Humorgeschichte
Skurriles Erleben oder ganz normal?

Dieser Raum ist scheußlich! So eiskalt weiß.
Der Boden aus hellgrauem Linoleum. Pflegeleicht, würde sie sagen.
Sie liegt vor mir, rot und aufgedunsen, zuckt, wird von Krämpfen gepackt, wirft sich auf, sinkt in die Laken. Jetzt ein gellender Schrei – und unter ihr hat sich eine klare Flüssigkeit ausgebreitet, die vom Bett auf den grauen Boden schwimmt.
Keuchen, Japsen, manchmal wimmert sie. Ihre blonden Haare kleben strähnig und schweißnass an der Stirn. Als ich sie wegstreichen will, ist meine Hand genauso nass. Und kalt. Um mich herum versinkt der Raum im weißen Nebel. Ich schwanke. Nur nicht umkippen, denke ich, und versuche, ruhig zu atmen.
Sie stöhnt, hechelt wie ein Hund, der zu lange die Beute gejagt hat.
„Schneidet mich auf!“ schreit sie mit irren Augen. Sie badet in einem Meer aus Schweiß, zuckt mit den Beinen, dem Becken. Um sich Halt zu geben, stemmt sie die Beine auf, zieht die Knie an.
Weiße Gestalten huschen um sie herum, beachten mich nicht. Ich möchte ihre Hand halten, aber ihre Hände sind zu Fäusten geballt.
Sie war so sanft und weich. Wie konnte ich ihr das antun?
Ihr Schreien und Stöhnen wird lauter, schriller. Wird sie je wieder normal werden, geht es mir durch den Kopf und ich weiß, dass das dumm ist.
Im Zeitraffer rasen Lebensbilder an mir vorbei. Ihre rosige Anmut beim ersten Kuss, hinten im Taxi. Das Venusfunkeln über dem grünblauen Meer mit den schweigenden Anglern, dem Wellengesang.
„Spürst du die Ewigkeit?“ hatte sie gefragt.
Und dann unser Liebemachen im Tannenwald. Sie wollte oben liegen, weil die Nadeln ja so pieksten. Und wegen der Ameisen.
Die Studentenbude mit den vollgestopften Ikearegalen, die
Küchenfliesen rot gesprenkelt von „Spaghetti Bolognese“. Ihre Kräuter auf dem Balkon. Mit einem Esslöffel häufte sie ganz vorsichtig die Erde in kleime Kästen.. Hatte immer schmutzige Fingernägel.
Nach dem Arztbesuch war ihr Blick, hoffend, zögernd, strahlend bis in die tiefsten Poren. Ich nahm sie in die Arme, doch mir war etwas mulmig dabei.
Jetzt bin ich überflüssig, ein Statist. Sie ist mit sich selbst beschäftigt. Plötzlich ein lang gezogener Schrei aus tiefster Kehle wie ein mörderischer Orgasmus. Dann ist sie ruhig, sinkt erschöpft und ermattet in die Kissen. Versucht ein Lächeln. Ich trockne ihre schweißnasse Stirn.
Die weiße Gestalt überreicht mir ein nasses schleimiges Bündel.
Ich drücke es vorsichtig an mein Hemd.
„Mit kaltem Wasser ausspülen.“ sagt der Arzt.
Ich halte sie in den Armen – meine Tochter.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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