DWNRW 2016: Event genießt noch Welpenschutz

Spricht man hierzulande von der deutschen Digitalwirtschaft, meint man häufig Entwicklungen, die in Bayern, in Berlin oder allenfalls noch in Hamburg verortet sind. Von NRW dagegen spricht in diesem Zusammenhang eigentlich niemand. Grund genug für unsere Landeslenker, mit einer großgedachten, flächendeckenden Initiative hier jetzt mal eine Trendwende anzustreben.

Sichtbarstes Zeichen dieses „neuen Denkens“ soll der DWNRW-Summit als neuer Topevent der Branche werden. Die erste Ausgabe dieser Veranstaltung ist am Freitag im innovativen Sanaa-Kubus auf dem Gelände der geschichtsträchtigen, denkmalgeschützten Zeche-Zollverein über die Bühne gegangen. Der vorliegende Beitrag wagt ein erstes, zartes Fazit.

Über den dringenden Bedarf einer erfolgreichen Initiative für die Digitalwirtschaft an Rhein, Ruhr und Werse gibt es vermutlich keine zwei Meinungen. Immerhin 800 Interessierte hatten sich für den Auftakt in Essen akkreditiert und lauschten gebannt, was da nun mit Unterstützung von Landesregierung und Schlüsselindustrie zur besseren Wettbewerbsfähigkeit der Region auf den Weg gebracht werden soll. Belohnt wurden sie mit großzügiger ministerialer Präsenz, für die sich der zuständige Ressortchef Garreit Duin immerhin den gesamten Tag abzwackte, wie auch mit etwas Silicon Valley- und Primetime-Spektakel, für das Uber-Kommunikator Christopher Burghardt und Löwenhöhlen-Chef Frank Thelen sich verantwortlich zeichneten.

Doch bereits die launige Anmoderation des durch die gesamte Veranstaltung führenden Duos Annica Hansen und Prof. Dr. Tobias Kollmann ließ schnell spüren, dass dies weder eine Veranstaltung von noch für „Digital Natives“ werden würde. Vielmehr wirkte es, als müsse man sich – gemeinsam mit seinem Auditorium – noch kurzerhand darauf einschwören, gemeinsam die ersten unbeholfenen Schritte in eine bis dato noch weithin unbekannte Welt zu unternehmen. Dabei galt es Fachchinesisch bitte dringend zu vermeiden und dennoch ein möglichst natürliches Selbstverständnis für die sich zunehmend digitalisierende Welt, die sich offenbar schlicht in Old Economy und Startups einteilen lässt, zur Schau zu stellen. Ein Ansatz, der sich über den kompletten Tag und alle Programmpunkte hinweg behauptete.

Inhaltlich blieb man – vielleicht auch deshalb – an vielen Stellen nur allzu deutlich an der Oberfläche gefangen und fernab dessen, was in den digitalen Epizentren unseres Planeten gegenwärtig konzipiert und ausgebrütet wird. Daran vermochte auch die wenig hippe Startup-City, die wie eine uninspirierte Kongressmesse im Hosentaschenformat daherkam, nichts zu ändern. Uninspirierte, studentische Ich-AGs versammelten sich zum munteren Stelldichein digitaler Einfallslosigkeiten. Dreien von ihnen blieb es vorbehalten, sich im Rahmen einer lokalen Ausgabe der „Höhle des Löwen“ vor versammeltem Publikum die Aussichtslosigkeit Ihrer Vorhaben unter die Nase reiben zu lassen und dabei um einen Trostpreis von 5.000 Euro wettzustreiten. Dabei spricht es Bände, dass die Siegeranwendung klassisch redaktionierte Bewerbungsunterlagen lediglich über einen Onlineshop vertreibt. Und dass die Stimmauszählung dieses Publikumswettbewerbs komplett händisch über das Zählen gedruckter Stimmzettel in einer Sammelbox erfolgte. Da braucht sich von der digitalen Transformation in NRW wirklich niemand ernsthaft bedroht fühlen.

Wie man sieht, wäre es wohl ein leichtes, den DWNRW-Summit 2016 kurzerhand in der Luft zu zerreissen. Der Event lieferte hierzu totsichere Steilvorlagen gleich im Dutzend. Und dennoch wird man den Initiatoren dieses ersten Branchentreffens so nicht gerecht und erhält kein vollständiges Bild von der Veranstaltung. Denn es gab eben auch die anderen Momente, die ahnen lassen, wohin die digitale Reise in unseren Breiten tatsächlich einmal führen könnte. Allen voran ist hier sicher Thomas Görner zu nennen. Der Geschäftsführer des Düsseldorfer Filialunternehmens Foto Koch hat den traditionsreichen Familienbetrieb in einem extrem belasteten Marktumfeld mit großer Innovationskraft zu einem flexiblen mittelständischen Multichannel-Unternehmen umgekrempelt, dass sich im Kampf mit den Consumer-Electronic Riesen diesseits und jenseits des Internets geschickt zu behaupten vermag. Ein Beispiel, dass dem gebeuteltem und zu schweren Depressionen neigenden Einzelhandel als Vorbild dienen sollte, die eigenen Möglichkeiten mutig neu für sich zu entdecken und zu entwickeln. Getreu dem von Görner mitgegebenen Motto: „Wer nicht an Morgen denkt, den gibt es Morgen nicht mehr.“ Vollkommen zu recht durfte sich Foto Koch für diesen bewiesenen Mut mit einem der am Abend verliehenen Summit-Awards ehren lassen.

Ohne Preis, aber nicht weniger eindrucksvoll, präsentierte sich Philipp Kriependorf, der sich mit seinem Startup auxmoney immer bequemer in der deutschen Fintech-Branche einrichtet. Als Crowdlending-Company gewährt das Unternehmen auf Basis einer selbst entwickelten und eigenständigen Scoringanalyse auch dort noch erfolgreich Kredite, wo die klassischen Bankhäuser aufgrund der üblichen Bonitätsbetrachtungen und -mechanismen längst ausgestiegen sind. Ein Geschäft, in dem inzwischen Umsätze in dreistelliger Millionenhöhe von den Anlegern in Richtung der Nachfrager bewegt werden.

Doch um den Boden für innovative Gründungsideen auch über den erfolgreichen Einzelfall hinweg nachhaltig zu bereiten, braucht es vor allem auch die notwendigen Spielflächen. Zeit, Raum und Geld müssen – unabhängig von den Anforderungen des Tagesgeschäfts – für die Entwicklung und Erprobung neuer Vorhaben bereit stehen. Mit dem AXA Innovation Campus in Köln und Schacht Eins, der „digitalen Werkbank“ der Haniel Gruppe in Essen, präsentierte der Summit gleich zwei Beispiele, wie so etwas in einer Region funktionieren kann, die grundsätzlich über ein enormes Potenzial an Wirtschaftskraft und akademischem Nachwuchs verfügt.

Zusammengefasst lässt sich festhalten: Grünkohl und Bergmannschor gegen Canapés und Avant-Garde Pop kann grundsätzlich funktionieren. Und vielleicht ist es sogar der bessere Weg, um die „Old Economy“ in Sachen Digitaler Transformation erfolgreich abzuholen und mitzunehmen. Aber er sollte künftig mit noch mehr Mut und Entschiedenheit beschritten werden, wenn NRW ein ernsthafter Wettbewerber im Streben um die nationale Vormachtstellung und damit im Kampf um die größten Talente in der Digitalwirtschaft werden möchte. Bereits heute verfügt das Bundesland über eine enorme Innovationskraft, sei es im Bereich der Roboterentwicklung und künstlichen Intelligenz, sei es in der Logistik oder auch der Medizintechnik. Und es verfügt in seinem Herzen, dem Ruhrgebiet, über mehr 25 Jahre Erfahrung im Strukturwandel einer sich in Gänze verändernden Gesellschaft. Kombiniert mit einer nach wie vor starken Wirtschaftskraft und mehr als 600.000 Studenten in der Region, sind das genau die Pfunde, die man gegen die kapitalüberladenden Luftschlösser Berliner Startupschmieden ins Feld schicken sollte. Denn die digitale Transformation ist kein Sprint nimmersatter Anlage-Broker mit postwendendem Return-on-invest. Sie ist der Marathon einer sich global grundlegend verändernden Gesellschaft. NRW hat genügend Potenzial, um sich in diesem Wettbewerb mit breiter Brust dem nationalen und auch internationalen Rennen zu stellen. Und der DWNRW-Summit könnte genau der Ort werden, in der man alljährlich seine digitalen Champions der breiten Öffentlichkeit präsentiert und andere damit zum Mitmachen anspornt. Ohne Hippster-Attitüde und viel Schischi, aber bitte mit ein wenig mehr Herz und Leidenschaft. Denn das braucht es, wenn man erfolgreich zum Aufbruch anstiften will.

Autor:

Ralf Koyro aus Bochum

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