Auf Spurensuche - Der Xantener Knabenmord

Herr Küppers mit der Original-Prozeßabschrift von der Verhandlung in Kleve, den Xantener Knabenmord betreffend.
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14. November 2012/ aktualisiert am 29.11.2012

Der Xantener Knabenmord im Jahre 1891 – Der wahre Mörder wurde nie gefunden.

Von Christel und Hans-Martin Scheibner

Dienstag, 18. September 2012, Klever Straße 23-25 in Xanten, frühere Bäckerei Küppers. Ganz in der Nähe war vor 121 Jahren am Peter- und Paulstag des 29. Juni 1891 Unfaßbares geschehen.

Fünf Kinder spielten an diesem Tag fröhlich vor der Metzgerei Buschhoff auf der Kirchstraße, der heutigen Rheinstraße. Gegen 10 Uhr wollte der fünfjährige Johann Hegmann nach den Kirschen sehen. Seither war er verschwunden. Erst am Abend um halb sieben fand man ihn in der Küpperschen Fruchtscheune, auf der Spreu vor der Wannmühle liegend, mit durchschnittener Kehle. Niemand hatte ihn schreien hören. Obduziert wurde er einen Tag später in Kleve.

Der sich seit Januar 2012 nach 45 arbeitsreichen Jahren aus gesundheitlichen Gründen im Ruhestand befindende Bäcker Hans Küppers erwartete uns schon. Seit 1816 war dies hier eine Bäckerei gewesen, nun hat er die Räumlichkeiten an den Betreiber eines vegetarischen Restaurants verpachtet. Sein Großvater Wilhelm Küppers war damals 20, als er von der Magd Dora Moll zu dem Ermordeten gerufen wurde. Hans Küppers lernte ihn jedoch nie kennen, da dieser schon 1951 starb, während er erst 1952 geboren wurde, konnte ihm also nicht mehr über das damalige Geschehen befragen. Schon im Alter von 15 Jahren verlor er seinen Vater, welcher ihm vielleicht noch etwas über die Hintergründe hätte erzählen können.

Als Mörder verdächtigte man sehr schnell den jüdischen Metzger, Viehhändler und Grabmalhersteller Adolf Buschhoff, Vorbeter der Jüdischen Gemeinde Xanten. Auftakt für erneutes Aufflammen des Judenhasses, auch wenn es heißt, Christen und Juden hätten bisher einträchtig miteinander gelebt. Man bewarf die Häuser der Juden mit Steinen, das Haus der Familie Buschhoff wurde niedergebrannt. Der Begriff „Schächterschnitt“ im Zusammenhang mit dem Mord an dem Kind wurde vom Metzgermeister und Viehhändler Junkermann neu erfunden. Obwohl Adolf Buschhoff nach einem beispiellosen Schauprozeß am 14. Juli 1892 freigesprochen wurde, vertrieb man ihn und sämtliche anderen Juden aus Xanten, hielt man die Tat doch immer noch für einen jüdischen Ritualmord.

Schon als Jugendlicher erwachte bei Hans Küppers das Interesse an dem Geschehen in der Küpperschen Scheune, doch bis er sich näher damit befaßte, sollten noch viele Jahre vergehen. Dann bekam er zur Silberhochzeit das 517 Seiten umfassende Original der Prozeßabschrift aus dem Jahre 1893 geschenkt, wovon es weltweit nur noch zwei Exemplare gibt. Das zweite soll im Besitz eines jüdischen Vereins in Amerika sein. "Leider bin ich bisher noch nicht dazu gekommen, es ganz zu lesen", bedauerte Herr Küppers. "Ich habe seit der Bäckereischließung zwei schwere Operationen hinter mir und 30 kg abgenommen!"

Nach Aufgabe seiner Bäckerei suchten ihn nicht nur Zeitungsreporter, sondern sogar ein Fernsehteam auf. Zudem erhält er des öfteren Besuch von Kindergruppen, welche ihn nach den damaligen Ereignissen befragen. Auch unsere Fragen beantwortete er mit sehr viel Geduld, zeigte uns alte Fotos - ein Zeittor öffnete sich. Speziell für diesen Artikel durften wir diese historischen Bilder ablichten.

„In den Medien heißt es, sie begeben sich auf Spurensuche, um den wahren Mörder zu finden. Was halten die Xantener von Ihren Nachforschungen, es leben doch sicher noch viele Nachfahren der Zeitzeugen hier im Ort? Sogar ein Vorfahr eines nahestehenden Verwandten oder guten Bekannten könnte als Mörder entlarvt werden!"

Hans Küppers: "Ganz so, wie es in den Medien berichtet wird, ist es nicht. Es geht mir nicht darum, den Mörder zu finden, was ich nach so vielen Jahren nicht nur für sehr schwierig, sondern im Grunde für unmöglich halte. Ich möchte lediglich Näheres über diesen Fall in Erfahrung bringen, der sich damals in unserer Scheune ereignete. Es liegt mir fern, irgendjemandem wehzutun, wenn dieser erfahren würde, einer seiner Verwandten sei der Mörder des kleinen Johann gewesen. Ich halte es auch für unwahrscheinlich, daß der Metzger Adolf Buschhoff der Täter war."

"Können wir davon ausgehen, daß Sie dann auch den 1968 erschienen Tatsachenroman von Willi Fährmann "Es geschah im Nachbarhaus – Geschichte eines Verdachts“ gelesen haben, in welchem er diesen Fall, wenn auch mit teils geänderter Namensgebung, schildert?"

Hans Küppers: "Aber sicher, dieses Buch habe ich sogar schon mehrfach gelesen!"

"Es heißt, der Tatort sei die Küppersche Fruchtscheune gewesen. Zum Zerkleinern von Obst und Stroh lag immer ein langes, breites Häckselmesser bereit, und vermutlich wurden hier auch landwirtschaftliche Kleingeräte wie Spaten, Hacken, Sensen, Sicheln, Gartenmesser etc. aufbewahrt, denn zu dem Anwesen gehörte auch ein Garten. In der Scheune war eine Schaukel angebracht, sicher ein Anziehungspunkt für Kinder. Können Sie uns mehr über diese Scheune erzählen ?"

Hans Küppers: "Eine Photographie von dieser Scheune hing im Cafe meines Großvaters. Zu ihr hatte man Zugang auch von den Stallgebäuden her. In dieser Scheune wurde in der oberen Ebene Getreide, mittig das Mehl, unten Obst eingelagert. Sicher hat dort auch mal einer der Kinder den einen oder anderen Apfel oder auch einmal eine Birne stibitzt. Auf dem Boden lag immer Spreu, die sogenannte Kaff. Sie rührte vom Mahlen des Getreides in der Wannmühle her, vor welcher man den Jungen fand. Mit solch einer Mühle reinigte man das Getreide, das heißt, man befreite es von Spelzen, Grannen, Stengelteilen etc.. Tagsüber war die Scheune offen, abends verriegelte man sie von innen. Normalerweise herrschte sowohl im Hof als auch in der Scheune immer Betrieb, doch am Mordtag war Feiertag, um 10 Uhr ging man zum Hochamt, und an diesem Tag fand auch ein Freundschaftsspiel statt. Die Gefahr, bei diesem Mord überrascht zu werden, war also eher gering. Die Scheune wurde dann in späteren Jahren nur noch als Hühnerstall genutzt und irgendwann zu einer Backstube umgebaut. Sie existiert noch, möchten Sie sie sehen ?"

Zusammen gingen wir in den Hof, wo sich heute noch das Gebäude befindet. Hinter diesem Tor hatte also vor 121 Jahren ein unbekannter Mörder seine grausame Tat vollbracht! Er zeigte uns auch, wo sich Ecke Kirchstraße/Porteweg (Torstraße) früher die niedergebrannte Metzgerei Buschhoff befand. Dort wurde wieder neu gebaut. Das Grabdenkmal des Johann Hegmann ziert ein dem Knaben verblüffend ähnlich sehender Engel – Zufall oder gewollt? Es ist zusammen mit weiteren historischen Grabmälern auf dem Xantener Kommunalfriedhof nahe der Friedhofskapelle zu finden. Das Kindergrab wurde 1969 eingeebnet und neu belegt.

"Mein ist die Rache, spricht der Herr!" ist auf diesem Stein zu lesen. So sieht es auch Herr Küppers. "Man soll die Vergangenheit ruhen lassen, einen schlafenden Hund nicht wecken, wie es in einem Sprichwort heißt. Gott kennt den Mörder!" Dies den Lesern zu vermitteln, ist Herrn Küppers eine Herzensangelegenheit.

Diesen Beitrag finden Sie - eingekürzt sowie leicht abgeändert - auch in der folgenden Printausgabe des Xanteners:

6424 - Nr. 46 - 24. Jahrgang - Mittwoch, 14. November 2012

Hier der Link zu meinem ergänzenden Beitrag vom 11.09.2012 nebst weiterführenden Informationen:

http://www.lokalkompass.de/xanten/kultur/der-xantener-knabenmord-ein-duesteres-kapitel-der-stadtgeschichte-d209149.html

Autor:

Hans-Martin Scheibner aus Xanten

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