Literatur Hotel Preis 2012: "Erdbeerzeit" von Kristina Pauli

"Erdbeerzeit"

Schnipp.
Gedankenverloren schneide ich die Blütenansätze von den Erdbeeren und schnippe sie auf den Kompostteller. Schnipp. Diese Leere. Diese Wut. Diese Traurigkeit. Schnipp.
Sie hatten dir noch ein halbes Jahr gegeben. Das war im März. Jetzt ist Juni. Schnipp. Aber deine Zeit war gekommen. Und du bist gegangen. Schnipp. Vor einer Woche.
Schnipp. Den Kindern haben wir vom Himmel erzählt. Das klingt doch plausibel: „Der Uropa ist jetzt im Himmel.“ Und sie wollten es ganz genau wissen. „ Gibt es da Spielzeug?“ „ Ganz bestimmt.“ „ Und wird er da bald 90?“ „ Nein, da bleibt man wie man ist.“ „ Auch krank?“ „ Nein.“
Schnipp. Das hast du gewusst, da bin ich ganz sicher. Du hattest keine Angst. Schnipp. Du hattest alles geregelt. Schnipp. Und vorher hast du gelebt. Dein Leben gelebt. Mit allen Facetten. Ein erfülltes Leben. Du hast es genossen und aus allem das Beste gemacht. Konntest fünf gerade sein lassen. Und zur Tiefkühlpizza deinen guten Rotwein trinken.
Schnipp. Du konntest über den Dingen stehen. Dich hat nichts und niemand aus der Ruhe gebracht. Auch dein Hausarzt nicht. Was hast du über den gelacht! Dieser Jungspunt, kaum halb so alt wie du. Der deinen Gruß “Morituritesalutant“ nicht verstanden hatte. Lernen die eigentlich heute kein Latein mehr?
Schnipp. Und deine Fröhlichkeit war ansteckend. Kein Fest ohne dich. Du gehörtest zum harten Kern. Brachtest alle zum Lachen. Hast am liebsten noch das Saallicht ausgemacht. Ein Kind von Traurigkeit warst du nie. Du hast dein Leben ausgekostet. Bis zum Schluss. Und zum Senioren-Tanztee wolltest du nicht. Da sind ja nur alte Leute.
Schnipp. „Mama, wir wollen die Erdbeeren holen!“ „Bin noch nicht fertig.“ Schnipp. „Hast Du Sahne?“ „Nein.“ Schnipp. „Sahne macht dick, deshalb.“ „Wenigstens Eis?“ „Nein. Macht auch dick. Nehmt ihr Joghurt?“ „Wenn´s sein muss.“ Schnipp. „Dürfen wir naschen?“ „Später. Ich komme gleich.“ Schnipp. Sie trollen sich. ich kann sie durch das Küchenfenster sehen. Quirlig. Erwartungsvoll. Lebendig.
Schnipp. Gedankenverloren stecke ich die letzte Beere in den Mund. Mit einem Lächeln trage ich die Schüssel in den Garten. Gibt es auf dem Markt morgen wohl wieder noch Erdbeeren? Ich werde schnell mal hinfahren. Dann kaufe ich eine große Packung Vanille-Eis dazu. Und zwei Becher Schlagsahne!

Autor:

Janutschka Perdighe aus Dinslaken

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