Salami-Taktik - Ein Interview

Kabarettist und Pianist Matthias Reuter. Foto: Veranstalter.
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Der Kabarettist und Pianist Matthias Reuter gastiert am 20. September mit seiner legendären „Reuteratur“ um 19 Uhr im „Victor Hugo“, Neustraße 26 in Dinslaken. Hier eine kleine Kostprobe:

Journalist:
Herr Minister Schweininger, Sie haben vor eineinhalb Monaten gesagt…

Politiker:
Daran habe ich keine Erinnerung.

Journalist:
Ja, Sie wissen ja überhaupt nicht, was ich Sie fragen wollte.

Politiker:
Das ist ja auch nicht relevant, da ich ja an den Sachverhalt keinerlei Erinnerung habe. Insofern können Sie fragen, was Sie wollen.

Journalist:
Nun gut. Ich habe hier ein Gesprächsprotokoll vom, indem Sie sagen, dass Sie den Waffenversandhändler Drahter weder kennen noch jemals mit zusammengetroffen sind.

Politiker:
Das war zum damaligen Stand der Veröffentlichungen sicherlich auch meine persönliche subjektive Wahrheit. Allerdings kann ich mich daran nicht erinnern.

Journalist:
Sie waren aber mit Herrn Drahter und seiner Frau im Urlaub.

Politiker:
Ach, Mensch, Sie wissen doch, wie das bei so Hotelurlauben ist: man trifft sich morgens kurz beim Frühstück und hat die ganzen Leute schon nach einer Woche wieder vergessen. Außerdem ist meine Erinnerung generell…

Journalist:
…eher lückenhaft, ja. Aber Herr Drahter hat ausgesagt, dass sie gemeinsam in einem Haus gewohnt haben.

Politiker:
Ach, diese Leute waren das? Ja. Und ich hatte mich schon immer gewundert, dass man die so häufig da rumlaufen sieht…

Journalist:
Das ist aber auch kein Wunder. Den Drahters gehört ja das Haus.

Politiker: Wirklich. Daran müsste ich mich doch erinnern.

Journalist:
Zumal sie ja auch insgesamt 37 Mal da waren.

Politiker:
Ach wissen Sie, als Ministerpräsident reist man ja sehr viel.

Journalist:
Aber das Haus müssen Sie doch kennen. Ein Mitarbeiter hat ausgesagt, dass sie selbst die Baugenehmigung für die Villa der Drathers angeordnet haben.

Politiker:
Daran habe ich keine Erinnerung.

Journalist:
Aber so was merkt man sich doch: Mit Swimming-Pool, Hubschrauberlandeplatz und Golfanlage. Im Naturschutzgebiet…

Politiker:
Mir kommen so viele Zettel in die Hände. Da hat mir sicherlich ein Mitarbeiter unachtsam das Dokument irgendwie…

Journalist:
A propos Dokumente – können Sie sich denn an das Büro im Haus des Waffenversandhändlers Drather erinnern?

Politiker:
So ein ganz großer Raum mit einem Schreibtisch, einem Stuhl und Computer und Telefon?

Journalist:
Ja.

Politiker:
Nein. Daran habe ich keine Erinnerung.

Journalist:
Können Sie sich denn an den Aktenvernichter im Büro der Drathers erinnern?

Politiker:
So ein Gerät, in das man oben Papier reinsteckt und es kommt unten in so ganz fisseligen Streifen wieder heraus?

Journalist:
Ja.

Politiker:
Das habe ich nie gesehen.

Journalist:
Das sollten Sie aber, weil im Papierkorb der Drathers insgesamt 70 Kilo Dokumente gefunden wurden. In fisseligen Streifen.

Politiker:
Ein fleißiges kleines Gerät, was?

Journalist:
Und daran haben Sie keine Erinnerung?

Politiker: Nein. Ich werde jeden Tag mit so vielen nützlichen kleinen Elektrogeräten konfrontiert…

Journalist:
Aber die 70 Kilo Dokumente stammen aus Ihrem Ministerium. Man hat Ihren Briefkopf auf 145 der Streifen gefunden.

Politiker:
Ich habe sehr viele Mitarbeiter.

Journalist:
Ja, aber in dem Haus der Drathers waren ja nur Sie, oder?

Politiker:
Und meine Frau.

Journalist:
Und haben Sie die Dokumente vernichtet?

Politiker:
Daran habe ich keine Erinnerung.

Journalist:
Wollen Sie damit sagen, dass Ihre Frau die Dokumente...?

Politiker:
Das ist natürlich leider nicht gänzlich auszuschließen. Ich vermute aber eher, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass ein Mitarbeiter des Ministeriums ohne mein Wissen unbemerkt in das Haus eingedrungen ist, um die Papiere dort völlig ohne meine Kenntnis oder mein Zutun in einer gänzlich von meinem Einflussbereich losgelösten und mir unverständlichen Einzel-Aktion irgendwie in den Aktenvernichter zu transferieren.

Journalist:
70 Kilo?

Politiker:
Möglicherweise ein manischer Feind von Akten

Journalist:
Nun gibt es aber ein mit einem Mobiltelefon aufgenommenes Video, das sie zeigt, wie sie den Aktenvernichter bedienen. Hier - sehen Sie mal.

Politiker(guckt):
Aha. Ja, das bin ohne Frage ich. Wird das Video veröffentlicht oder haben Sie finanzielle Interessen?

Journalist:
Veröffentlicht.

Politiker:
Gut. Dann kann ich es nicht ausschließen, dass ich in einem Zustand, der sich allerdings in Gänze meiner Erinnerung entzieht, irgendwie mit einem Blatt Papier in der Hand im Urlaub unglücklich gestolpert bin, wobei das Papier bei dem Versuch, fallend die staatsmännische Haltung zu bewahren in einer sehr unglücklichen Zufallsaktion ohne mein Zutun im Aktenvernichter gelandet ist, was ich persönlich sehr bedauere.

Journalist:
Sie haben also Akten des Ministeriums vernichtet?

Politiker:
Das habe ich nicht gesagt. Auf dem Video sieht man ein Papier. An dessen Inhalt habe ich keinerlei Erinnerung. Ich persönlich gehe davon aus, dass es sich um die Einkaufsliste meiner Frau handelt. Wir kochen gerne im Urlaub.

Journalist:
Aber auf dem Video haben Sie überhaupt keine Kleidung an.

Politiker:
Das ist mir gar nicht aufgefallen.

Journalist:
Sie sind also nackt mit einer Einkaufsliste ihrer Frau in der Hand gestolpert und dabei mit der Liste zufällig in den Aktenvernichter geraten?

Politiker:
Das scheint mir zum gegenwärtigen Kenntnisstand das wahrscheinlichste Szenario zu sein. Ich habe allerdings keine Erinnerung.

Journalist:
Interessiert es Sie gar nicht, mit welchem Mobiltelefon diese Aufnahme gemacht wurde?

Politiker:
Ach, wissen Sie – als Zukunfts-Politiker ist man ja mittlerweile derart an den Einsatz moderner Medien gewöhnt, dass ein einzelnes Smartphone da irgendwo an Bedeutung verliert.

Journalist:
Das Handy stammt aus dem persönlichen Besitz einer als Mimi Monique Mi Saint Tropez identifizierten Prostituierten, die mit einer Vielzahl von Drogengeschäften in Verbindung gebracht wird.

Politiker:
Sehen Sie. Und Sie beschäftigen sich mit dem Einkaufszettel meiner Frau. Während in unmittelbarer Nähe das wirkliche Verbrechen seinem schändlichen Tun nachgeht.

Journalist:
Kennen Sie denn die Frau?

Politiker:
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.

Journalist:
Dann sehen Sich das Video mal weiter an.

Politiker: (guckt)
Ja, ich glaube, da lerne ich sie gerade kennen.

Journalist:
Wie auch immer – jedenfalls hat sich eine Gruppe arbeitsloser Akademiker in praktikumsfreier Stellung zusammengefunden und die haben in wochenlanger Kleinarbeit die ganzen fisseligen Streifen aus dem Papierkorb des Waffenversandhändlers Drahter wieder zusammengesetzt.

Politiker:
Diese armen verirrten Menschen.

Journalist:
Und dabei ist herausgekommen, dass ihr Ministerium sich nicht nur seit Jahren von der Raucherlobby, der Waffenlobby, der Atomstromlobby, der Hotel-Lobby, der Autofahrerlobby, der Pharmalobby und der Lobby der Adressenverkäufer schmieren lassen, sondern dass Sie auch noch Parteigelder veruntreut haben und beabsichtigen, der besagten Mimi Monique Mi St. Tropez einen Posten als Staatssekretärin zu verschaffen. Was sagen Sie dazu?

Politiker:
Das ist ja ungeheuerlich. Ich werde sofort meinen Staatssekretär entlassen.

Journalist:
Ja, und sie selbst?

Politiker:
Ich werde für das, was ich getan habe, die volle Verantwortung übernehmen und…

Journalist:
Und?

Politiker:
Und meiner Frau ihren Einkaufszettel vollständig ersetzen.

(Erschienen im Niederrhein Anzeiger Kw 35/12, Text: Matthias Reuter).

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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