Offener Brief an die Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in NRW

Prof. Dr. Doris Elbers, Berlin
vormals Universität Dortmund
Fachbereich Sondererziehung und Rehabilitation
Lehrstuhl Berufspädagogik bei Behinderten

„Ihr Antrag: Zusammen lernen - zusammenwachsen. Eckpunkte für den Weg zur inklusij-ven Schule in NRw (Drucksache 16/119 v. 26.6.2012)

Meine Kritik: Sonderpädagogen verhindern Inklusion

Sehr geehrte [...],

mit Interesse habe ich Ihren Antrag gelesen, dem ich nicht zustimme. Die Landesregierung kann die seit März 2009 geltende UN-Behindertenrechtskonvention relativ schnell umsetzen. Aber man hat sie getäuscht und in eine Sackgasse gelenkt, sodass Korrekturen notwendig sind.

Es gibt in Deutschland zwei Versionen der UN-Konventlon, nämlich die originäre UN-Version und eine KMK-Version (KMK: Kultusministerkonferenz – CR). Nach der UN-Version braucht man für die Inklusion keine Sonderpädagogen (nur einige behinderungsspezifische Hilfen). Folglich muß man die Ausbildung zum,Sonderpädagogen einstellen. Nach der KMK-Version kann man die Inklusion nur dadurch ereichen daß man in den Regelschulen Sonderpädagogen einstellt bzw. dort die sonderpädagogische Förderung einführt. Ihr Antrag folgt der KMK-Version. Würde der Landtag zustimmen, würde die Inklusion in NRW unmöglich.

Sie, die Landtagsabgeordneten können jedes Umsetzungsprogramm beurteilen, indem Sie auf die Sekundarstufe II schauenu nd fragen: 'Kann das Kind, das diese Schule besucht, im Jugendlichenalter eine reguläre Berufsausbildung beginnen?' Bei der UN-Version lautet die Antwort 'ja,' bei der KMK-Version lautet sie 'nein.'

Die KMK-Version stammt von Sonderpädagogen, die mit der UN-Behindertenrechtskonvention vor dem beruflichen Aus stehen. Um das abzuwenden haben sie der KMK die andere Version als die richtige eingeredet, damit die KMK allen Bundesländern empfiehlt, in ihren Schulgesetzen diese Version, also das von den Sonderpädagogen Gewünschte zu verankern.

Der Unterschied zwischen den beiden Versionen ist groß. Die UN-Version meint mit Inklusion den Unterricht in derselben Klasse (Ausnahmen sind möglich). Sie hält alle Kinder für bildungsfähig und strebt eine gute Bildung für alle an (vgl. Artikel 24 (2) Buchstabe b). Die KMK-Version meint mit Inklusion den Unterricht in derselben Schule. Sie hält einen Teil der Kinder für nur 'beschränkt bildungsfähig,' die man daher in Sonderklassen unterrichten muss. Sie strebt für alle eine angemessene Bildung an (vgl. URL http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_11_18-Behindertenrechtkonvention.pdf). Daraus folgt für die Praxis:
- Umsetzung der UN-Version: Die Regelschule muss alle Kinder aufnehmen und nach Lehrplänen unterrichten. Sie muss für jene, die eine besondere Hilfe brauchen, diese Hilfen bereitstellen. Das Ziel ist eine gute Bildung für alle. In der Sekundarstufe II können die Jugendlichen eine reguläre Berufsausbildung beginnen.
- Umsetzung der KMK-Version: Die Regelschule muss ebenfalls alle Kinder aufnehmen. Da sie Sonderpädagogen einstellt, kann sie vom Lehrplan abweichen. Sie kann für bestimmte Schülergruppen Sonderklassen mit beschränktem Unterrichtsstoff einrichten. In der Sekundarstufe II wissen die Jugendlichen weniger als Gleichaltrige und können kaum eine reguläre Ausbildung beginnen.

'Das sollen sie auch nicht,' sagen Sonderpädagogen. Sie lehren und lernen, die meisten ihrer Schülerinnen und Schüler seien nur 'beschränkt bildungsfähig.' Sie seien 'Intelligenzgeminderte,' die man eigentlich nicht bilden, sondern nur gemeinschaftsfähig machen und nach der Schule in eine Behinderteneinrichtung lenken kann. Die KMK-Version ermöglicht die entsprechenden Sonderklassen.

Zusammengefasst passt die Sonderpädagogik nicht mehr in unsere Zeit, weder ihre Theorie noch ihre Sprache. Ihre Begriffe sind verwirrend. Sonderpädagogen sprechen von Kindern mit einem 'sonderpädagogischen Förderbedarf.' Kein Kind hat diesen Förderbedarf; manche haben einen behinderungsspezifischen Förderbedarf. Sie propagieren die 'sonderpädagogische Förderung,' doch die 'Geförderten' werden damit in ihrer Bildung behindert und aus der Gesellschaft ausgegrenzt.

Ich empfehle, auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention einen neuen Antrag zu formulieren. Dort dürfen die Begriffe 'sonderpädagogischer Förderbedarf' und 'sonderpädagogische Förderung' nicht auftauchen, weil man andernfalls die KMK-Version daraus ableiten könnte. Bei der Entwicklung des Antrags sollten Eltern behinderter Kinder und Menschen mit Behinderungen mitwirken.

Abschließend lege ich nahe, dem Landtag zu empfehlen in Übereinstimmung mit der UN-Behindertenrechtskonvention die Ausbildung zum Sonderpädagogen einzustellen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Doris Elbers“

Autor:

Dr. Carsten Rensinghoff aus Witten

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