My Name is Charley - may I talk to you ?

Er saß in Athen vor dem Flughafen auf der Bank, als ich mich dort niederließ, um meine Wartezeit auf den Flug nach Genf mit einer Zigarette zu verkürzen.

Die Sonne strahlte herbstlich blass am Himmel und ich dachte noch nach über die Worte meiner Schweizer Reisebegleitung. Wir hatten uns in der kleinen Propellermaschine von Kos nach Athen angefreundet und uns am Flughafen gemeinsam mit Gesprächen die Zeit vertrieben. Soeben hatte sie eingecheckt, nachdem wir uns herzlich voneinander verabschiedet hatten.

Dann sprach mein Banknachbar mich an: „Excuse me, my name is Charley – may I talk to you for a while ?“ Ich lächelte ihn an: „Yes, please“ !

Erfreut fing er an, mir zu erzählen, warum er hier sei. Sein Gepäck sei vom Flug von Rom nach Athen abhanden gekommen und nun sei er hier, um es abzuholen. Es komme gleich von Frankfurt.

Es folgten Erklärungen, warum er in Italien war. Auf dem Neurobiologen-Kongress treffen sich alljährlich neurobiologische Spezialisten im Ruhestand, um sich weiterzubilden. Es sind besondere Spezialisten, die trotz Ruhestand ehrenamtlich weiter arbeiten für die Gewerkschaften und die arbeitende Bevölkerung. Ja, sie geben wichtige Erkenntnisse über die Hirnforschung weiter an die Vertretungen der Arbeiterklasse – und zwar kostenlos, weil sie alle antikapitalistisch denken und ihr Wissen dort zur Verfügung stellen möchten, wo für Forschungen kein Geld vorhanden ist. Das hörte sich wirklich fantastisch an.

Dann erzählte er seine Lebensgeschichte, wie er in Brooklyn mit zwei Brüdern bei seiner alleine erziehenden griechischen Mama aufgewachsen war. Mama hatte die Kinder durchgebracht mit Putzarbeiten. Die Söhne, allesamt sehr klug, hatten alle Hochschulabschlüsse und lebten verstreut in Griechenland, Australien und Island.

Charly, mein Gesprächspartner, hatte die USA wegen Kritiken an der Regierung in den sechziger Jahren verlassen. Seine Mormonenfrau kam mit ihm nach Athen und weil sie keine eigenen Kinder haben konnten, adoptierten sie zwei kleine griechische Babys, die von der Mutter abgelehnt wurden.

Er kam ins Schwärmen beim Erzählen über seine Kinder und seine Enkelkinder und bot mir eine exakte Familienbiografie dar, der ich vor lauter Tanten, Onkeln, Schwestern, Neffen und Nichten beim besten Willen nicht mehr folgen konnte.

Es war aber auch nicht wichtig. Charley strahlte über das ganze Gesicht beim Erzählen seiner Geschichte, teilte stolz mit, das er schon 85 Jahre alt sei und es liebe, öfter mal mit der U-Bahn vom Syntagma-Platz zum Flughafen zu fahren. Das koste nur 4,- Euro und sei billiger als die S-Bahn.

So viele schöne Gespräche habe er hier schon geführt, sagte er, und seine Augen glitzerten vor Freude und Aufregung, mir so vieles mitgeteilt zu haben.

Das Leben im Pflegeheim sei so langweilig und er liebe es, hin und wieder mal „auszubüchsen“ um mit so netten Leuten wie mit mir, über das Leben zu plaudern.

Als er von vorne wieder anfing mit seinem verlorenen Gepäck und dem Kongreß in Italien und von weitem ein Krankenwagen heran nahte, war mir plötzlich klar, das Charley nicht mehr lange bei mir sitzen würde. Und so war es auch. Der Krankenwagen hielt an vor uns beiden und Charley stieg bereitwillig ein in das Auto, nachdem er sich von mir per Handschlag und mit einem leichten Lüften seines Hutes verabschiedet hatte.

Ich winkte dem Auto noch lange hinterher und lies der kleinen Träne einfach freien Lauf. An die Schweitzer Dame dachte ich, die mir bei unserem Gespräch sagte, ich solle jeden Tag geniessen und mich den schönen Dingen gegenüber nicht verschliessen. Man wisse nie, wie lange man noch lebe auf dieser Welt.

Ein Aufenthalt am Flughafen von Athen von sechs Stunden war spannend und kurzweilig für mich dank der freundlichen Gesellschaft zweier erfahrener Zeitgenossen, wo auch immer deren Reise letztendlich hingegangen sein mag...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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