Wundersames Blind Date
Das wundersame Blind Date - Lehrstück für einen Geschäftsmann

Blind Date
Man traf sich in einem Restaurant in der Innenstadt. Der erfolgreiche Geschäftsmann mit einer gut gehenden Werbeagentur hatte Schwierigkeiten gehabt, dieses Date in seinem knappen Terminkalender unterzubringen. Es war ein Blind Date, wie er so viele gehabt hatte und es bewies ihm seine Präsenz auf dem Markt. Vielleicht gab es ja eine kleine Affäre.
Für größere Angelegenheiten fehlte ihm einfach die Zeit. Erstaunt war er schon, als er die Dame sah. Sie sah in ihrem wallenden Rock wie ein übrig gebliebenes Hippie-Mädchen aus, trug aber ein sehr nettes Oberteil dazu. Doch ihre Schuhe waren unmöglich, flache undefinierbare Treter. Er selbst hatte bewusst ein legeres Outfit gewählt, schwarze Jeans und ein gut gebügeltes Hemd.
Seine braunen Designerschuhe schienen eigentlich nicht dazu zu passen. Man speiste. Sie aß wenig, langsam, während er alles gierig in sich hineinstopfte. Schließlich hatte er den ganzen Tag kaum etwas gegessen.
„Einen Wein?“ fragte er. „Nein, ein Glas klares Wasser. Das genügt mir.“ Missbilligend betrachtete er sie und hatte Lust, zu provozieren. Irgendwie hatte sie ja einenbesonderen Charme, doch er wurde nicht schlau aus ihr.
Auf ihren Lippen lag immer ein leicht spöttisches Lächeln, das er nicht deuten konnte. Ihm schien, als käme sie aus einer fremden Welt. Sie hatte bestimmt keinen Termindruck gehabt, den er am Nachmittag verspürte.
Sie strahlte Ruhe aus, doch das mochte täuschen. In letzter Zeit dachte er häufig darüber nach, wie sein jetziger Stand im Leben sei, jetzt, wo er fast alles erreicht hatte und dennoch weitere Ziele verfolgte. Ansonsten hätte er sich wohl nicht auf diese Person eingelassen, die so gar nicht in seinem Frauenschema entsprach. Ein leichter Ärger machte sich in ihm breit.
„Du willst also keinen Wein zum Essen?“ fragte er sie. „Bist du jetzt damit authentisch?“ Nach einer Weile fügte er hinzu:
„Weißt du, ich habe keine Lust, Prinzipien zu reiten. Es langweilt mich. Ich benutze meine Ideen und Bilder, um fest zu sein, stark zu sein, schnell zu denken. Zeit ist Geld. Das verschafft Sicherheit. Und das bringt den Erfolg eines zufriedenen Lebens. Und ich trage mein Selbstbewusstsein auch nach außen. Du hingegen lebst in einer Traumwelt, in der Abgeschiedenheit von Realität, rosarot, und willst nicht begreifen, dass das Leben Kampf ist, den es zu gewinnen gilt.“
Das war ein massiver Angriff, aber sie ging ruhig damit um.
„Ja“ sagte sie „Ich lebe mehr im Innen als Außen. Ich benötige nicht das, was mir die Gesellschaft als das verkauft, was ich zu benötigen hätte. Ich träume Träume und will sie nicht missen und lasse mir den Blick auf die Dinge als solche nicht zerstören, auf die Schönheit, die jedem Ding innewohnt und auf eine kindliche Freude darüber.
Wenn ich mich den Alltagsgiften, und ich halte sie für Gifte, entziehe, sehe ich mehr.
Die Zeit? Was spielt sie für eine Rolle? Man versucht, sie zu zählen, was unmöglich ist. Die Natur, das Universum lässt sich nicht zählen.“ 
„Ja“ sagte sie, eigentlich mehr zu sich selbst „Das, was in mir ist, hast du den Konventionen geopfert, dem Kampf. Es lässt dich stolz sein auf deinen Erfolg, auf Leute, mit denen du verkehrst, Restaurants, die du besuchst, Frauen, die du verführst… Und doch weichst du dir selbst in einer Art Maskerade aus.
Fragst du dich manchmal: - Bin ich oder habe ich? Habe ich Einkommen, Geld, Status, Erfolg, Anerkennung und Sicherheit? Habe ich Ziele, Pläne, Projekte?
Oder bin ich zufrieden, glücklich? -
Die Rose blüht nur ein einziges Mal, der Himmel ist exakt nur einmal so wie heute Abend, wie in diesem Moment. Das Leben, unverwechselbar jeder Augenblick, ist auch nur einmal genau so erlebbar.
Zu wertvoll, als es mit unnützen Dingen zu vergeuden. Leben ist ein Geschenk und öffnet sich in der Stille. Ihm gebührt ein Schutz, auch dem Verborgenen, dem Versteckten, Nicht – Zugelassenen. Und in deinem Kern steckt vielleicht mehr Sehnsucht als du zugeben würdest, pocht in den Adern, durchdringt die Fassade und strömt.“
Sie war bei diesen Worten nicht spöttisch gewesen, eher klangen sie wie die naive Einfachheit eines Kindes. Und doch berührten sie ihn.
Er konnte und wollte nicht versuchen, es auszudiskutieren oder mit seiner Ratio eine Gegenposition aufzustellen. Man musste es so stehenlassen.
Seine anfänglichen Gedanken, eine nette Nacht mit ihr zu verbringen, würden bei dieser Frau nicht fruchten. Er war etwas ratlos und nach dem Essen verabschiedete man sich schon bald. Als er sie zur Bahn gebracht hatte und durch die mit Menschen gefüllte nächtliche Stadt ging, verlangsamte er seine Schritte, sog die kühle Nachtluft ein und fragte sich:
- Ist die Wahrheit einfach? -

 (  Foto aufgenommen in der Bochumer Ubahn. )

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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