BUCH DER WOCHE: Wenn der Vater mit dem Sohn

Die in Madrid lebende spanische Erfolgsautorin Almudena Grandes, die bereits mit ihrem Debütwerk „Lulù“ (1989) eine Millionenauflage erreichte, arbeitet an einem ambitionierten literarischen Großprojekt. Der nun erschienene Roman „Der Feind meines Vaters“ ist der zweite Band eines auf sechs Teile angelegten Monumentalepos’ über die Herrschaft Francos.

Das andalusische Dorf Fuensanta de Martos in den Jahren von 1947 bis 1949 dient Grandes dabei als Miniaturbühne, auf der sie die totale Zerrissenheit der spanischen Gesellschaft nachstellt. Franco ist seit acht Jahren an der Macht, aber eigentlich tobt der Bürgerkrieg noch immer, und Regimegegner werden gejagt, gefoltert, getötet.
Erzählt wird uns die Geschichte aus der Perspektive des 9-jährigen Nino - etwas eigenwilliger, aber extrem wissbegieriger Sohn eines Polizisten. Als Mitglied der Guardia Civil gehört der Vater zu den blutigen Jägern, die in Francos Auftrag fürs Töten von Regimegegnern bezahlt werden. In Ninos Umfeld tummeln sich Pepe und Dona Elena, die für ihn als Bezugspersonen (auch emotional) ganz wichtig werden. Beide wecken Ninos Liebe zur Literatur – vor allem zu den Abenteuerromanen von Jules Verne.
Damit gerät Almudena Grandes’ kindliche Hauptfigur zwischen alle Stühle – auf der einen Seite der Vater, der in blinder Pflichterfüllung zum Mörder wird, dem gegenüber steht die Fantasie animierende Welt der Romane, die ihm durch Pepe und Dona Elena eröffnet wurde.

Wut, Verrat, Angst
Wut, Verrat, Angst, falsch verstandene Treue und blinder Hass prägen den Alltag im Dorf. Gut und Böse, Leben und Tod liegen hier nur eine Handbreit auseinander. Und doch klaffen zwischen der Kaserne, wo Nino mit seiner Familie lebt, und den Bergverstecken der Guerillas, der einstigen Helden des Bürgerkriegs, ideologische Welten. An der Schwelle zwischen Berg und Tal (dies ist eine gelungene Allegorie) siedelt Grandes als eine Art politisches Neutrum die Pepe-Figur an.
„Meine Erzählungen sollen die Leerstelle zwischen Legende und Geschichtsschreibung füllen“, hatte die spanische Autorin jüngst erklärt und im vorliegenden Roman Fakten und Fiktion munter miteinander verquirlt. Die Sprache des Roman ist zwar nicht adäquat für einen Neunjährigen, aus dessen Perspektive erzählt wird, aber künstlerisch scheint dies auch kaum umsetzbar zu sein, ohne Gefahr zu laufen, der Handlung die Ernsthaftigkeit zu rauben. Die innere Zerrissenheit und die gehörige Portion Naivität des Kindes sind dagegen als Blickwinkel äußerst reizvoll, vielleicht sogar die einzig mögliche Perspektive, mit der man sich der Erzählzeit halbwegs neutral nähern kann.
Almudena Grandes hat sich vor allem den Mechanismen der Diktatur gewidmet, in deren Dunstkreis sich beinahe zwangsläufig Fragen nach Anpassung oder Widerstand, Überzeugungstäter oder Mitläufer stellen und nicht selten blutige Risse Familien auseinander dividieren.
Am Ende ist „Der Feind meines Vaters“ nicht nur ein großartig erzähltes zeitgeschichtliches Panorama, sondern lässt sich auch ein Stück weit als Entwicklungsroman lesen, denn schlussendlich muss sich Nino entscheiden, auf wessen Seite er steht. Das ist emotional berührend, intelligent konstruiert und vor allem auch noch spannend zu lesen.
Da die spanische Geschichte des 20. Jahrhunderts bis hin zur Phase der „Transición“ (Übergang zur Demokratie nach Francos Tod) mit ihren fatalen Amnestiegesetzen noch auf ihre Aufarbeitung wartet, hat Almudena Grandes fraglos auch noch reichlich Stoff für ihre geplanten vier „Fortsetzungs“-Bände.

Almudena Grandes: Der Feind meines Vaters. Roman. Aus dem Spanischen von Roberto de Hollanda. Hanser Verlag, München 2013, 399 Seiten, 19,90 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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