Wildgänse - der etwas andere Bericht
Wie Mareike Büdding den ornithologischen Laien vom Publikations-Flop überzeugte

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Redakteure liegen mit ihren Entscheidungen nicht immer richtig. Ebenso wenig wie Mediziner, Maurer, Architekten, Putzpersonal oder Fußballtrainer. Und wenn man sich anschließend auf eine kritische Diskussion einlässt und noch ein paarmal nachhakt, kann man dabei jede Menge lernen.

So wie der Verfasser dieses Artikels und des "Flops der Woche" auf der Titelseite des Stadtanzeigers vom 8. Oktober. In der Rubrik war die Rede von den niederrheinischen Gänsen, die alljährlich auch die Rheinauen zwischen Kleve und Rees bevölkern. Beim Formulieren des "Flops" ahnte der Redakteur noch nicht, dass es beim Naturschutzzentrum in Rees-Bienen eine Landschaftsökologin gibt, die überhaupt nicht einverstanden mit seiner Einschätzung war, die Anwesenheit der arktischen Gänse im Winterhalbjahr sei längst nichts Besonderes mehr.

So entspann sich (ich wechsle kurz die Erzählperspektive) in den folgenden Tagen ein munterer Schriftwechsel zwischen Mareike Büdding und mir. "(...) mit Verwunderung habe ich Ihren „Flop der Woche“ vom 8.10. gelesen. (...). Leider schreiben Sie in Ihrem Flop-Artikel, dass 'mittlerweile jede Menge Gänse den Niederrhein gar nicht mehr verlassen'. Was Sie nicht klar unterscheiden, es gibt die Graugänse (die ganzjährig hier sind und tatsächlich zugenommen haben) und es gibt die arktischen Wildgänse (Blässgans, Saatgans, Weißwangengans, Kurzschnabelgans, Zwerggans), die jedes Jahr spätestens im März den Niederrhein verlassen und in ihre Brutgebiete in Skandinavien und Russland ziehen. Von den arktischen Wildgänsen verbleiben nur verletzte Tiere hier in der Region, die nicht mehr flugfähig sind und in der Regel auch nicht lange mehr überleben. (...)"

Nicht persönlich gemeint

Zack, Klatsche von der Expertin! Trotzdem wollte ich das nicht auf mir sitzen lassen und antwortete ihr: "(...) danke für Ihre Zuschrift, der „Flop“ ging nicht gegen Sie persönlich und auch nicht gegen das Naturschutzzentrum oder den NaBu. Innerhalb der Rubrik steht eine überschaubare, sehr knappe Menge an Text zur Verfügung, so dass dort nicht alles von jeder Seite beleuchtet werden kann. (...) Ich bin ein sehr naturinteressierter Mensch und schaue auch begeistert hin, wenn ich eine große Menge Wildgänse sehe. Das ist auch bei uns in der direkten Umgebung (bei Hamminkeln) oft der Fall. Aber seinen Zauber hat das Phänomen doch wirklich längst verloren. Rund um den Weseler Auesee und die Bislicher Seen gibt es eine feste Gänsepopulation, die ganzjährig hierbleibt."

Rund einen Tag lang dachte ich: Daran hat sie zu knabbern! Doch am nächsten Vormittag strafte Mareike Büdding mich mit einer weiteren Belehrung: "Hallo Herr Bohlen, bei der 'festen Gänsepopulation' an Weseler Auesee und Co handelt es sich um Grau- und Kanadagänse, die ganzjährig hierbleiben. Unsere PM weist auf die Ankunft der arktischen Wildgänse hin, also komplett andere Gänsearten mit einer völlig anderen Ökologie und Lebensweise."

Schwarz auf Weiß

Die Ökologin mag sich mit dem publikatorischen Stand der Dinge gar nicht anfreunden. Ich hätte "eine fachlich falsche Tatsache als Fakt genannt. Viele Menschen lesen diesen Artikel und werden nicht hinterfragen, was sie dort lesen. Für diese Menschen steht jetzt Schwarz auf Weiß in der Zeitung 'die Gänse werden immer mehr und bleiben hier' sowie 'das Naturschutzzentrum im Kreis Kleve hat Quatsch gemeldet'. Wenn es Ihnen nur um den verlorenen Zauber des Phänomens geht, dann hätten Sie das anders schreiben müssen!"

Paarbindung bei Gänsen

Tja, auch der Hieb hat gesessen. Und was soll ich sagen? Die Frau hat Recht! Deshalb schreibe ich ihr zurück: "Hallo Frau Büdding, es gefällt mir, dass Sie hartnäckig bleiben. (...) Wenn Ihnen die „Gegendarstellung“ wichtig ist, schreiben Sie uns bitte einen Leserbrief." Anstelle eines solchen erreicht mich weitere Expertise aus der Büdding-Feder: "Ich arbeite bereits seit über 12 Jahren am Naturschutzzentrum als Ornithologin und kann Ihnen versichern, dass alle arktischen Wildgänse Ende März den Niederrhein verlassen haben. Ausnahmen (im niedrigen zweistelligen Bereich) bilden verletzte Tiere, die flugunfähig geworden sind und ihre Partner. Die Paarbindung bei Gänsen ist sehr stark, deshalb bleibt der Partner von verletzten Gänsen auch hier. Wenn der verletzte Partner dann durch Fuchs oder Krankheit nicht mehr lange lebt, schließt sich spätestens im Herbst das verbliebene Einzeltier wieder den arktischen Schwärmen an. Der hormonelle Zugdrang (so die Fachsprache dafür) ist so stark, dass die arktischen Arten gar nicht anders können. Das gleiche gilt auch für viele andere Zugvögel, z.B. Schwalben oder Kuckuck."

Dann fügt Mareike Büdding noch dies an: "Statt Leserbrief wäre doch ein spannender Gänse-Artikel schöner … (Lächelsmiley)

Und wie Sie gerade erfahren haben, hat sich ihre Hartnäckigkeit gelohnt. Falls Sie diesen Bericht spannend finden und die Arbeit des Naturschutzzentrums kennen lernen möchten, kontaktieren Sie das Team gerne auf diesem Wege. Mareike Büdding und ihre Kolleg(inn)en informieren Sie gerne über weit mehr Naturphänomene als arktische (und andere) Gänse.

Kontakt:

Mareike Büdding, Dipl.-Landschaftsökologin
Naturschutzzentrum im Kreis Kleve e.V.
Niederstr. 3
46459 Rees-Bienen
E-Mail: buedding@nz-kleve.de
http://www.nz-kleve.de

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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