Die Begegnung
Religionen sind gleich - gleichen Ursprungs - nur Menschen bauen Grenzen

Die Geschichte ist schon etwas älter, man muss aber sagen, sie berührt immer noch, gerade jetzt,  den Nerv der Zeit, gerade heute in der Zeit der Unversöhnlichkeit, die an allen Ecken hervortritt, ob in Deutschland, Europa,  oder in vielen Gegenden der Welt.
Samir - die Begegnung
Die Sonne schien wunderbar warm an diesem frühherbstlichen Tag und in der Innenstadt vergnügten sich Alt und Jung mit Eis, Pommes oder dem nicht zu umgehenden Shopping. Ich saß in einem Café und scherzte mit der Bedienung. Sie hatte mir versehentlich zu wenig Geld berechnet und ich kam ich auf die Idee: „Sollen wir es verhandeln?“ Wir lachten.
Gut gelaunt grinste ich einen vorübergehenden Mann an, nickte ihm zu, ohne dabei Gedanken zu hegen, stand auf und betrachtete den Springbrunnen auf dem Platz. Und ging.
Der Mann folgte mir und sprach mich an: „Do you speak English?“ – „Äh, yes“. Er km aus Syrien, und zwar mit dem Boot, einem Fischerboot. “You are a boat people?”staunte ich. Ich hatte einiges über diese grausame Behandlung der Flüchtlinge gehört. „We started in Egypt, Alexandria, 200 people. “ – „Terrible. “ – „We played with our lifes”. Nun lebte er mit Freunden zusammen und ich konnte mir denken, wie sie lebten, in einem oder wenigen Zimmern, zusammengedrängt mit Leuten, die alle versuchten, Asyl zu bekommen.
Ich erzählte: „I have been to Syria, many years ago. I drove by car in a convoy directly to Damaskus. Then I stayed at a family and some times at Libanon, Beirut. “– „ And you liked Syria? “ - “ Oh yes. And Palmira, the antic place. “ Eine gewisse Verbindung zwischen unseren Ländern entstand nun. Ich hatte mich damals mit arabischen Studenten auf dieses Abenteuer begeben, christliche Studenten der orthodoxen Kirche.
Dieser Mann war schön, circa 1.90 groß, um die 40, muskulös und gut gebaut mit tiefschwarzen großen Augen und lackschwarzen Haaren. Und arabisch zuvorkommend „You are dammed good looking. “ – „And you are sexy and charming. “ Eine erste Hürde der Höflichkeit hatten wir nun genommen, Komplimente ausgetauscht.
Er begleitete mich zur U Bahn Station und stieg dann zu meiner Verwunderung mit in die Straßenbahn. „I accompany you.“ Oh Gott, was hatte ich da angerichtet? Nahm er diese lockere leichte Begegnung ganz anders auf als ich? Jetzt musste ich nachdenken, gleichzeitig aber nett und freundlich sein, ihn nicht vor den Kopf stoßen. Er schien etwas verstört, als ichihm sagte, mitkommen könne er aber nicht, doch wir tauschten Telefonnummern. Dann sah ich zu, dass er mit der gleichen Bahn, mit der wir gekommen waren, wieder zurückfuhr.
Seiner Ansicht nach, so erklärte er, habe es in Syrien zunächst eine friedliche Demonstration gegeben. Dann wurde Militär eingesetzt, und militante Gegengruppen. Der Westen hetzte ja gegen die islamischen Aufständischen, unterstützte sie aber gleichzeitig mit Waffen.
Außerdem, so sagte er, seien nicht alle Araber radikal islamgläubig, das sei eine Propaganda des Westens.
Am nächsten Tag schrieb er eine SMS: „When am I going to see you? Or don`t you want to see me anymore? “
Oh , was sollte ich tun? Ich hätte ihm ja gerne geholfen, ihn beim Ankommen im Westen unterstützt, doch... Trotzdem verabredeten wir uns mit meiner Bitte, eher einem ausdrücklichen Befehl „- No Sex! “– „Ok, no Sex. “ Vor meiner Haustür traf mich dann der Schalk und ich warnte ihn: „ Upstairs there are five Jews, who want to kill you. “ Eine sehr seltsame Art von Humor.
In früheren Zeiten, so sagte ein arabischer Philosoph, sei der Orient führend und expansiv gewesen, mit vielen anerkannten Wissenschaften, die in den Westen übertragen worden wären, doch seit der Zeit von Mohammed sei etwas im arabischen System stehen geblieben.
Europa hätte sich durch die Aufklärung vom Orient involviert, einen Fortschritt des Denkens verzeichnet. Im übrigen würde nun auch die Bibel mehr in ihrem historischen Kontext gesehen, doch Araber übernähmen unhinterfragt den Koran in die jetzige Zeit. Dieser Philosoph war sehr religiös und wünschte sich einen Dialog mit gegenseitiger Akzeptanz.
Wenn die Wirklichkeit nicht überprüfbar war, erzeugten manipulierte oder als wahr dargestellte Bilder Identitäten und Ideologien zu einer vorgeblichen Sicherheit.
Ernst Jünger erzählte aus dem Krieg von russischen Gefangenen, die aus Schweinetrögen fraßen und die die Deutschen daher als Untermenschen verachteten. Sie hatten keine andere Wahl, waren halb verhungert.
Ging es in die Köpfe nicht hinein, dass man einen Feind nur hassen und töten konnte, wenn man ihn zuvor als Feind ausgemacht, ihm das Bild eines Feindes übergestülpt hatte?
Das Leid auf der Erde war maßlos, es war kaum auszuhalten, wie die auf dem Mittelmeer geschundenen ertrinkenden Flüchtenden. Gerade junge Männer, die diffamiert und abgeschoben werden sollten, da sie nicht in die westliche Gesellschaft passten, erlebte ich in Bus und Bahn als äußerst freundliche und hilfsbereite Mitbürger.
Durch den westlichen Hochmut reicher Länder hatten sie ihre Heimat verloren und Europa, vor allem Deutschland, als ein Paradies vorgegaukelt bekommen, in dem alle gut leben konnten. Meine Rechnung zeigte den Widespruch. Eine meiner Spritzen nach jeder Chemo trug mit 1.500,-€ zum Profit des Gesundheitswesens bei und gleichsam ertranken im Mittelmeer Hunderte gesunder junger Männer, Kinder und Frauen, die kein europäisches Land aufnahm, abgewehrt von Ländern, die ihre „Human Rights“ so großartig verkauften. Die westliche Politik hatte ihre Heimat zerbombt, ihre Systeme lahm gelegt und war nun nicht bereit, die Verantwortung der Schäden und des Elends zu übernehmen.
Wie unser Gesundheitswesen der monitären Stabilisierung diente, so dienen diese Nicht - Aktionen für unsere Brüder und Schwester der Destabilisierung der Humanität auf diesem Planeten.
Mein Besucher, diese dunkle Schönheit, war ein gläubiger Moslem und ging jede Woche in die Moschee. Wir versuchten ein gegenseitiges Verstehen der Religionen zu erreichen.„Im Koran steht, ein Mann darf seine Frau schlagen?“ – „Er darf den Arm nicht wirklich erheben, nur einen kleinen Klaps geben. Die Frau bei uns ist das Kostbarste, was ein Mann hat. Und eine Frau ist schwach.“
„Na ja,“ dachte ich. Nach einem Einwand sagte er: „Körperlich schwach im Gegensatz zu Männern. “– „Aber darf sie ausgehen, sich mit anderen treffen? “ - „Warum sollte sie?“ – „Wenn sie zum Beispiel studiert und mit anderen lernt?“ – „Ja, dann“ sagte er, aber es klang nicht sehr überzeugend. Dann offenbahrte er die Regeln, so wie sie er sie sah. „ Eine Frau darf nur mit ihrem Vater, Großvater, Onkel, Sohn, Neffen oder Cousin reden.“ erklärte er. Also gab es doch noch eine strenge Geschlechtertrennung, sah ich. „Und kleine Mädchen werden mit 12 oder 14 verheiratet?“ – „Nur in armen Familien, dann werden sie mit einem reichen alten Mann verheiratet. In der Mittelschicht ist das nicht so. Da kann man sich eine Frau einen Mann nach Gefallen aussuchen. Meine Frau fuhr in Syrien auch Auto. Wir hatten ein großes Haus und zwei Autos, alles zerbomt, alles weg." Er hatte in einer großen westlichen Firma garbeitet, gehörte, wie ich es einschätzte, zu den begüterten Menschen dort.
Er befürwortete die Regeln des Korans, unterschied aber einen gesetzlich verordneten Islam in den Verfassungen islamischer Länder und einem wirklich religiösen Leben. Eigentlich, so wünschte er sich ein weltweites auf dem Ur-Koran gegründetes Reich. Es sei eine Friedensreligion, denn Töten sei nicht erlaubt und die fünf Regeln hießen: Nicht töten, Nicht stehlen, Nicht schlecht über andere reden, Keinen Sex vor der Ehe, Keinen Alkohol.
Doch dann schien er den Koran und die Regeln zu vergessen und beugte sich mit dunklem fordernden Blick über mich. Ich verschränkte die Arme und schrie ihn an. „Entweder du setzt dich oder du gehst!“ Er ging, im strömenden Regen, ohne Schirm.
Später besuchte er mich sogar im Krankenhaus, sehr schüchtern, denn für einen arabischen muslimischen Mann war eine Frauenstation, ein Frauenzimmer, eine Zumutung. Mittlerweile waren seine Frau und sein Sohn in Deutschland eingetroffen, nicht über das Wasser, diese Tortur hätte er niemals zugelassen.
Er rief oft an und ich ging nicht ans Telefon. Erwischte er mich doch, wurde das Gespräch eher peinlich, verzögernd, nichtssagend. Ich hatte ganz bewusst eine Grenze gezogen, denn es war an mir, die Grenze zwischen Mann und Frau und die Grenze innerhalb der Kulturen zu ziehen. Außerdem   hätte ich nicht in eine Ehe gegrätscht, egal, wer und wo und was.
Ich ließ es auslaufen, dachte ich. Nein das stimmte nicht so ganz. Da er mich nicht aus dem Kopf bekam, immer wieder anrief, ließ ich eines Tages einen Freund auf ihn antworten, sehr bestimmend und eigentlich sehr gemein. Die Hilfe eines Mannes, eines deutschen Mannes, war mir entgegen gekommen. Ich war also doch nicht so emanzipiert, wie es hier im sekularen Westen erwartet wird. Verzeih, du dunkler Schöner, aber...
Verzeihung braucht es in und zwischen allen Religionen, und eine umfassende universale Friedensreligion täte Not, denn wer will behaupten, seine Religion sei die einzig richtige?

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.