Erinnerungen an Karl Ruppert, den Einsiedler im Kurler Busch, anlässlich seines 25. Todestages
Geachtet und geächtet

Karl Ruppert war der Einsiedler vom Kurler Busch. Jahrzehntelang lebte er dort in einem Bauwagen, umgeben von zahlreichen Tieren. Viele ältere Dortmunder kannten ihn. Anlässlich seines 25. Todestages erinnert sich Künstlerin Bruni Braun, die auch dieses Gemälde von ihm anfertigte, an Einsiedler Karl und dessen Leben. | Foto: Bruni Braun
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  • Karl Ruppert war der Einsiedler vom Kurler Busch. Jahrzehntelang lebte er dort in einem Bauwagen, umgeben von zahlreichen Tieren. Viele ältere Dortmunder kannten ihn. Anlässlich seines 25. Todestages erinnert sich Künstlerin Bruni Braun, die auch dieses Gemälde von ihm anfertigte, an Einsiedler Karl und dessen Leben.
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Karl Ruppert war der Einsiedler vom Kurler Busch. Er verstarb heute vor 25 Jahren, am 27. Juli 1994. Die Scharnhorster Künstlerin und Autorin Bruni Braun erinnert sich an den Mann im Wald zwischen Lanstrop und Kurl:

"Noch immer werde ich zuweilen von Menschen kontaktiert, die schon als Kinder Karl Ruppert, den Einsiedler vom Kurler Busch, wie ich ihn genannt habe, besucht und geliebt haben. Ich möchte seinen 25. Todestag zum Anlass nehmen, einen Blick auf ihn zu gewähren, wie er wohl kaum jemandem zuteil wurde.

Ein Einsiedler - mag er noch so alt und versponnen geworden sein und Haupthaar und Bart bereits seit ewigen Zeiten Schultern und Brust überwuchert haben - war auch einmal ein rosiges, kleines Baby und kam als Karl Ruppert am 25. Juni 1911 im polnischen Ozokow als eines von zehn Kindern eines Webermeisters zur Welt.

Der Krieg brach aus und der gelernte Automechaniker bestand als Kradmelder viele höchst gefährliche Abenteuer, von denen er interessant zu erzählen wusste. Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Zwar schickte es ihn in französische Gefangenschaft, sandte ihm aber dort eine neue Liebe. Da gab es eine Frau, die ihn liebte und ein Kind von ihm erwartete. Da gab es aber auch diesen Stolz, der es ihm verbot, sich in ein gemachtes Nest zu setzen und es gab jene Ereignisse des Krieges, die sein persönliches Maß an Leidensfähigkeit überstiegen hatten, deren innere Bilder ihn verfolgten, sodass allein schon die Vorstellung ihn fast umbrachte, Wand an Wand mit anderen Menschen in einem Haus leben zu müssen. So durfte er sich schließlich auf einer Wiese am Körnebach-Wald niederlassen. Er hatte zuletzt circa 15 Hunde, 30 Katzen, Pferde, Hühner und sogar eine zahme Ratte.

Die Kinder liebten ihn. Sie kamen alleine oder mit ihren Eltern, um Pferde zu striegeln und mit den Tieren zu spielen. Es gab Menschen, die sich anstrengten, ihm ein wenig zu helfen und es gab jene, die sich anstrengten, ihn zu vertreiben. Er wurde geachtet und geächtet zugleich. So zündete man ihm den provisorischen Pferdestall an und erschoss zwei seiner Hunde. Sein Leben spielte sich fast ausschließlich im Freien ab.

Eine Couch, ein Ofen und trocknendes Brennholz

Das Innere seines Bauwagens war sein Allerheiligstes, das er vor den neugierigen Blicken der Menschen schützte. Dort hinein gebeten zu werden, war eine Auszeichnung, die nur wenigen zuteil wurde. Ich durfte hinein, wusste diese Ehre zu schätzen und Karl Ruppert wurde mein Modell für einige Gemälde.

Einmal sagte er: „Seit Sie mich mit Ihren Bildern so in die Öffentlichkeit gebracht haben, begegnen mir die Menschen mit viel mehr Respekt.“
Er klopfte ein paar Strohhalme von der Couch und bot mir einen Platz an. Kaum hatte ich Platz genommen, kamen all seine Hunde, einer nach dem anderen herein. Auch einige Kätzchen erschienen und bestiegen das Sofa und dessen Lehne, den Tisch und den Sessel und einer der Hunde sprang dem Einsiedler sogar direkt auf den Schoß. Als Karl sah, wie sich die Tiere auf dem Sofa an mich schmiegten, lachte er und sagte: „So schlafen wir immer des nachts. Wir wärmen uns gegenseitig. Schade, dass die Pferde nicht auch noch hier reinpassen. Es gab so manche Winternacht, in der es so entsetzlich kalt war, dass ich Angst hatte, die Tiere würden mir im Stall erfrieren, wenn ich sie nicht bewegte. In solchen Nächten bin ich aufgestanden und habe die Tiere bis zum Sonnenaufgang wieder und wieder im Kreise hier durch diesen Wald geführt.“

Mehr als die Hälfte des Wageninnern war belegt durch die große, alte Couch, zwei Sessel und einen Couch-Tisch. Nach einem kleinen Abstand von dieser Sitzgruppe folgte ein Kanonen-Öfchen mit sehr langem Rohr. Im Rest des Raumes war von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke klein gehacktes Holz gestapelt. „Wo soll ich es denn sonst trocknen?“, begegnete er meinem erstaunten Blick.

An seinem 80. Geburtstag bekam Karl Besuch von Journalisten. Einer fragte ihn, wie es ihm gelungen sei, trotz des schweren Lebens so alt geworden zu sein. Ohne groß zu überlegen antwortete er: „Sich immer nützlich bewegen.“
Einmal sei er im Krankenhaus gewesen, erzählte er, wo er sich elender gefühlt habe als zuvor. Er habe kein Auge zugekriegt, weil ihm die frische Luft und die Wärme seiner Tiere gefehlt hätten. Nachdem man ihn aus dem Krankenhaus entlassen habe und er wieder in seinem Bauwagen angekommen sei, habe er sich nur eben auf seine Couch gesetzt, seine Füße hätten noch unten auf dem Boden gestanden, da sei er oben bereits eingeschlafen. Auf Ärzte könne er ganz gut verzichten, meinte er. Verletzungen pflege er mit Eigenurin zu behandeln, der Rest müsse sich dann von selbst regulieren und wenn nicht, wäre es auch egal.

Mit wallendem Haupthaar und weißem Bart

Sein Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang, sowie dem Wunsch, niemals jemandem zur Last fallen zu wollen, gingen so weit, dass er mir einmal sagte, wenn er die leiseste Ahnung hätte, dass sein letztes Stündchen schlüge, würde er gerne all sein gehacktes Holz draußen aufschichten und sich selbst verbrennen. Nur seine Tiere täten ihm leid.

Im 83. Lebensjahr, am 27. Juli 1994, vor 25 Jahren, war es da, sein letztes Stündchen.

Wenn ich an flirrenden Sonnentagen auf dem Weg nahe jenem Distel-Teppich spazieren gehe, wo der Einsiedler seinen Bauwagen stehen hatte, scheint es mir zuweilen, als fahre ein kleiner Blitz in meine Augen, als gäbe man ein Zeichen mit einem Spiegel. Schaue ich dann durch die Bäume, so sehe ich den Einsiedler wieder auf seiner Wiese mit wallendem Haupthaar und Bart, freiem Oberkörper und der alten, in die Gummistiefel gesteckten Hose, in der Hand die Sense, die unaufhörlich durchs hohe Gras saust und dabei jene Blitze versendet, die mich getroffen haben, weil sich sein Geist noch immer nützlich bewegt.

Autor:

Ralf K. Braun aus Dortmund-Ost

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