Generalisierte Angststörung
Teil 13 - Veränderung durch Medikamente

Teil 13 – Veränderung durch Medikamente

Psychopharmaka machen etwas mit deinem Gehirn (auf lange Sicht jedenfalls). Im frühen 2019 gab es bei meinem alt bewährten Anti-Depressivum Lieferengpässe, vermutlich deswegen haben mir die Ärzte im Krankenhaus, in dem ich einige Zeit verbringen musste, ein anderes gegeben. Es ist ein anderer Wirkstoff und auch um einiges höher dosiert.
Und dieser Wirkstoff entfaltet nun seit einigen Monaten seine (ich nenne es mal) „wundersame Wirkungsweise“. Und zwar fange ich langsam an Dinge anders, … ein wenig intensiver zu fühlen. Das klingt nun wiederrum spektakulärer als es ist. Es ist ja nicht so das man eine Tablette nimmt und mit einem mal sieht man alles total klar. Wenn sowas passiert hat man vermutlich keine Psychopharmaka genommen sondern irgendeine illegale Droge.
Psychopharmaka entfalten (ich versuchs mal mit meinen Worten zu erklären) ihre Wirkung meist erst nach einem längeren Zeitraum der Einnahme. Und die ungewohnten Empfindungen passieren im Alltag auch nur Scheibchenweise.
Wenn ich z.B.früher eine Geschichte gehört oder miterlebt habe, hatte ich meistens Probleme die Reaktionen meines Umfelds nachzuvollziehen. Ich musste das immer erst mal gründlich durchdenken bis ich gedanklich zumindest auf einem ähnlichen Level war wie alle anderen. Während ich jetzt seit einigen Monaten öfter mal so „kleine Erleuchtungen“ habe und dann ganz erstaunt fest stelle: „Das hätte ich vor ein paar Jahren noch nicht so gefühlt.“
Will sagen, auf einmal kann ich (in manchen Momenten) meine Mitmenschen besser verstehen, … nachvollziehen was sie fühlen.

Wie klingt denn sowas in den Ohren eines seelisch gesunden? Das würde mich brennend interessieren!

Und nun erzähle ich, wie ich selber darüber denke.
Nun es ist verwirrend und faszinierend zugleich. Es ist als ginge plötzlich eine Tür auf, von der man vorher nicht wusste, dass man sie in sich trägt.

Mein Leben lang habe ich mir das Verhalten meiner Mitmenschen genau angeguckt, es auf Aktion und Reaktion analysiert und dann bei gegebenem Anlass imitiert.
Als passendes Beispiel fällt mir da meine alte Schulfreundin Britta ein.
So wie ich damals Freundschaft definiert hatte, war sie eigentlich gar keine Freundin, eher hätte ich sie als „gute Bekannte“ eingestuft (was aber keine Bewertung sein soll!!!). Sie war eines Tages einfach immer an meiner Seite, wenn ich in den Pausen über den Schulhof schlenderte. Das gute daran war, sie hielt das andere Mädchen eine Weile fern, das immer hinter mir her gelaufen war und mir ständig ein sehr böses Schimpfwort hinterher rief. Dieses Mädchen kannte mich gar nicht und ich habe bis heute keine Ahnung weswegen sie gerade mich zum quälen ausgesucht hatte.
Aber ich hatte schreckliche Angst vor ihr. Und diese Angst war so übermächtig das mir im Traum nicht eingefallen wäre sie einfach mal zu stellen und zu fragen, was die Scheiße eigentlich soll.
Nein ich lief lieber weiter meine Runde über den Schulhof und tat so, wie Mutter mir geheißen hatte, als würde dieses Mädchen mich gar nicht weiter stören.
Aber dieses Mädel klebte wie Pech an meiner Spur, egal wie schnell ich lief und „sang“ mir immer wieder dieses schreckliche Schimpfwort hinterher und das mit einer so ruhigen und gelassenen Stimmlage, dass es mich an eine gruselige Person aus einem Horrorfilm erinnerte. Und ich war mir damals sicher, dass alle Schüler an denen ich vorbei ging es mitbekamen, was da vor sich ging und ich fürchtete das sie allesamt über mich lachten und tratschten.
Mir zu helfen kam denen natürlich nicht in den Sinn, denn das hätte vermutlich nicht solchen Spaß gemacht.
Die Pausen waren seit jeher ein Problem für mich, aber seit dieses (Verzeihung) „Miststück“ mich verfolgte, waren die Pausen eine echte Tortur.

Nur die liebe Britta half mir. Ich weis nicht mehr wie es dazu kam und auch nicht warum sie im Klassenzimmer plötzlich neben mir saß. Vermutlich weil da auch Sandra und Claudia in der Nähe ihren Platz hatten und Britta mit ihnen befreundet war. Aber warum sie sich das antat mit mir die Pausen zu verbringen weis ich bis heute nicht. Aber ich war ihr sehr dankbar dafür!

Aber bei aller Freundschaft, Fairness und Dankbarkeit hatte Britta auch einen kleinen Nachteil: sie redete einfach unglaublich schnell. Es war ein bischen so als sei sie eine zu fest aufgezogene Spieluhr. Und sie kicherte fast nach jedem Absatz, der oft aus einer widersprüchlichen Anekdote bestand, was dann zu Brittas Belustigung führte.
Ich habe Brittas Geschichtchen wirklich geliebt und ich bemühte mich redlich mit ihrem Sprechtempo mitzuhalten. (=Das war die Imitation von der ich vorhin schrieb.)
Aber ich war nicht gut im Schnellsprechen, denn ich verhaspelte mich andauernd und ich musste zu lange überlegen bis meine Sätze im Kopf parat lagen und dann war Britta schon wieder an einer ganz anderen Stelle.
Nebenher fürchtete ich die ganze Zeit, sie könnte die Imitation bemerken und das wäre mir schrecklich peinlich gewesen.
Aber Britta hat mich eigentlich nie hängen lassen und es war schön zu wissen das da jemand war mit dem man sich ganz normal unterhalten konnte ohne ständig aufpassen zu müssen, was einem im Gespräch so raus rutscht.
So bin ich auch Sandra und Claudia etwas näher gekommen. Diese drei waren schon echt in Ordnung!
Immer wenn der Unterricht zu langweilig wurde, haben wir uns gegenseitig kleine Nachrichten geschrieben. So wie die Kids heute twittern oder whatsAppen, nur das wir das damals mit Papier und Bleistift erledigt haben.
Ich glaube ein paar dieser Zettel habe ich noch irgendwo gebunkert … irgendwo ganz unten (im Keller meiner Seele sozusagen ;-)

Und nicht nur deshalb bin ich froh, das ich die 7. Klasse wiederholen musste und dann in diese Klasse kam, denn hier waren alle ein wenig „entspannter“.

Aber um auf das Ursprungsthema zurück zu kommen:
seit ich die neuen Anti-Depressiva nehme, brauch ich mir Verhaltensweisen bei Leuten nicht mehr abzugucken, denn jetzt spüre ich selbst welches Verhalten angemessen ist und das ist schon ein kleiner Quantensprung*) für mich. Aber es ist ehrlich gesagt auch ein wenig befremdlich, zumeist immer dann wenn mir Begegnungen aus der Vergangenheit einfallen und mir heute auffällt, wie unangebracht ich mich damals teilweise verhalten habe und das geht leider nicht ohne Scham- und Schuldgefühle einher.
Ehrlich gesagt, ein wenig sogar vermisse ich den ursprünglichen Zustand … er war zwar denkbar unpraktisch aber dafür doch so vertraut und nun sehe ich diesen riesigen Scherbenhaufen, der sich „mein Leben“ nennt. Habe so oft falsche Entscheidungen getroffen. Bin links abgebogen statt nach rechts und das oft nur aus falschem Stolz und und Eitelkeit heraus.
Und das alles nur, weil ich es nicht besser verstanden / nein gefühlt habe

Anmerkung über den Quantensprung*) als geflügeltes Wort:
Der Begriff Quantensprung wird umgangssprachlich fälschlicherweise für einen großen Fortschritt verwendet. Doch bezeichnete er den kleinsten Sprung in der Natur, den die Gesetze der Quantenphysik erlauben. Der Physiker Max Planck entdeckte Anfang des 20. Jahrhunderts, dass im mikrophysikalischen Bereich Energie nicht kontinuierlich ausgetauscht wird, sondern in ganzzahligen Vielfachen von kleinen Quanten aus einem Quantenzustand in einen anderen, wobei es keine Zwischenzustände gibt.
Umgangssprachlich bezeichnet man mit dem Wort Quantensprung das, was früher als Durchbruch, Meilenstein oder technisch-wissenschaftliche Revolution bezeichnet wurde. Einen frühen Beleg für diese Verwendung findet sich im Jahr 1962 in der Aufsatzsammlung Homo Creator des Soziologen Wilhelm E. Mühlmann, der das Entstehen einer neuen Religion auf der Basis einer älteren mit einem historischen Quantensprung vergleicht. Mehr Belege finden sich im Englischen (quantum jump oder quantum leap). Vielleicht liegt es daran, dass das englische quantum auch große Menge bedeutet. Zum neuen Modewort führte wohl die Rückübersetzung aus dem Englischen.[5
Quelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/Q

Autor:

Imke Schüring aus Wesel

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