Literatur-Hotel-Preis 2012: Harald Gerhäußer "Ewiger Friede"

Harald Gerhäußer

Es war einmal ein kleines Tiervolk, das in einem bescheidenen Fuchsbau sein Quartier bezogen hatte. Es war schon lange dort angesiedelt, deswegen sprach man gewöhnlich von ihm als dem Land der Fuchsier. Es bewohnte den Wald schon bevor der große Tierstaat Vanitien es allmählich umschloss. Vanatas, der Herrscher von Vanitien, beäugte das Volk mit eitler Missgunst, aber auch mit Bewunderung, die er stetig vor seinem Volk verbarg.

Das Fuchsierreich konnte selbstständig existierten und hegte kein Interesse an den Nachbarstaaten. Möglich war diese Souveränität, weil sich das kleine Volk im Gegensatz zu den großen Staaten nicht nur aus einer Rasse zusammengefunden hatte. Kleintiere, Nager, Sammler und kräftige Lasttiere ergänzten sich. Da sich der Staat zu einer Zeit entwickelt hatte, in der keine Bedrohung durch angrenzende Völker bestand und die Ressourcenlage üppig war, hatte es keine Orientierung über die Grenzen des Staates hinaus gegeben. Es hatte noch nicht einmal Grenzen gegeben. Durch die Vielfalt an verschiedenen Charakteren fand sich zudem für jedes Problem ein Mitglied in der Gemeinschaft, das eine Lösung wusste. Jeder kannte seine Aufgabe und niemand wollte den anderen verändern, weil man wusste, dass man auf den einzelnen angewiesen war.

Vanatas missfiel die Unabhängigkeit des kleinen Völkchens zunehmend, weil seine Staatsgrenzen nicht nur Fuchsien umschlossen, sondern auch er von anderen Reichen umringt war. Er war von wahren Aggressoren umkreist, so dass sein Reich im immerwährenden Krieg um die Aufrechterhaltung der äußeren Grenzen war. Aus diesem Grund zeigte er sich einerseits froh um die friedliche Koexistenz mit den Fuchsiern, weil er sich keinen weiteren Kriegsgegner hätte leisten können. Andererseits ärgerte es ihn, dass die Fuchsier sein Reich nicht als Schutzwall verstanden und keine Handelsbeziehung mit ihm eingehen wollten. Denn das Handwerk des Tiervolks war von beneidenswerter Qualität. Würden seine Waffen aus den Schmiedefeuern der Fuchsier geformt sein, so wäre der Krieg bald beendet. Davon war Vanatas überzeugt. Er suchte das Gespräch mit den demokratischen Kongressen der Fuchsier, konnte aber außer Kopfschmerzen in diesen Gremien der Einzelmeinungen nichts für sich erreichen. Die Fuchsier lächelten müde, wenn er vom großen Geld sprach, weil sie nicht wussten, was sie damit hätten kaufen sollen. Weder Geld noch der Begriff Arbeit war ihnen schlüssig. Sie produzierten nur für den Eigenbedarf und beendeten den Arbeitstag nach dem Mittagessen, um sich hernach auf dem großen Dorfplatz zu versammeln und die Sonne zu genießen. Vanatas versuchte Ihnen die Größe und Weite der großen Reiche schmackhaft zu machen und zeigten dem Ältestenrat des kleinen Reichs, dass ein großes Volk den einzelnen auch mal aus der Verantwortung nehmen kann, da immer ein anderer da ist, der die Aufgabe genauso gut übernehmen könne.

Der Ältestenrat antwortete darauf, dass das kleine Volk wunderbar funktioniere, weil jeder das mache, was er könne und jeder so sein dürfe, wie er möchte. „Niemand muss bei uns einen anderen ersetzen, weil man das nicht kann. Solange alle glücklich sind und gerne hier wohnen, braucht man auch nicht mehr Platz, braucht es keine Veränderung“, so der älteste Sprecher des Ältestenrat.

Als Vanatas davon begann, dass er bedroht sei und er sich erhoffe, dass er Hilfe von dem kleinen Staat bekomme, weil er ihn auch vor den Aggressoren beschützte, verabschiedete der Ältestenrat ihn mit den Worten: „Wir sind das älteste Volk in diesem Wald und hatten noch nie Krieg. Wir sind nur an uns interessiert und wahrten unsere Grenzen, indem wir sie nie überschritten haben. Wir haben weder das Bedürfnis größer zu werden noch haben wir Reichtum. Räuber und Aggressoren haben uns immer als Kuriositätenkabinett betrachtet. Wer raubt den Zirkus aus, der ihn amüsiert?“

Vanatas wusste, er würde mit Rhetorik nichts erreichen. Deshalb zog er sich mit seiner Frau an einen Weiher zurück. Er wusste, dass sie weiß, wie die Strippen zu ziehen waren.

Nach der Ratsphase ordnete Vanatas an, dass den reichsten Männern und den schönsten Frauen aus dem Volk Bauland direkt an der Grenze rund um Fuchsien geschenkt wurde. Man zog die Soldaten aus den äußeren Grenzgebieten ab, erklärte den Aggressoren den Frieden, indem man sie mit Schutzgeldern bestach und streute zwischen den Aggressoren durch Boten und Späher Unfrieden, so dass sie in ihrer Kriegsführung für einige Zeit mit sich selbst beschäftigt waren. „Du musst die Bedürfnisse der Fuchsier wecken, dann werden sie von selbst am Handel teilnehmen“, hatte Vanatas‘ Frau als Plan festgesetzt.

Nachdem die ersten großen Häuser Schatten auf die Grenze von Fuchsien warfen, die schönen Frauen ihre Wäsche in den Wind hangen und der Duft von teuren Parfums und exquisiter Küche über den Dorfplatz des kleinen Tierreiches wehte, wurde das Interesse an den neuen Grenzbewohnern mit der Zeit immer größer. Vanatas nahm mit Freude zur Kenntnis, dass nach nur einem halben Jahr die erste Vermählung einer Vanitierin mit einem Fuchsier stattfand. Er beschenkte den Bräutigam so sehr, dass dieser fortan nur noch aus Pflichtgefühl seine Arbeit in Fuchsien verrichtete. Dem Beispiel folgten viele seiner Landsmänner und –frauen, so dass sich die Grenze allmählich von selbst aufweichte und gemeinsame Interessen nicht mehr von der Hand zu weisen waren. Dem Ältestenrat missfiel die Entwicklung, aber man war sich der Freiheit als wichtigstes Gut noch immer bewusst und so lange jeder weiterhin seine Fähigkeiten einbrachte, solle jeder mit seiner Freizeit das tun, wonach ihm beliebte, war der Staatsräson weiser Schluss.

Vanatas aber arbeitete weiterhin an seinem Plan, den großen Frieden zu besiegeln und begann den Frauen und Männern seines Volkes, die sich mit Fuchsiern und Fuchsierinnen vermählt hatten, die Bedeutung dieser Hochzeiten aufzuzeigen. So war es nur noch eine Frage der Zeit, dass die ersten Fuchsier in ihrer Freizeit ihr handwerkliches Geschick auch für Vanatas einsetzen. Vanatas Waffenarsenal wuchs stetig und er war sich sicher, den großen Schlag bald durchführen zu können. In Fuchsien sah man die Arbeit der vermählten Mitglieder ungern, man beriet sich aber, Vanatas diese Tätigkeiten nicht abzuschlagen, weil auch im Ältestenrat der Vorzug des Geldes und der Besuch vanitienischer Edeldamen die Bedürfnisse verlagert hatten.

Der Plan war aufgegangen. Fuchsien produzierte am Morgen für den eigenen Fortbestand und am Nachmittag für Vanatas‘ Planwirtschaft. Durch den Export der halbtägig produzierten Waren erlangte das Geld und die Arbeit den üblichen Stellenwert im Volk der Fuchsier. Vanatas ließ die Lohnbeutel prall füllen und deckte nahezu jedes Bedürfnis, das ihm zu Ohren kam. Mit der neuen Zeit zeigten sich auch neue Probleme in Fuchsien: Für Rechtsstreitereien mussten Gerichte geschaffen werden. Der Druck der Produktion ließ Fuchsier krank werden, worauf war man nicht vorbereitet war. Wieder wuchs die Abhängigkeit, weil man die ärztliche Hilfe der Vanitier in Anspruch nehmen musste. Nach anderthalb Jahren drohte Vanatas‘ Plan ins Wanken zu geraten. Es war zum ersten Mal in der tausendjährigen Geschichte von Fuchsien zu einem Mord gekommen, der Grund war ein Geldstreit gewesen. Vanatas wusste nun, dass es an der Zeit war, den Friedensplan zu Ende zu bringen. Er zog seine Truppen an die äußeren Grenzen und ließ sie sich auf den Krieg vorbereiten.

Vanatas fast zweijährige Vorbereitungsphase war von einer solchen Konzentration auf den kleinen Tierstaat gewesen, dass er blind für die Entwicklungen in seinem eigenen Land geworden war. Die Großzügigkeit, die er erst seinen schönen und reichen Bürgen hatte zu Teil werden lassen, und mit der er die Fuchsier überschüttet hatte, hatte die Loyalität der schlechter gestellten Bürger im eigenen Volk geschwächt. Vanatas hatte übersehen, dass die Bürger in den äußeren Grenzgebieten seines Reiches mit derselben Bedürftigkeit in das Land der Agressoren schielten wie die Fuchsier vor fast zwei Jahren auf den Reichtum seinen Landes geschaut hatten. Vanatas hatte die wichtigen Landstriche, auf die er jetzt seine Truppen zog und sie damit weiteren Entbehrungen aussetzte, zu lang vernachlässigt.

Was er in seiner List an der inneren Grenze erreicht hatte, war an der äußeren Grenze zu seinem Verhängnis geworden. Nicht nur einzelne Bürger seines Reiches waren insgeheim zu den Aggressoren übergelaufen, sondern auch seine Späher und Boten hatten sich zu Berichterstattern der Feinde machen lassen. Der große Friedenskrieg war zu einer Falle geworden. Denn durch das Überlaufen der Späher hatten die Aggressoren von dem Reichtum in der Mitte des Landes erfahren und sich in diplomatischen Sitzungen zusammengeschlossen. Noch vor der Schlacht hatten sie Vanitien und Fuchsien gerecht unter sich aufgeteilt und vereinbart, dass die beiden Völker in der Mitte des Landes künftig als Sklaven dem Reichtum der Großen dienen sollten.

So war außerhalb von Vanatas‘ Reich der Frieden längst beschlossen. Die Aggressoren hatten die Loyalität der Grenzbevölkerung mit dem Freispruch von der Sklaverei gewonnen. Und man wartete nur geduldig auf den Tag, an dem Vanatas die Messer wetzen würde, um dann genügend Sklaven und Reichtum in der Mitte des neuen Reiches zu besitzen, um den Harnisch endgültig vor die Wand zu stellen. Denn auch die Kriegsvölker waren des Sterbens müde geworden und wollten den Müßiggang üben.

Vanatas Kopf war einer der ersten, der in der Schlacht fiel. Sein ältester und ergebenster Feldherr hatte sich ihm mit dem gezogenen Schwert sogleich von hinten genähert, als Vanatas den Befehl zum Angriff gegeben hatte. Die fortwährende Treueeinforderung bei gleichbleibendem Lohn hatte den Feldherrn in den letzten zwei Jahren rasend gemacht. Er hatte den Aggressoren unter einer einzigen Bedingung die Treue versprochen: Nur, wenn Vanatas durch sein Schwert abgeschlachtet würde, nur dann würde er sich den Aggressoren unterordnen. Zeitgleich mit dem Beginn der Schlacht, so ordnete der Feldherr seine persönliche Rachefeldzug an. Die Schlacht war nach Vanatas‘ Tod schnell geschlagen. Man trieb die Krieger in Gefängnisse und gab dem Kriegstreiben erst dann ein Ende, als Vanitien und Fuchsien mit einem Zaun umschlossen waren, so dass keiner der Sklaverei entfliehen konnte.

Vanatas war immer von Zweifeln beseelt gewesen. Er hatte sich vor dem großen Friedenskrieg ein Familiengrab errichten lassen, denn er war eines Morgens mit einer Ahnung erwacht. Darin sah er sein Land in Flammen stehen und das einst glückliche Volk der Fuchsier unter Schweiß und Tränen an Ketten arbeiten. Vanatas wusste, dass er den Krieg nicht überleben würde, käme es, wie er es vorausgesehen hatte. Er ließ seinen Grabstein als Mahnmal errichten, um seinem Tod wenigsten den Hauch eines Nutzens abzutrotzen. Auf den Grabstein wurde eingemeißelt: Einen Zufriedenen zu verändern, ist die sträflichste Tat auf Erden. Frieden kann einer nur mit sich selbst machen. Fuchsien verzeih mein eitles Sein, dass dich verändern wollte und ewigen Unfrieden über dein Volk gebracht hat.

Vanatas Mahnmal hatten die Besatzer gefunden und zur Belustigung der Sklavenwärter vor der Hauptbaracke des Sklavenlagers aufgestellt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lachen sie noch heut‘.

Harald Gerhäußer ist 1982 geboren und wuchs in Leonberg bei Stuttgart auf. Er studierte Komparatistik, Germanistik und Linguistik an der Universität Tübingen. Das Jahr 2010 verbrachte er in der Europäischen Kulturhauptstadt Ruhr.2010 als Autor im Rahmen eines Kunstprojekts. Seit 2010 ist er Gründer und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Richtungsding. Derzeit lebt er in Bochum als freier Journalist und Pressereferent.

Autor:

Günter Hucks aus Dinslaken

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