Hörsaal-City: Erinnern unter Stress

Mit dem Thema „Wie Stress unsere Erinnerungen beeinflusst“ stieß auch der dritte Vortrag der neuen Staffel von „Hörsaal City“ als Bürgervorlesung im „Haus der Geschichte des Ruhrgebiets“ auf eine große Resonanz.

Initiiert von der Ruhr Universität Bochum nutzten am vergangenen Mittwoch, 23.11.11 zahlreiche Bochumer die Informationsveranstaltung von Prof. Dr. Oliver Wolf von der Fakultät Psychologie, Abteilung Kognitionspsychologie, um Wissen zu erweitern oder eigene Erfahrungen bestätigt zu finden.
Auf eingängige Weise vermittelte Prof. Wolf die Definition von Stress sowie dessen Auswirkungen auf das Lernverhalten, auf die Konsolidierung von Wissen, auf dessen Abruf und dessen Wirkungen auf zielgerichtetes menschliches Verhalten.

Stress definiert sich einfach ausgedrückt als Ungleichgewicht zwischen Belastung und Entlastung, zwischen Aufgabe und empfundener Möglichkeit einer Bewältigung und somit durch das Vorhandensein von Fertigkeiten im Umgang mit den Anforderungen des Lebens. Zufriedenheit ist dann gegeben, wenn sich Belastung und Entlastung die Waage halten.
Ausschlaggebend für belastend erlebte Situationen seien heute vorwiegend psychosoziale Faktoren. Die Unsicherheit bezüglich geltender Regeln in unbekannten Situationen, eine permanent erforderliche Neuorientierung, die gefürchtete Bewertung durch die Mitmenschen und Termindruck würden zunehmend stressig erlebt, der soziale Status als bedroht angesehen, führte der Referent aus, um im Anschluss zu erklären, was genau unter Stress geschieht.

Seine Erläuterungen machten deutlich, dass die Lern- und Gedächtnisleistungen in engem Zusammenhang zur Ausschüttung der körpereigenen Hormone Adrenalin und Cortisol stehen. So führt ein belastendes Ereignis zunächst zu einem raschen Anstieg des Adrenalinspiegels. Der Organismus reagiert u.a. mit schnellerem Herzschlag, Schwitzen oder Zittern und wird auf bevorstehendes Handeln wie Kampf oder Flucht vorbereitet.
Für die in Verbindung mit Stress einsetzende Beeinflussung der Gedächtnisprozesse ist die anschließend verzögerte Freisetzung von Cortisol verantwortlich. Die drei Phasen der Gedächtnisleistung „Einspeicherung“ von Wissen (Lernen), „Verfestigung“ als auch unbewusst weiterlaufendes Verankern des Erlernten (Konsolidierung) und „Abruf“ des Erlernten erfahren dabei durch Stresssituationen unterschiedliche Veränderungen.

So erinnere man sich grundsätzlich besser an zentrale Aspekte des Erlebens, wenn damit Emotionen verbunden sind, erklärte Prof. Wolf. Emotional aufwühlende Ereignisse seien trotz der damit einhergehenden Belastung eher abrufbar, als solche, die emotional weniger erregen. Die mit dem Ereignis verbundene Stressreaktion führe zu einer gesteigerten Festigung im Gehirn.
Solle jedoch z.B. in einer Prüfung Zugriff auf zuvor Erlerntes erfolgen, so führe der zu diesem späteren Zeitpunkt auftretende Stress dazu, dass der Abruf schlechter wird. Man hat zuvor gelernt, könne sich unter der belastenden Situation jedoch schlechter erinnern.

Unter Stress erfährt jedoch nicht nur die Gedächtnisleistung, sondern auch das zielgerichtete Verhalten eine Veränderung.
Wer unter akutem Stress stehe, verliere die Flexibilität und verfalle automatisiert in die Gewohnheiten, die Sicherheit vermitteln. Verhalten könne dann nicht angepasst werden. Eingefahrene Gewohnheiten würden reflexartig abgespult, selbst wenn sie negativ seien.
Wer schon mit der fristgerechten Fertigstellung einer Arbeit unter Termindruck stand, mag festgestellt haben, dass in einer solchen Phase ein Umorganisieren eingefahrener Arbeitsschritte nicht möglich ist. Statt sich auf eine neue, möglicherweise zügigere Variante des Arbeitens einzulassen, wird die bewährte Arbeitsmethode beibehalten, auch wenn sie mehr Zeit benötigt.
Mit dem Wissen des Zurückfallens in eingefahrene Gewohnheiten und somit in unter Umständen nachteilige Verhaltensweisen kann es sinnvoll sein, wichtige Entscheidungen nicht unter Stress zu treffen, sondern solange zurück zu stellen, bis unter einsetzender Entspannung wieder zielgerichteter entschieden werden kann.

Dass Veränderungen des Gehirns mittlerweile durch bildgebende Verfahren belegt sind und die unter Stress veränderte Gedächtnisleistung insofern nicht nur subjektiv erlebt wird, wurde zum Ende des Vortrags deutlich. Chronisch anhaltender Stress führt zu einer Veränderung der Gehirnstrukturen, indem das Furchtzentrum anwächst, während die Gedächtnisregion deutlich schrumpft.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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