Deutschland – Niederlande, mehr als nur eine Fußballfeindschaft?

Deutschland – Niederlande, mehr als nur eine Fußballfeindschaft?

Eine nicht ganz ernstgemeinte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zweier Nachbarländer

Wir schreiben den 24. Juni anno 1990. Die Kirmes in Emmerich, einem kleinen, deutschen Städtchen, fast unmittelbar an der deutsch-niederländischen Grenze gelegen, profitiert vom prächtigen Sommerwetter. Die Stimmung ist großartig, denn soeben hat in Mailand die deutsche Nationalmannschaft das Achtelfinale der Fußballweltmeisterschaft gegen den Erzfeind aus den Niederlanden mit 2:1 gewonnen. Es war ein besonderes Spiel mit viel Spannung und dem ein oder anderen Aufreger. Frank Rijkaards Mutation zu einem Lama endete im gemeinsamen Platzverweis von ebendem und Tante Käthe, auch bekannt als Rudi Völler, der den Gedanken an niederländischen Speichel in seinem güldenen Haar nicht ertragen konnte und das körperliche Gefecht anging. Die Rache für 1988, die wiederum von vielen als Rache für 1940 gegolten hatte, war geglückt und niemand rechnete mit dem Überfall niederländischer Hooligans, die in ihrem Patriotismus die Kirmes kurz und klein schlagen wollten. Aber 1940 hatte wohl auch niemand mit den deutschen Hooligans gerechnet.
Doch woher kommt diese Feindschaft? Ist die Fußballfehde zwischen den an und für sich friedliebenden Nachbarn eigentlich Ausdruck für einen viel tiefer im Fleisch sitzenden Stachel? Und wie sieht es heute, 22 Jahre später aus?

Als im April 1945 die Völkerwanderung der deutschen Wehrmacht in Richtung Heimat, in den Niederlanden wird diese Frontverschiebung noch heute fälschlicherweise als Flucht interpretiert, auf mehr oder weniger legal geliehenen Fahrrädern stattfand, wurde ein wichtiger Grundstein für das heute so angespannte Verhältnis gelegt. Aus dieser Zeit stammt auch das Vorurteil, dass der typische Deutsche am Strand grundsätzlich eine Kuhle gräbt, um sich darin mit stolzgeschwellter Brust und weißen Tennissocken in den Sandalen seinen Nachbarn zu präsentieren und sein kleines Reich mit den Worten „dies ist mein Revier“ bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Tatsächlich entstammt der deutsche Brauch, sich einzugraben, ebenfalls der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Wer würde sich nicht ein möglichst tiefes Loch graben, wenn er auf der ganzen Welt beschossen wird? Diese Missverständnisse und eine tief sitzende Frustration, die daraus resultiert, dass man dem großen Nachbarn in Sachen Fußball nicht gewachsen ist, sorgen beim gemeinen Niederländer für eine leicht verschobene Wirklichkeitswahrnehmung, die in oft schwer nachzuvollziehenden Reaktionen kanalisiert wird, was, wie im Folgenden ausgeführt werden soll, zu entsprechenden Gegenreaktionen auf deutscher Seite führt, welche nicht minder tief sitzenden Fehlinterpretationen von genetisch und stammesentwicklungsbedingten Verhaltensweisen entstammen.
So wird der Niederländer in seiner Neigung, sein Haus mit in den Urlaub zu nehmen, oft völlig falsch verstanden. Kann der arrogante, humorlose Nachbar im Osten denn nicht verstehen, dass es völlig logisch ist, sein Hab und Gut stets in einer Art bewohnbarem Schuhkarton mit sich zu führen, wenn man im Grunde unterhalb des Meeresspiegels wohnt und ständig dem Risiko einer Überschwemmung ungeahnten Ausmaßes ausgesetzt ist? Man braucht nicht weit zurück zu gehen in der Geschichte des im Streit gegen das Wasser eifrigsten und erfolgreichsten Volkes der Welt. Am 1. Februar 1953 wurde die Provinz Zeeland durch eine Kombination aus äußerst ungünstigen Wetterverhältnissen und einem durch Löcher und Kuhlen deutscher Soldaten instabil gewordenen Deiches fast komplett überschwemmt. Dieses prägende Ereignis niederländischer Geschichte kostete viele Menschenleben, und als die deutsche Bundeswehr seinerzeit ihre Hilfe anbot, wurde diese abgewiesen. Der Deutsche an sich interpretiert hier die Situation völlig anders als sie im Grunde war. Es ging nicht um beleidigten Stolz, weil Deutschland die Niederlande seinerzeit so schnell überrannt hatte und während der Besatzung sicherlich nicht gerade zimperlich mit den Besetzten umgegangen war, vielmehr dachten die Niederländer, dass die Deutschen mit all ihren Fahrrädern nicht schnell genug am Ort des Geschehens sein konnten. Entschuldigend könnte man hier anbringen, dass es sicherlich nicht als Tugend, jedoch sicherlich als typische deutsche Eigenart angesehen werden kann, dass bereits dem Urgermanen ein verhängnisvoller Wesenszug des Öfteren zum Verhängnis wurde, nämlich das beliebte ‚Beleidigte-Leberwurst-Spiel‘. Wann immer ein Germane in der langen Geschichte der Germanen die beleidigte Leberwurst spielte, ging nachweislich etwas kaputt.
Ein erschütterndes Thema im Bezug auf fehlgeleitete Wahrnehmung des Gegenübers ist die traurige Geschichte der verschiedenen Fahrkulturen. Schon im Grundgesetz der BRD steht verankert, dass der Deutsche vielerorts so schnell fahren darf, wie es eben geht. In Deutschland steht das Auto auf gleicher Ebene wie Ehefrau und Geliebte, dicht gefolgt vom eigenen Nachwuchs, der oft weniger oft gewaschen wird, als der fahrbare Untersatz. Versetzen wir und zum besseren Verständnis des Missverständnisses einmal in den Kopf eines Niederländers, der im Übrigen, und das dürfte so manchen Deutschen genauso wie manchen Niederländer überraschen, anatomisch und inhaltlich auf demselben Konstruktionsplan basiert. Wenn man sein Leben lang maximal 120 Stundenkilometer schnell fahren darf, dann kann man die Geschwindigkeit einer auf der deutschen Autobahn im Tiefflug, sich knapp unter dem Durchbrechen der Schallmauer befindlichen Limousine, die im Rückspiegel soeben noch sehr weit weg erschien, nur schwerlich einschätzen. Das im deutschen Erbgut verankerte Gefühl sexueller Extase bei Geschwindigkeiten jenseits der 250 km/h fehlt dem ehemals Besetzten, weswegen die Autos aus den Niederlanden ja extra mit auffällig gelben Kennzeichen versehen sind. Dies ist nicht, wie oft angenommen, ein Zeichen für dreimaliges Durchfallen durch die Führerscheinprüfung, sondern ein im Grunde recht deutliches Warnsignal. In diesem Zusammenhang erklärt sich auch emotionslos und völlig logisch, dass das Setzen des Blinkers beim Überholen eher selten passiert. Schließlich ist es sowieso überflüssig, denn von hinten kommt immer irgendein irgendwie frustrierter Autoliebhaber angeflogen. Das Setzen des Blinkers kostet Strom, uns somit Geld. Die Niederländer werden nicht umsonst die Schotten des Festlandes genannt. Die Standpunkte der jeweiligen Gegenseite, sind in dieser, wie in so vielen anderen Fragen ganz einfach zu weit voneinander entfernt.
In keiner anderen Frage werden die Unterschiede und unüberbrückbaren Unterschiede jedoch deutlicher als im Bereich der flüssigen und festen Nahrungsmittel. Dass in Deutschland besseres Bier gebraut wird, ist international bekannt, wird von den meisten Niederländern jedoch schlichtweg ignoriert, was einer Verbesserung des seit jeher, wobei jeher rund um das Jahr 1940 anzusiedeln ist, kränkelnden Verhältnis nicht zuträglich ist. In Sachen fester Nahrungsmittel gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Während auf der einen Seite ganz logisch ist, dass Brot, an einer Ecke zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten, regelrecht abknicken und nach unten weisen muss, bevorzugt die andere Seite festeres Backwerk, welches sich im Geheimen unter dem Namen Kaiserbrötchen beispielsweise, beim Nachbarn ebenfalls großer Beliebtheit erfreut. Anzumerken ist hier, dass das Kaiserbrötchen als typisch deutsche Backspezialität den meisten Deutschen nicht bekannt ist. Der größte Unterschied lässt sich jedoch beim beiderseits der Grenze beliebten Grillen erkennen. Während der Niederländer Grillen als eine ganz normale Art und Weise der Zubereitung heimischer Fleischprodukte betrachtet, wird mit Bier, ritueller Zeremonie und Zeit beim östlichen Nachbarn ein fast religiös anmutendes Fest gefeiert, wenn sommertags fast zeitgleich in allen Gärten der Neubausiedlung die Kohle entzündet wird. Dementsprechend sind auch die zu grillenden Produkte völlig unterschiedlich ausgelegt. Während die Bratwurst in Deutschland gut und gerne das Gewicht eines kompletten Mahls in den Niederlanden erreichen kann, ist das Grillgut in den Niederlanden so klein, dass es regelmäßig durch den Grillrost in die Kohle fällt und schon so manchem deutschen Profigriller zur Verzweiflung getrieben hat. Dies, und nicht etwa die Abneigung gegen Fleischprodukte aus niederländischer Produktion, ist der Grund, warum auf der Fahrt in die Sommerferien, die nicht wenige Deutsche in den küstennahen Provinzen Hollands verbringen, oft bis zu fünfzig Prozent des Gepäcks aus rohem Fleisch besteht. Nebenbei bemerkt fragen sich viele Deutsche, warum Bürger der Niederlande Niederländer sein wollen, schließlich ist Holland nur eine Provinz in eben jenem Land, bei einem Spiel der Fußballnationalmannschaft jedoch ‚Hup Holland Hup‘ schreien. Der allzeit logisch denkende Deutsche versteht den hier, objektiv betrachtet weniger gradlinig handelnden Niederländer nicht.

So schließt sich der Kreis und am Ende geht es wieder um das Spiel der Spiele. Wir schreiben das Jahr 2012. In diesem Jahr wird in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft ausgetragen und die ganze Welt wird am 13. Juni ab 20:45 Uhr nach Charkiw schauen um dem Kampf der Erzfeinde Deutschland und Niederlande zuzuschauen. Abgesehen von 16 Millionen Niederländern und 82 Millionen Deutschen, wird kaum jemand wissen, dass vor dem Fernseher mit gewetztem Messer und gebleckten Zähnen auf beiden Seiten Grillgut verspeist und Bier getrunken wird. Die ganze Welt wird dieses Match für ein ganz normales Fußballländerspiel halten. Doch besonders im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland werden in Gedanken wieder die Maschinengewehre und Panzerfäuste ausgepackt, die Motoren der Panzer werden gestartet und es wird wieder Krieg herrschen. Die Moffen, humorlose Kampfmaschinen in tristem Schwarz-Weiß, werden gegen die in männlich-verspieltem Orange gekleideten, undisziplinierten und altmodischen Kaasköppe, immerhin haben die im 21. Jahrhundert noch immer eine Königin, antreten und über die Grenze legt sich für etwa zwei Stunden die Ruhe vor dem Sturm. 16 Millionen Bondscoaches und 82 Millionen Bundestrainer werden am Fernseher mitfiebern, den Gegner verfluchen und unflätig beschimpfen und wer auch siegen mag - die Wahrscheinlichkeit spricht, diese persönliche Bemerkung sei erlaubt, natürlich für Deutschland - die Presse wird am nächsten Tag Spott und Häme für den Verlierer haben und alle werden es gewusst haben, dass es anders gar nicht kommen konnte. Danach werden viele Niederländer nach Deutschland fahren um dort ihre Ferien im rollenden Eigenheim zu verbringen, während halb Deutschland in Zeeland wieder den jährlichen Brückenkopf beziehen wird, um aus gut gesicherter Kuhle vom Strand aus an der, diesmal weniger auffällig ausgeführten, Übernahme der Niederlande zu arbeiten. Niemand wird merken, dass er Devisen ins verhasste Nachbarland bringt und dem Erzfeind somit von Nutzen ist. Aber während des Spieles ist Krieg – und das ist gut so. Sollte es tatsächlich zu einem kaum zu erwartenden Finale zwischen den Niederlanden und Deutschland am 1. Juli kommen, die Emmericher Kirmes wird am 6. Juli eröffnet, man könnte sich schon einmal verabreden …

Autor:

Jens von Ewald aus Emmerich am Rhein

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