung vollzieht sich am besten auf der lokalen Ebene, wo täglich Gemeinsamkeiten erlebt werden. Natürlich muß die Bildung demokratischer Bürger in hohem Maße durch nationale Gesellschafts-, Wirtschafts- und allgemeine Bildungseinrichtungen unterstützt werden, einschließlich mehr freier Zeit, um sich gemeinsamen Projekten zu widmen.

[__Schon die Kinder sind in den Schulen im Unterrichtsfach: „Soziale Spielwiese“ aufzufordern, auf Fragen wie: „Was müssen wir tun, um dauerhaft gut miteinander auszukommen? Welche gesellschaftlichen Einrichtungen benötigen wir dazu? Wie stellen wir sicher, daß diejenigen, die für uns stellvertretend politisch aktiv sind, dies im Sinne des ihnen von uns erteilten Mandats tun?“, Antworten praktisch zu erarbeiten. _ Anm.d.Üb.__]

Aber die Pflege der Demokratie muß auf Graswurzel-Niveau stattfinden, denn eine lebendige lokale Demokratie kann dazu beitragen, die Kluft zwischen der repräsentativen Regierung und ihren Wählern zu überbrücken. Je mehr diese Pflege nachläßt, desto mehr entkoppeln sich Staat und Gesellschaft, so daß nationale Eliten ihre eigenen Interessen verfolgen können.

[__Hier müßte allerdings auch das Grundproblem jeder staatlichen Organisierung diskutiert werden; Anm.d.Üb.__]

Zweitens muß eine eher fachlich versierter Gegenelite demokratischer Beamter geschaffen und angespornt werden. Das bedeutet nicht eine Herrschaft von Technokraten, die danach streben, „über der Politik“ zu stehen und Politiker „unparteiisch“ zu beraten, sondern von Beamten, die sich institutionell für die Verteidigung demokratischer Werte, die Beseitigung sozialer Ungleichgewichte und die Pflege eines demokratischen politischen Klimas einsetzen.

[__In ständiger Rückkopplung mit der Bevölkerung und von dieser per Los-Verfahren in ihre Funktion gesetzt: es sind „politische Beamte“, die sich darüber bewußt sein müssen, daß sie eine demokratische Kontrolle der politischen Prozesse ausüben sollen — immerhin wirken sich diese Prozesse auf das ganze Gemeinwesen aus. Deshalb muß diese Kontrolle auch vollkommen transparent erfolgen. _ Anm.d.Üb.__]

Im Zusammenhang mit der [__funktionselitären__] und tief verwurzelten Anti-Brexit-Perspektive des britischen öffentlichen Dienstes, insbesondere seitens des Finanzministeriums und der Bank von England, und nach einem Jahrzehnt der Austerität für das Volk und der sogenannten Quantitativen Lockerung für die Finanzwirtschaft mag ein solcher Anspruch eher utopisch erscheinen.[15] Dennoch ist dies ein Modell, in dessen Sinne eine Post-Brexit-Vision der britischen staatlichen Institutionen angestrebt werden könnte.

[__Das steht und fällt mit der Mobilisierung der Bevölkerung: ihr zu verdeutlichen, daß sie andernfalls zur dauerhaften Verfügungsmasse für Interessen verwendet werden wird, die nicht die ihren sind. _ Anm.d.Üb.__]

Abschließend möchte ich sagen, daß Wolins Demokratieverständnis ein Schlag gegen diejenigen ist, die Demokratie als einen kontinuierlichen Prozeß betrachten, der von Eliten geleitet und implizit zum Wohle der Eliten geführt werden muß. Das Gegenteil ist der Fall: Die Demokratie ist ein situativer Moment, der etablierte Strukturen zerstört, ausschließende Grenzen überschreitet und Eliten weit weniger bequem und selbstgefällig macht.

[__„Demokratie“ ist hier vor dem Hintergrund dessen definiert, das keine demokratische Struktur aufweist, sondern vergleichbar mit Laminat ist, das mitunter „Holzoptik“ zeigt, aber kein Holz ist. Dies also eine Herrschaft, die von einer im Sinne der mit „Demokratieoptik“ ausgestatteten Lobbykratie funktionierenden Elite über die Masse der Menschen einer Gesellschaft ausgeübt wird. Demnach ist die „gelenkte Demokratie“ des „inversen Totalitarismus’“ so etwas wie ein upgedateter Feudalismus. Die Anwandlungen der EU-Funktionselite, aus der EU ein „Imperium des Friedens“ zu machen, gehen jedenfalls in diese Richtung. _ Anm.d.Üb.__]

Und während das demotische Moment vorübergehend ist, könnten wir uns von Wolins Gedanken ermutigen lassen, daß solche Momente wieder auftreten können, solange es diejenigen gibt, die sich daran erinnern. Kontinuität ist keine Garantie für Schönheit, noch weniger für moralische und politische Richtigkeit.[__16__]

[__Aus meiner Sicht ist der Hodgsonsche Essay auch deshalb eine
Aufklärungsschrift in bester Tradition, da er zu eigenen Reflexionen einlädt.__]

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Kommentar

Ich halte es für nicht angebracht, den Begriff „Demokratie“ zu verengen, da er dann mißbraucht werden kann, sich bspw. dadurch ausdrückend, daß er ohne attributiven Zusatz nicht mehr auskommt: „Eliten-Demokratie“, „verwaltete Demokratie“, „Demokratie der (__nach Selbstdefinition__) Freien“, „liberale Demokratie“, ja man kann manche sogar von „kapitalistischer Demokratie“ reden hören. ... Gibt es eigentlich noch keine „kindische Demokratie“? — immerhin scheint es genügend politisch Kindische zu geben.

Wem „verdanken“ wir denn diese Entwicklung zur Lobbykratie (__bzw. zum inversen Totalitarismus mit seiner von seiner Funktionselite gelenkten „Demokratie“__), wenn nicht der bürgerlichen Gesellschaft? Dies eine Gesellschaft, die eigentlich als „betriebswirtschaftliche Gesellschaft“ zu bezeichnen ist, da schon das Denken und Fühlen der Kinder mikroökonomisch getrimmt wird, nach dem Motto: „lohnt sich der ‘Einsatz’ überhaupt?“.

Die „Demokratie-Vorstellung“ der „betriebswirtschaftlichen Gesellschaft“ erschöpft sich in dem, das man als „repräsentative Demokratie“ bezeichnet und das derartig in den Köpfen der Masse der Menschen der „betriebswirtschaftlichen Gesellschaft“ schon vor langer Zeit verankert worden ist, daß alles andere, also tatsächliche „Demokratie“, gar nicht mehr als möglich erscheint, bzw. heute erst gar nicht in den Überlegungshorizont der Funktionselite der Lobbykratie fällt, die den Leuten lieber folgendes erzählt:

„Das politische Geschäft ist hoch komplex, das verstehen die normalen Leute gar nicht, deshalb: laßt das besser ‘uns’ machen“.

Gewiß, denn „ihr“ von der Funktionselite der Lobbykratie seit diejenigen, die Vertragswerke so durchklausulieren, daß zu jedem Punkt eine geldwerte Streitfrage konstruiert werden kann, die dann, bspw. vor dem „Investitions-Tribunal“ verhandelt werden muß.

Also okkupiert die Funktionselite das Denken und nennt das „öffentliche Meinung“.

Im übrigen ist das von Wolin beschriebene Phänomen des „umgekehrten [__inversen__] Totalitarismus’“ und seiner „gelenkten Demokratie“ keines des 21. Jahrhunderts, sondern eines der „repräsentativen Demokratie“ überhaupt, wurde also schon im 20. Jahrhundert unübersehbar, wie es Theodore Dreiser Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts u.f.Z. in seinem Tragic America exemplarisch zum Ausdruck gebracht hat, wo die Entwicklung des von Wolin beschriebenen Phänomens insbesondere in der folgenden zitierten Passage gut zum Ausdruck kommt:

[…] Das zutiefst Beunruhigende am heutigen Amerika ist, daß es als ausgemacht gilt, daß dem talentierten und starken Menschen, obwohl egozentrisch, selbstsüchtig und vollständig unsozial, trotzdem keine Zügel angelegt werden sollten, da er Teil eines mutmaßlich ganz und gar sozialen Staates sei, der eingerichtet worden war, das Recht auf Chancengleichheit zu garantieren. Aber Chancengleichheit kann unmöglich ein Freibrief für den Durchtriebenen und Raffgierigen sein, der Nutzen aus dieser Chancengleichheit zieht bei der Etablierung von bestimmten, oder anders ausgedrückt, unbegrenzten persönlichen Sonderrechten, verbunden mit der damit einhergehenden Macht, wohingegen die restlichen neunzig bis fünfundneunzig Prozent der Bürger dieses Landes vergleichsweise nur schlecht zurechtkommen.

[…] Von dem Ausgangspunkt ausgehend, wo ein geschicktes Individuum Millionen und sogar hunderte von Millionen Dollar auf eigene Rechnung zusammenraffen und reinvestieren konnte, sind wir an einen Punkt gelangt, wo es heutzutage nicht mehr auf sich allein gestellt ist, Banken, Geschäfte, Unternehmen und dergleichen zu gründen, sondern zu diesem Zweck sich andere mit ihm verbinden, wodurch sie (__und ohne annährend so viele Schwierigkeiten wie früher__) jetzt selbst die Staatsführung dirigieren. Denn auf wen hört man innerhalb oder außerhalb der gesetzgebenden Versammlung, in den Bundesstaaten oder ihren Städten und Gemeinden […]? Diese, durch ihre kombinierten Instrumente – Politiker, Polizei, Gerichte, Anwälte, und wen sie sonst noch für sich arbeiten lassen und bestimmen mögen – sind nunmehr nicht nur in der Lage ihre gemeinsamen Millionen oder Milliarden zu bewahren, sondern ihnen auch weitere hinzuzufügen. Mehr noch, indem sie dies tun, legal oder illegal, und dabei stets mit Billigung der Regierung, und merken Sie es wohl, benutzen sie diese [__Millionen__] nicht nur dazu, jeden Wettbewerb zu zerstören, sondern zwingen auch die Regierung und das Volk, unter deren Auge und durch dessen Unwissenheit sie zu einer solchen Kraft geworden sind, oder durch die Gleichgültigkeit beider, sie dabei zu unterstützen. […] [__17__]

Zu dem Satz in Hodgsons Essay:

Während klassische totalitäre Regime die Form eines Staates annehmen, der von Gruppen erobert wird, die ihre Macht nutzen wollen, um die Wirtschaft und das soziale Leben im totalisierenden Sinne zu reglementieren, zeichnet sich der inverse Totalitarismus dadurch aus, daß wirtschaftliche Kräfte einen Staat erobern und ihn für ihre eigenen Zwecke einsetzen,

möchte ich anmerken, daß es zwar allgemein anerkannt ist, auch durch Figuren à la Götz Aly, daß der Nazismus eine Sache der Masse der deutschen Bevölkerung war, besteht für mich keine Veranlassung, nicht davon auszugehen, daß es sich dabei, zumindest von der Zielsetzung her gesehen, um ein zumindest von der deutschen Wirtschaftselite genutztes „Projekt“ handelte, immerhin kam genau dieser Elite der Nazismus voll entgegen — innenpolitisch: „Ruhe im Karton“ durch die Vernichtung der Arbeiterbewegung; außenpolitisch: militärische Eroberung der Räume Europas, zur „Verwendung“ als Ressourcen-Geber, wie Rumänien in Bezug auf Öl, und zum Aufbau eines einheitlichen Wirtschaftsraums für den Absatz der eigenen Produkte dienend. Diese Zielsetzung gab es allerdings schon 1914.

Das „Denken“ der nazistischen Ideologen, obwohl es sich davon abheben wollte, war dennoch von dem geprägt, das im Rahmen dessen, welches ich als „Preußisierung der Deutschen“ bezeichne und das seinen sichtbaren Ausdruck in der Nationalstaatsbildung von 1871 findet, mentalitätsprägend wurde, und im übrigen seit dem Ende des Kalten Krieges in upgedateter Form wiederkommt, also als Neowilhelminismus, der sich mit dem Neoliberalismus aktuell zum Neowilhelmoliberalismus amalgamiert, da die „gesellschaftlichen Lenkungselemente“ des Neoliberalismus’ für einen solchen „inversen Totalitarismus“ bestens geeignet sind.

Die Gilets-Jaunes-Bewegung widerspricht übrigens der These, daß das Politischwerden etwas Episodisches sein muß: diese Bewegung gibt es jetzt (__von September 2019 an zurückgerechnet__) seit zehn Monaten — und das trotz harter repressiver Maßnahmen, wozu nicht nur die Gewalttätigkeit von als „Sicherheitskräfte“ getarnten Schlägern gehört, sondern bspw. auch weitläufige Kontrollen auf den Zufahrtswegen zu Städten, in denen Demonstrationen stattfinden könnten, und auch nicht anders von seiten der Justiz, wo es u.a. zu „prophylaktischen Vorladungen“ kommt, die letztlich nur der Einschüchterung der ganz normalen Franzosen dienen. [__18__] — Allerdings steht diese repressive Politik des Macron-Regimes im Einklang mit der ideologischen Vorgabe des EU-Regimes, wovon im Laufe dieses Buches noch zu sprechen ist. — Dabei spielt es keine Rolle, daß die Gilets Jaunes von sich behaupten, nicht politisch zu sein. Denn womit assoziieren sie das „Politische“? Mit den Tamtam-Parteien und Organisationen des lobbykratischen Systems, deren Aufgabe genau darin besteht, die Masse der Menschen „politisch schwebend“ zu halten, so daß sie, je nach „politischer Stimmungslage“ leichter in die gewünschte Richtung dieses Systems gepusht werden können — zumindest der Großteil dieser Masse der Menschen. Genau mit diesen, von politisch rechts bis pseudo-links plazierten Tamtam-Parteien wollen die Gilets Jaunes nicht zu tun haben. — Tatsächlich finden sich Tamtam-Parteien in allen „betriebswirtschaftlichen Gesellschaften“.

Daß „Demokratie ein von Natur aus vorübergehendes Phänomen“ sei, ist also nur vor dem gegebenen Hintergrund der aktuellen als „inverser Totalitarismus“ bezeichneten Entwicklungsphase der „bürgerlichen Gesellschaft“ bzw. der „betriebswirtschaftlichen Gesellschaft“ zu verstehen, denn in einer Demokratie wären selbstverständlich solche Strukturen verankert, die eine Entwicklung zu einem „inversen Totalitarismus“ verunmöglichten.

Man muß demnach im Auge behalten, daß der Autor, so wie Wolin auch, den Begriff „Demokratie“ als etwas „Momenthaftes“ versteht und seine Überlegungen aus der verengten Perspektive jener gesellschaftlichen Formation anstellt, die als „repräsentative Demokratie“ bezeichnet wird. Es ist aber zu wiederholen, daß es die „repräsentative Demokratie“ ist, die erst den „inversen Totalitarismus“ verursacht hat. — Und ist nicht diese Entwicklung, wenn auch schon vorher im Schwange gewesen, wie nicht nur Dreiser gezeigt hat, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges in eine beschleunigte Phase getreten, woraus sich dann die Frage ergeben könnte: Woran mag das liegen? — Oder gar: Wohin mag das führen?

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[__1__] James Hodgson hat mir freundlicherweise erlaubt, seinen Essay in der deutschen Übersetzung abdrucken zu dürfen. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich beim The Full Brexit-Team für die Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit James Hodgson. Der originale Text dieses Essays ist am 3. Juli 2019 auf der Internetseite von: „The Full Brexit — for popular sovereignty, democracy, and economic renewal“ unter dem Titel: « Brexit as Fugitive Democracy » erschienen. Der zugehörige Link wurde am 1. September 2019 erneut geprüft.

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[2] Sheldon S. Wolin, Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Spectre of Inverted Totalitarianism, Princeton University Press, Princeton, 2008, die Seite xvi.

[3] Wolin, Democracy Incorporated, die Seite 47.

[4] Wolin, a.a.O., die Seite 66.

[5] Sheldon S. Wolin, Fugitive Democracy and Other Essays, ed. Nicholas Xenos, Princeton University Press, Princeton, 2016, die Seite 100.

[6] „The Federalist“, no. 10; zitiert in: Wolin, Democracy Incorporated, die Seite 105.

[7] Wolin, Democracy Incorporated, p. 61.

[8] Christopher Bickerton, The European Union: A Citizen’s Guide, Penguin Books, London, 2016, die Seite 115. Siehe auch Christopher Bickerton und Lee Jones „The EU's Democratic Deficit: Why Brexit is Essential for Restoring Popular Sovereignty“:  und Costas Lapavitsas, „Quit the Single Market: How the EU Throttles State Aid and Industrial Policy“. Beide Links wurden am 2. September ’19 erneut geprüft.

[9] Siehe auch Philip Cunliffe, „We Already Had Empire 2.0: it's Called the EU“. Dieser Links wurde ebenfalls am 2. September ’19 erneut geprüft.

[10] Angelique Chrisafis, „Emmanuel Macron calls for ‘real’ European army at start of war centenary tour“, The Guardian, 6 November 2018; „Team Europe’s Verhofstadt Debates in Maastricht“, ALDE, 30 April 2019.

[11] Siehe auch Christopher Bickerton and Richard Tuck, „Popular Sovereignty and Taking Back Control: What it Means and Why it Matters“ und James Aber und Lee Jones, „Why Did Britain Vote to Leave the EU?“. Beide Links wurden am 2. September ’19 erneut geprüft.

[12] Mark Sweney, „Facebook hires Nick Clegg as head of global affairs“, „The Guardian“, 19. October 2018.

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{__13__} Beispielsweise so wie weiter unten auf den Seiten 337 ff. skizziert, beginnend mit: „... folgendes ist keine politische Geschmacksfrage ...“.

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[14] Wolin, Democracy Incorporated, die Seite 289.

[15] Ashoka Mody, „Ignore the Brexit scare stories — they have no basis in sound economics“, The Independent, 6. Dezember 2018.

[__16__] Quelle: « Brexit as Fugitive Democracy ».

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[__17__] Theodore Dreiser, Tragic America, first published by Constable and Company Ltd., London, 1932 (__Copyright by Theodore Dreiser, 1931__), die Seiten 14 f. (__eigene Übersetzung__). Übrigens sollte dieser, als Ergebnis und unter dem Eindruck einer langen Reise durch die USA von Dreiser abgefaßte Bericht, nicht mit seinem Ende 1925 erschienenen Roman An American Tragedy verwechselt werden.

[__18__] Siehe zu dieser Bewegung, der staatlichen Reaktion und der Stimmungslage (__nicht nur in__) in Frankreich Aspekte 15: „Gilets Jaunes: ‘Der Bewegung geht nicht die Puste aus, sie transformiert sich’“ und 16: „Kollektives Stimmungsbild im Westen des orwellianischen EU-Imperiums des Friedens“.

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Dieser Text ist "Aspekt 5" in meinem neuen Buch, das im November erscheint.

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© James Hodgson für den englischen Originaltext
© Joachim Endemann für die Übertragung aus dem Englischen
und die Anmerkungen

Autor:

Joachim Endemann aus Mülheim an der Ruhr

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