Erzählung, Literatur, Bosche, Lagerlöf
Besonderes zur Weihnachtszeit und Selma Lagerlöf

Foto: fairytale.de
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Besonderes zu Weihnachten
Weihnachten, einmal als Zeit der Besinnlichkeit gedacht, hat sich im Laufe der Zeit geändert. Wo ist sie hin, die Ruhe und Bedächtigkeit.
Doch immer noch gibt es sie: die Weihnachtslieder, das Licht der Kerzen, die süssen Kekse, die Märchen. Ihnen zu lauschen hat etwas Besonderes, etwas faszinierendes. Nicht nur für Kinder, nein, gerade für Erwachsene. Hier steigt die Erinnerung an die Kindheit auf: an eine Großmutter, die noch erzählt hat, an Schallplatten und Kassetten, die so oft und so lange gehört wurden, bis die Schallplatten verkratzt und die Bänder verwurstelt waren.
Doch Daniel Glattauer sieht auch noch etwas Anderes:
Wer zu Weihnachten nicht streitet, versäumt eine ideale Gelegenheit. Zu keiner anderen Zeit gibt es eine solche Bandbreite von Streitanlässen: Wer wird eingeladen, wer bekommt welches Geschenk, was wird gekocht und gesungen? Und vor allem: wie wird gesungen? Lasst uns also den ebenso schonungslosen wie liebevollen Versuch unternehmen, mit Humor Ordnung in die vielfältigen Weihnachtskrisen zu bringen und das Absingen populärer Weihnachtslieder familienfreundlich zu gestalten.
noch eine Bitte: "Erzählt, oder lest Geschichten vor. Den großen und den Kleinen. Ihr könnt es und werdet sehen: Es macht glücklich"
Mit diesen Worten wünsche ich allen ein gutes, gesundes, zufriedenes und friedliches Weihnachtsfest und eine besinnliche Adventszeit.

Die Heilige Nacht aus: Selma Lagerlöf, Gesammelte Werke, Christuslegenden
Bearbeitung: Gerhard P. Bosche

Als ich fünf Jahre alt war, hatte ich einen großen Kummer. Ich weiß kaum, ob ich seitdem einen größeren gehabt habe.

Das war, als meine Großmutter starb.

Bis dahin hatte sie jeden Tag auf dem Ecksofa in ihrer Stube gesessen und Märchen erzählt.

Ich weiß es nicht anders, als dass Sie dasaß und erzählte. Vom Morgen bis zum Abend und wir Kinder saßen still neben Ihr und hörten zu. Das war ein herrliches Leben. Es gab kein Kind auf der Welt, dem es so gut ging wie uns.

Ich erinnere mich nicht an sehr viel von meiner Großmutter. Ich erinnere mich, dass sie schönes, kreideweißes Haar hatte und dass Sie sehr gebückt ging, und dass Sie immer dasaß und an einem Strumpf strickte.

Dann erinnere ich mich auch, dass Sie, wenn Sie ein Märchen zu Ende erzählt hatte, mir ihre Hand auf den Kopf legte: “Und das ist so wahr, wie du mich siehst und ich dich.“

Ich entsinne mich auch, dass Sie schöne Lieder singen konnte. Aber das tat Sie nicht oft. Ein Lied handelte von einem Ritter und einer Meerjungfrau und es hatte einen Kehrreim: „ Es weht so kalt, es weht so kalt, wohl über das weite Meer ....“

Von allen den Geschichten, die Sie mir erzählte, habe ich nur eine unklare Erinnerung. Nur an eine einzige von ihnen kann ich mich so gut erinnern, dass ich sie erzählen möchte. Es ist eine kleine Geschichte von Jesu Geburt.

Sehen Sie, dass ist beinahe alles, was ich noch von meiner Großmutter weiß. Außer dem woran ich mich am besten erinnere: den großen Schmerz den ich hatte, als sie dahinging.

Ich erinnere mich an den Morgen, als das Ecksofa leer stand und es unmöglich war zu begreifen, wie die Stunden des Tages zu Ende gehen sollten. Daran erinnere ich mich. Das vergesse ich nie.

Und ich erinnere mich, dass wir Kinder hingeführt wurden, der Toten die Hand zu küssen. Wir hatten Angst es zu tun, aber jemand sagte uns, es sei die letzte Möglichkeit Ihr für all die Freude zu danken, die sie uns gebracht hat. Und ich erinnere mich, wie Märchen und Lieder davonfuhren; in einen langen schwarzen Sarg gepackt, und niemals wiederkamen. (Melodie: es weht so kalt....)

Ich erinnerte mich, dass etwas aus meinem Leben verschwunden war. Es war, als hätte sich die Tür zu einer schönen, verzauberten Welt geschlossen, in der wir früher frei ein und ausgehen durften. Nun gab es niemanden mehr, der sich darauf verstand, diese Tür zu öffnen. Unterdessen habe ich gelernt, diese Tür selbst zu öffnen.

Und ich erinnere mich, dass wir Kinder so langsam lernten mit Spielzeug zu spielen.

Wie die anderen Kinder auch. Da konnte es den Anschein haben, als vermissten wir Großmutter nicht mehr, als erinnerten wir uns nicht mehr an Sie.

Aber noch heute, nach über fünfzig Jahren, wacht diese kleine Geschichte von Jesu Geburt in mir auf und ich bekomme Lust, sie zu erzählen.

Es war an einem Weihnachtstag. Alle waren zur Kirche gegangen, außer Großmutter und mir. Ich glaube, wir beide waren im ganzen Haus allein. Wir hatten nicht mitfahren können, weil der eine zu jung, die andere zu alt war. Und alle beide waren wir betrübt, dass wir nicht zur Weihnachtsmette fahren und all die Lichter sehen konnten.

Aber wie wir so in unserer Zweisamkeit saßen, fing Großmutter zu erzählen an:

„Es war einmal ein Mann, der in die dunkle Nacht hinausging um sich Feuer zu leihen. Er ging von Haus zu Haus und klopfte an: „ Liebe Leute, helft mir. Mein Weib hat ein soeben Kindlein geboren und ich muss ein Feuer anzünden um Sie und das Kind zu wärmen.“

Aber es war tiefe Nacht. Alle Menschen schliefen und niemand antwortete ihm.

Der Mann ging und ging. Endlich entdeckte er in weiter Ferne einen Feuerschein. Da wanderte er in diese Richtung und sah, dass das Feuer im Freien brannte. Eine Menge Schafe lagen rings um das Feuer und schliefen und ein alter Hirt saß am Feuer und wachte. Als der Mann, der Feuer leihen wollte, zu den Schafen kam, da sah er, dass drei große Hunde bei dem Hirten lagen. Und wie er bei den Schafen ankam, wachten die Hunde auf. Sie hoben ihre Köpfe und begannen zu bellen, aber kein Laut kam aus ihren Mäulern. Da sprangen sie auf, rannten auf den Mann zu und wollten ihn anfallen. Ihre Kiefer jedoch gehorchten ihnen nicht und sie konnten ihm nichts anhaben.

Nun wollte der Mann näher an das Feuer, aber die Schafe lagen so dicht beieinander, dass er keinen Weg zwischen ihnen finden konnte. Da stieg er auf ihre Rücken und ging darüber, ohne das die Schafe erwachten oder sich regten.“

„Als der Mann fast beim Feuer angelangt war, sah der Hirt auf. Es war ein alter, mürrischer Mann, der unwirsch und hart gegen alle Menschen und sich selbst war. Als er den Fremden kommen sah, griff er nach seinem langen Hirtenstab und warf ihn nach ihm. Der Stab fuhr zischend durch die Luft. Gerade auf den Mann zu. Aber ehe er ihn traf, wich der Stab zur Seite, an dem Fremden vorbei und weit über das Feld.“

“Nun kam der Mann zu dem Hirten:“ Guter Mann, leih mir ein wenig Feuer. Mein Weib hat soeben ein Kindlein geboren und ich muss Feuer machen um sie und das Kind zu erwärmen!“ Der Hirt hätte am liebsten nein gesagt, aber als er daran dachte, dass die Hunde dem Mann nicht schaden konnten, dass die Schafe nicht erschreckt aufgesprungen waren als er über ihre Rücken ging und das der Hirtenstab ihn nicht fällen wollte, da wurde ihm ein wenig bange und er wagte nicht dem Fremden abzuschlagen was er begehrte: „Nimm, soviel du brauchst“ und er freute sich, dass das Feuer ganz heruntergebrannt war und der Fremde weder Schaufel noch Eimer hatte um von der glühenden Holzkohle etwas mitnehmen zu können. „Ja, nimm nur soviel du brauchst!“ Der Mann aber griff mit den Händen in die Glut und packte in seinen Mantel, soviel er brauchte, ohne dass er sich Hände oder Mantel brannte. Gerade so, als wären es Äpfel oder Nüsse.

Als dieser Hirte dies alles sah, begann er sich zu wundern: „He, Mann, was ist das für eine Nacht, wo die Hunde die Menschen nicht beißen, die Schafe nicht erschrecken, die Lanze nicht tötet und die Glut nicht sengt?“

„Ich kann es Dir nicht sagen, wenn du es selbst nicht siehst.“ Und er ging seiner Wege um seiner Frau und dem Kind endlich das Feuer zu bringen.

Der Hirt aber war neugierig geworden und folgte dem Mann, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er wollte doch wissen, was dies bedeute.

Bald kamen sie dorthin, wo der Mann nächtigte. Da war aber kein Haus oder eine Hütte. Da war eine Berggrotte, dort lagen sein Weib und das Kind. Nichts gab es als nackte, kalte Felswände.

Als der Hirte das sah, meinte er, dass das Kind dort in der Grotte erfrieren müsse. Und obgleich er ein harter Mann war, so holte er aus seiner Tasche ein weiches, warmes Schaffell und gab es dem Mann, er möge das Kind darauf betten.

In demselben Augenblick, als er Barmherzigkeit zeigte, wurden ihm die Augen geöffnet. Er sah, was er vorher zu sehen nicht im Stande war und es waren ihm die Ohren geöffnet so dass er hörte, was er vorher nicht hatte hören können:

rings um ihn her stand ein Kreis von Engeln und sie sangen von der Geburt des Heilands, der die Welt erlösen solle.

Da begriff er, warum in dieser Nacht alle Dinge sich anders verhielten, als gewöhnlich. Es herrschte eitel Jubel und Freude und Singen in dieser Nacht, in der er vorher nichts hatte erkennen können. Und er wurde froh, dass ihm Augen und Ohren geöffnet waren.“

So erzählte Großmutter und legte mir ihre Hand auf den Kopf: „Und das ist so wahr, wie Du mich siehst und ich Dich sehe. Nicht auf Lichter und Lampen kommt es an und es liegt nicht an Mond und Sonne. Was Not tut ist, dass wir Augen haben, die die Wunder sehen können.“

Autor:

Gerhard P. Bosche aus Dinslaken

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