Der Anhalter
Der Anhalter - Eine ungewöhnliche Reise

Foto: Mein eigenes Gemälde

Der Anhalter

Wohin fahre ich? Wohin will ich? Am öden Samstag in einer öden Stadt, in der Vergnügen aus Shoppen oder Fernsehen in der Sofaecke bestand, komprimierte Bilderbuch Ereignisse, die dazu da waren, rasch vergessen zu werden, wollte ich nur eines: - Raus aus den Konsum glänzenden Angeboten. Ich kletterte in mein Konsum teures Auto und plante eine nachhaltiger Flucht, wohin, war mir eigentlich egal.
Mit dem Rausch der Geschwindigkeit und dem Rausch der Lautstärke einer Queen CD begab ich mich in eine Trance weit fort von mir selbst udn befand diese Flucht als gelungen.
Leider war die Sauerlandlinie von Baustellen übersät und nur Tempo 80 zulässig, man trottete langsam in seinem Gefährt hinter anderen Gefährten her und mir kam es vor, als sei hier niemand Individualist. So hatte ich mir das schnelle Reisen nicht vorgestellt.
Auf dem Rasthof Siegerland entspannte ich von meiner Entspannungsfahrt, entledigte mich und kaufte ein Eis als Gaumenkitzel, da ansonsten nichts kitzelte.
In der Abfahrt sah ich einen Tramper stehen, in ausgebeulten Jeans, Turnschuhen und einem fast neuen Shirt. Sein kinnlanges Haar flatterte wild im Wind wie ein Relikt einer vergangenen Zeit. Das gibt es noch? Die Hippiezeit, als das Trampen Gang und Gebe gewesen war und an jeder Autobahn Gruppen von Trampern standen war längst vorbei. Heute hatten Jugendliche entweder Geld für Transportmittel, ein eigenes Auto oder planten ihre Fahrten per Internet. Früher, ja, früher, als ich jung war, kam man mit dem Trampen überall hin, ich erinnere mich an einem einzigen Tag sogar vom Ruhrgebiet bis Kopenhagen.
Der Tramper stand leicht gebeugt und blinzelte gegen die Sonne. Ich schätzte ihn auf knapp 30 Jahre. Er war relativ groß und dünn und machte auf mich mit seinem weichen Gesicht einen fast kindlichen Eindruck und hatte sofort meine Sympathie.
Ich hielt neben ihm an.
"Wohin soll es denn gehen?" fragte ich ihn. Er schwieg und es schien, als zuckte er ratlos mit den Schultern. Ich sagte: "Steigen Sie erst einmal ein." Er setzte sich in den Wagen und sagte kein Wort, den Blick auf die Straße gerichtet. Zehn Minuten vergingen in Schweigsamkeit. "Zigarette?" fragte ich. "Ja, gerne." Ein erstes Wort, das ich aus seinem Munde hörte.
"Und wohin wollen Sie?" fragte ich . Als überfordere ihn diese Frage, antwortete fast wie trotzig: "Weiß ich nicht." Ich hörte mich sagen: " Da haben wir ja etwas gemeinsam." Er zog die Augenbrauen hoch." Sie wissen nicht, wohin Sie wollen?" fragte er leicht spöttisch. "Nein."
"Und warum fahren Sie dann hier herum?" Ich schwieg.
Die CD von Queen sang: - “Everyone needs a place he can hide … “-
Ungemütlich rückte er herum und sein Misstrauen wurde offensichtlich. Ich stand in Erklärungsnot, warum ich so verrückt war wie ich war. "Warum nehmen Sie einen Tramper mit?"fragte er etwas fordernd. "Warum nicht?"entgegnete ich. Und dann begann ich zu erzählen, von meinen vielen Tramptouren in Frankreich, Spanien, ja sogar in Irland.
Er wurde aufmerksam, es schien ihn zu interessieren. Also schilderte ich die sengende Sonne in Südfrankreich, als endlich nach vier Stunden Danielle mit ihrer Ente anhielt. Von Danielles Katze im Auto, die mir beim Anhalten ins Gesicht sprang und ich mitten in Paris ohnmächtig wurde und Danielles Angebot, bei ihr zu nächtigen, und das sogar für eine Woche. Von einer Fahrerin, die meiner Freundin und mir auf unserem Weg an der spanischen Küste ihr Strandappartment in Tarragona, Pineda, zur Verfügung stellte. Eine tolle Zeit!
Von Joe Banks, dem Farbigen, der in Kopenhagen einen Folkclub betrieb, in dem meine Freund mit seinen Liedern auftreten konnte.
Vom Ring of Kerry in Irland, wo wir in strömendem Regen im Wald übernachteten und wir am nächsten Morgen mitgenommen wurden. Irische Musik aus dem Kassettenrecorder, nachlassender Regen und ein wunderschöner Regenbogen spannte sich malerisch über dem Tal. Von dem weißen Südafrikaner, der uns drei Monate in seinem Altstadthaus in Alikante wohnen ließ und all den guten Freunden, die wir dort fanden…
"Sie waren ein Hippie." stellte der Tramper verwundert oder bewundernd fest. " Ja, und jetzt bin ich alt." gab ich zu. "Und einsam." fügte er hinzu. Ich verzieh ihm die Taktlosigkeit, denn auch er begann zu erzählen.
"Ich habe meine Freundin verlassen." sagte er und zögerte verlegen. "Nein, eigentlich hat sie mich rausgeschmissen…. Das heißt, sie hat gesagt, wenn ich jetzt gehe, brauchte ich nicht mehr wiederzukommen." " Und Sie sind gegangen?" Er räusperte sich. "Sie war so eng, so bürgerlich. Sozialarbeiterin von Beruf. Sie sagte, sie wolle mich in die bürgerliche Gesellschaft integrieren, zum passgenauen Begleiter. Aber ich will diesen ganzen Scheiß nicht!" Er spannte die Schultern, reckte den Kopf und setzte sich aufrecht, zufrieden mit seinem Geständnis.
"Und wohin wollen Sie jetzt ?" fragte ich. Zögernd sagte er:" Am liebsten zum Meer." Das musste ich mir nicht zweimal überlegen. "Gut, wir fahren zum Meer." Ungläubig starrte er mich an. "Sie sind verrückt. " Dann sagte er, mehr zu sich selbst: - "Na ja, ein Hippie. "
An der nächsten Abfahrt wendete ich, wir rasten wir auf der A31 nach Norddeich und die freie gerade Bahn als Rennstrecke zu benutzen kannte ich gut. Ohne ökonomisch schelchtes Gewissen gab ich endlich richtig Gas. Das norddeutsche Flachland mit seinen Wiesen und Äckern und Gehöften schoss wie ein komprimiertes Gemälde an uns vorbei, eine Wiederholung des Gleichen. Dazu sang die Queen CD: „We rock the Universe“.
An einer Tankstelle erstand ich eine Flasche Wein mit einem Drehverschluss, da wir nicht im Besitz eines Korkenziehers waren, so wie Hippies, Lumpenbrüder und andere kreative Menschen.
Als wir in Norddeich ankamen, war es schon spät und wir fühlten die ersten Vorboten der Dämmerung aufsteigen. Schweigend stiegen wir aus dem Auto, gingen den Deich hinauf und wurden wie verzaubert von der unendlichen Weite, als schauten wir in das Wunder der Unendlichkeit, gleichsam flatterte der salzige Wind rücksichtslos in den Haaren, den Hosen. Nachdem wir eine Weile andachtsvoll gestanden hatten, setzten wir uns in den Sand und öffneten die Flasche., langsam, Schluck für Schluck, tranken wir.
Der Sonnenball stand tief, orange rot glühend. und spiegelte sich in den Meereswogen, erleuchtete rosa Wolkenfäden, umgeben von einem strahlenden Türkis, in welchem die weißfahle Scheibe des Mondes höher und höher stieg.
Im Meer sang eine sich wiederholende Melodie in den rhythmisch überschlagenden Wellen, vom jähen Rauschen zum zärtlichen Zischen und Gurgeln wie eine ausklingende Symphonie. Lachmöwen kreischten und segelten wie schwerelos im Wind.
Ich wurde ganz ruhig und der Frieden legte sich in meine Seele. Ich schloss die Augen und fühlte mich Eins mit den Elementen, so winzig klein und doch mittendrin.
Mein Begleiter atmete tief ein und aus mit immer entspannteren Zügen. Mir schien, auch er kam in der Unendlichkeit an.
Lange saßen wir, unbemerkt fröstelnd, bis der Himmel mit ersten funkelnden Lichtern blaudunkel wurde und das Mondlicht silbern über das Wasser schillerte. Zeit verging, voll und leer zugleich.
Irgendwann fanden wir Worte: "Es ist gut…" "Ja, es ist gut."
Schweigend, nicht abgesprochen, erhoben wir uns und gingen zum Auto. Langsam, im Mondenschein, fuhr ich auf der A31 zurück. Wir hörten keine Musik, denn die Musik des Meeres war in uns.
Ich setzte ihn in der Dämmerung des Morgens an der Raststätte Siegerland wieder ab. Wir lächelten uns einverstanden an. Dann nickte er kurz und war verschwunden.
Sein Sitz war etwas sandig und in einer Ecke sah ich eine Muschel liegen. Ich hielt sie an mein Ohr und lauschte.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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